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NAHOST/948: Israelischer Werbespot kommerzialisiert Sperrmauer (SB)


Wenn israelische Soldaten Spaß haben ...


Das Westjordanland ist im Kontext globaler Kriege und regionaler Konflikte um die schwindenden Ressourcen des Überlebens in Gestalt von Wasser und Nahrungsmitteln unverzichtbarer Bestandteil israelischer Okkupationspolitik zu Lasten der Palästinenser. Die systematische Fragmentierung der Autonomiegebiete und der unablässig fortschreitende Landraub sichern den uneingeschränkten Zugriff und zerstören die Voraussetzungen eines Palästinenserstaats, dessen Gründung in fundamentalem Widerspruch zur strategischen Herrschaftssicherung des Staates Israel steht, sofern dieser den zionistischen Entwurf nicht revidiert, sich um jeden Preis gegen die Überlebensinteressen der als feindlich definierten und folglich vertriebenen, unterworfenen und gefangengehaltenen palästinensischen Bevölkerung durchzusetzen.

Zu den brachialsten weil unübersehbaren Instrumenten vervollkommneter Verfügungsgewalt zählt die monströse Sperrmauer zum Westjordanland, welche die Unausweichlichkeit palästinensischer Einkerkerung komplettiert. Sie wurde am 5. Juni 2004 in einem Gutachten des Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in ihrer bestehenden Form für illegal erklärt, was die israelische Staatsräson so wenig stört wie irgendein anderer Beschluß einer überstaatlichen Institution, deren Wirkmächtigkeit von den dominanten Kräften bestimmt wird, die sich ihrer bedienen. Solange Israel die Vereinigten Staaten und die in der Europäischen Union repräsentierten Regierungen prinzipiell auf seiner Seite weiß, perlen Urteile, Beschlüsse, Resolutionen, Kampagnen und Appelle ab wie Regen von der Ölhaut tiefgreifend verflochtener Interessen.

Die unrechtmäßige Besitznahme palästinensischen Landes, die Einmauerung zahlloser Menschen, die Vernichtung landwirtschaftlich genutzter Flächen, die Knebelung der Bewegungsfreiheit, die Trennung der Bauern von ihren Feldern, der Kinder von den Schulen, der Kranken von den Kliniken und die gezielten Schüsse auf Menschen, die sich dem Sperrwerk auf seiten der gefangenen Bevölkerung nähern, werden nicht widerspruchslos hingenommen. Bei den Protestkundgebungen an der Mauer verwunden oder töten israelische Soldaten nach wie vor Demonstranten in Exekution der Doktrin, daß Parteinahme für die drangsalierten Palästinenser mit einem terroristischen Akt gleichzusetzen ist, der in Gesinnung und Tat jeden Schutzanspruch verwirkt hat und niedergemacht wird.

In kommerzieller Instrumentalisierung der Trennmauer zum Zweck skrupellosen Kundenfangs bedient sich nun der israelische Netzbetreiber Cellcom eines von der international tätigen Werbeagentur McCann Erickson produzierten Werbespots, der eine heftige Kontroverse ausgelöst hat. Darin sind Soldaten auf Grenzpatrouille an der Mauer zu sehen, auf deren Fahrzeug plötzlich ein Ball landet, den sie kurzentschlossen auf die andere Seite zurückschießen. Daraus entwickelt sich rasch ein ausgelassenes Fußballspiel mit der unsichtbaren Gegenpartei, das schließlich mit dem Slogan endet: "Was ist es, das wir alle im Grunde suchen? Ein wenig Spaß!" [1]

Der Auftraggeber des Werbespots hat mit dem Griff nach diesem heißen Eisen sein Ziel voll und ganz erreicht, wie auch die Agentur die hitzige Debatte im In- und Ausland hocherfreut als Aufwertung ihres kreativen Geschicks verbucht, woran selbst Plagiatsvorwürfe zweier Filmemacher nichts ändern, die einen Rechtsstreit nach sich ziehen könnten. Scheinheilig wiesen Vertreter von McCann Erickson kritische Einwände zurück und versicherten treuherzig, in dieser Werbung gehe es doch inhaltlich darum, darüber nachzudenken, was uns alle - unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht - verbindet.

Der Generalsekretär der israelischen Friedensinitiative Peace Now, Yariv Oppenheimer, fand allen Ernstes Gefallen an dieser Auslegung und bezeichnete die Werbung in einem Blogbeitrag als "mutigen Akt der Aussöhnung". Immerhin rücke der Spot die Sperrmauer ins Bewußtsein der Bevölkerung und verstärke durch den Umstand, daß Palästinenser in der Werbung physisch nicht auftauchen, die Botschaft, daß sich hinter der Mauer menschliche Wesen und nicht nur durch den Haß auf Israel getriebene Fanatiker befinden.

Nun ist bekannt, daß in den beiden Weltkriegen Soldaten der verfeindeten Mächte in seltenen Fällen von Feuerpausen mitunter über die Front hinweg befristet fraternisierten und sich in gemeinsamen Alltäglichkeiten ergingen. Riefen die Offiziere erneut zum Gefecht, endete diese kurze Spanne des Friedens im Schützengraben und das gegenseitige Abschlachten setzte sich mit unverminderter Grausamkeit fort. Sollten Palästinenser jemals an der Mauer mit israelischen Soldaten Ballspielen, was kaum stattfinden dürfte, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit vorher erschossen worden wären, änderte das nicht das geringste an dem Grundverhältnis, in dem sich beide Seiten gegenübertreten.

Es bedarf fundamentalerer Prozesse der Positionierung, um dieses Verhältnis außer Kraft zu setzen, als schöne Bilder und naive Verkürzungen, die einer extremen Verzerrung realer Verhältnisse entspringen. Die israelischen Soldaten auf Grenzpatrouille haben darüber zu wachen, daß sich niemand dem Sperrwerk nähert oder es gar überwindet. Wer es dennoch versucht, ist nach Maßgaben des Grenzregimes ein Terrorist, der getötet werden muß. Wie die jüngst veröffentlichten Berichte von Soldaten, die an dem mörderischen Angriff auf den Gazastreifen zur Jahreswende teilgenommen haben, belegen, begannen Panzerbesatzungen aus Langeweile, Zielschießen auf Häuser zu machen, begeisterten sich vor allem junge Rekruten daran, es den "Terroristen" zu zeigen, und fertigzumachen, was immer sich bewegte. Die eigenen Soldaten um jeden Preis zu schützen, war Befehl, doch seine Umsetzung erfolgte nicht selten mit einer schrecklichen Begeisterung.

"Was ist es, das wir alle im Grunde suchen? Ein wenig Spaß!" - Was wäre aber, wenn israelische Soldaten ihren Spaß daran haben, sichtbare oder unsichtbare Palästinenser abzuschießen? Daß der Spaß für die Palästinenser schon vor mehr als sechzig Jahren aufgehört hat, strapaziert der Werbespot auf so unerträgliche Weise, daß sein Herrschaftsanspruch geradezu aus allen Poren quillt.

Anmerkungen:

[1] Sara Göttmann: Werbespot eines israelischen Netzbetreibers sorgt für Kontroversen. (www.heise.de vom 22.07.09)

24. Juli 2009