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NAHOST/1034: Israels Kabinett beschließt Treueschwur auf jüdischen Staat (SB)


Zwangsdiktat für Einwanderer im In- und Ausland heftig umstritten


Das israelische Kabinett hat einen Gesetzentwurf beschlossen, dem zufolge künftig bei der Beantragung der israelischen Staatsangehörigkeit ein "Loyalitätseid" auf "Israel als jüdischen und demokratischen Staat" abverlangt werden soll. Während Neubürger bislang lediglich erklären mußten, den Staat Israel und seine Gesetze zu achten, zielt die angestrebte innovative Regelung darauf ab, in der seit geraumer Zeit mit wachsender Intensität ausgetragenen Kontroverse um den Charakter des Staates Israels vollendete Tatsachen zu schaffen. Wird der "jüdische Staat" festgeschrieben, hätte dies weitreichende Konsequenzen für die Palästinenser, denen damit endgültig das Rückkehrrecht abgesprochen würde. Alle arabischen Bürger Israels - etwa 20 Prozent der 7,6 Millionen israelischen Staatsbürger - würden über ihre ohnehin existierende Benachteiligung hinaus unwiderruflich mit einem untergeordneten Status versehen und ausgegrenzt. Unmittelbar betroffen von der nun auf den Weg gebrachten Neuregelung dürften vor allem Palästinenser aus den besetzten Gebieten sein, die israelische Araber heiraten und dann die israelische Staatsbürgerschaft beantragen.

Die reaktionäre Initiative der Regierung löste heftige Kritik in Israel aus, die von prinzipieller Ablehnung über taktische Erwägungen hinsichtlich des befürchteten Ansehensverlustes im Ausland bis hin zu vorgeschobenen Einwänden bei grundsätzlicher Befürwortung der Stoßrichtung reichten. In den arabischen Nachbarländern brach ein Sturm der Entrüstung los, und selbst die europäischen und US-amerikanischen Mainstreammedien, die für gewöhnlich die Position Israels vertreten, sparten nicht mit zitierten Stellungnahmen aus Israel und der gesamten Region, die den Vorstoß unverhohlen als rassistisch verurteilten.

Wie Premierminister Benjamin Netanjahu während der Kabinettssitzung erklärte, sei die Definition Israels als jüdischer und demokratischer Staat "Quintessenz der zionistischen Vision". "Niemand hat das Recht, uns über Demokratie und Aufgeklärtheit zu belehren. Es gibt keine andere Demokratie im Nahen Osten und keinen anderen jüdischen Staat auf der Welt." Die Kombination beider Werte sei "die Basis unserer Existenz, und wer sich uns anschließen will, muß dies anerkennen". [1]

Die vom israelischen Justizministers Yaakov Ne'eman von der rechtsgerichteten Partei "Unser Haus Israel" des Außenministers Avigdor Lieberman eingebrachte Änderung des Gesetzes zur Staatsangehörigkeit war im Kabinett umstritten und wurde erst nach stundenlanger hitziger Debatte schließlich mit 22 zu acht Stimmen gebilligt. Der Entwurf soll in den kommenden Wochen der Knesset zur Abstimmung vorgelegt werden, in der das Regierungslager über eine breite Mehrheit verfügt. Ne'eman sprach sich während der Kabinettssitzung dafür aus, den Treueschwur künftig auch von jüdischen Neueinwanderern zu fordern. Mit diesem Vorschlag soll sich ein Ministerausschuß befassen. Nach dem Gesetz ist jeder Jude zur Einwanderung nach Israel berechtigt, das sich als Staat aller Juden weltweit versteht. Würden auch jüdische Einwanderer zur Loyalität zum jüdischen Staat verpflichtet, schlösse dies jene Ultraorthodoxen aus, die diesen nicht anerkennen.

Alle fünf Minister der Arbeitspartei sowie drei Minister aus Netanjahus Likud-Partei votierten gegen den Gesetzentwurf. Im Interview mit dem Armeerundfunk sprach Sozialminister Isaac Herzog von der Arbeitspartei von einem "Hauch von Faschismus", der sich "an den Rändern der israelischen Gesellschaft" entwickle. Es gebe einen "Tsunami von Maßnahmen", die die Rechte in Israel einschränkten: "Der demokratische Charakter des Staates Israel ist bedroht." [2] Dieses Gesetz sei unnötig und diene nicht den Interessen des Staates Israel. "Es ist von einer bestimmten ideologischen Logik geprägt. Es hat einen gegenteiligen Effekt auf Israels Image und seine Haltung einer wahren Demokratie." Verteidigungsminister Ehud Barak, der Parteivorsitzende der Arbeitspartei, hatte erst in letzter Minute und nur auf massiven Druck seitens der eigenen Partei seine Meinung geändert und gegen das Vorhaben gestimmt. [3] Der für die Minderheiten zuständige Minister der Arbeitspartei, Avischai Braverman, sprach von einem "schrecklichen Fehler". Der Treueschwur sei rassistisch und schade dem internationalen Ansehen Israels. Netanjahu wolle mit dem Schritt seinen rechtskonservativen Koalitionspartner um Außenminister Avigdor Lieberman besänftigen. [4]

Der stellvertretende Premier und Geheimdienstminister Dan Meridor vom Likud nannte den Vorstoß "schändlich, überflüssig und irrational". Israel habe es nicht nötig, seinen jüdischen Charakter von Nicht-Juden bestätigen zu lassen. [5] Er warnte vor einer "Atmosphäre der Zurückweisung", die durch das Gesetz hervorgerufen würde. "Dies ist der Staat des jüdischen Volkes. Das haben wir in unserem Grundgesetz festgehalten. Müssen wir das wirklich wiederholen? Das schafft nur nachträgliche Spannungen", erwies sich Meridor als genuiner Protagonist des jüdischen Staates Israel, der jede weitere Debatte darüber für kontraproduktiv hält. [6]

"Palästinenser sollen erklären, daß dieses Land den Juden gehört und die Palästinenser nur Gäste sind", bezog der arabische Knesset-Abgeordnete Ahmad Tibi gegenüber dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira entschieden Position gegen den Gesetzentwurf. Das neue Gesetz richte sich gegen die Palästinenser in Israel. Als "vollkommen rassistisch" bezeichnete auch der Knessetabgeordnete Mohammed Barak das neue Gesetz. Der frühere Richter Rahman Zuabi, der als erster Araber dem Obersten Gerichtshof angehört hatte, sagte im israelischen Rundfunk, es gebe im Falle der Verabschiedung dieses Gesetzes künftig zwei Länder in der Welt, die seines Erachtens rassistisch seien: Den Iran als islamischen Staat und Israel als jüdischen Staat. [7]

In der israelischen Tageszeitung "Ha'aretz" kommentierte Gideon Levy: "Von jetzt an werden wir in einem neuen Land leben. Wir werden offiziell bestätigt in einem völkischen, theokratischen, nationalistischen und rassistischen Land leben." Jeder Versuch, präzise zu definieren, was ein "jüdischer Staat" sei, stoße bei den allermeisten Einwohnern des Landes auf Einwände, da es keine allgemein verbindliche Definition gebe. Das Gesetz sei "provokativ, diskriminierend und vermutlich verfassungswidrig". "Ha'aretz" wies darauf hin, daß jeder fünfte Israeli heute arabisch-moslemischer oder arabisch-christlicher Herkunft ist - eine Minderheit, die formell Staatsbürgerrechte besitzt, aber in sozialer Hinsicht diskriminiert wird. Das abverlangte Loyalitätsbekenntnis zeige ihnen, daß sie jüdischen Bürgern in Israel nicht gleichgestellt seien.

Die Zeitung "Jediot Achronot" schloß sich der Auffassung an, Netanjahu wolle mit der Gesetzesänderung das rechte Lager in seiner Koalition besänftigen, um auf diese Weise mehr Unterstützung für eine mögliche Verlängerung des Baustopps in den Palästinensergebieten zu sichern. Am 26. September war ein auf zehn Monate befristetes Moratorium im Westjordanland abgelaufen. Die Palästinenser wollen die Friedensverhandlungen nur dann fortsetzen, wenn der Baustopp verlängert wird.

Zu den wenigen entschiedenen israelischen Kritikern gehörte die Gesellschaft für Bürgerrechte (ACRI). In einem offenen Brief schrieb Rechtsanwalt Oded Feller, das neue Gesetz mißachte das Recht auf freie Meinungsäußerung. "Ein Staat, der eine Ideologie kontrolliert, eine Loyalitätserklärung fordert, der den Glauben, die Ansichten und Meinungen seiner Bürger überwacht, ist keine Demokratie." Nach der Abstimmung im Kabinett protestierten in Tel Aviv rund 100 Intellektuelle und Künstler gegen die Gesetzesänderung.

Medien in den arabischen Ländern geißelten den israelischen Kabinettsbeschluß mit scharfen Worten. "Israel wird von einem rassistischen zu einem faschistischen Staat", befand die libanesische Zeitung "Al-Safir". Die Zeitung "Khaleej Times" aus Abu Dhabi kam zu dem Schluß, man wolle die Palästinenser zwingen, "alle ihre Rechte auf das Land aufzugeben, das seit Tausenden von Jahren ihre Heimat ist". Ein Kommentator der jordanischen Zeitung "Al-Dustur" schlug vor, die israelische Regierung solle den Namen des Landes in "Jüdische Republik Israel" ändern. [8]

Als gewiefter Machtpolitiker ist Netanjahu stets bestrebt, die Forderungen seiner eigenen Partei, den Druck seiner Koalitionspartner vom äußersten rechten Flügel und die Wünsche der US-Regierung miteinander unter einen Hut zu bringen, ohne seiner Handlungsoptionen beraubt zu werden. Er erfüllt eine Zusage in der Koalitionsvereinbarung mit Avigdor Lieberman und erwartet im Gegenzug die Duldung eines verlängerten befristeten Baustopps, um Washington weiter mit leeren Versprechen abspeisen zu können. Ihm zur Seite steht Verteidigungsminister Ehud Barak von der Arbeitspartei, der dem Gesetzentwurf zustimmen will, sofern dem Wortlaut des geforderten Treueids die Worte "im Geist der Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung" hinzugefügt werden, die allen Bewohnern Israels gleiche Rechte zusichert. Natürlich ist Barak nicht entgangen, daß er damit einerseits eine Gleichheitsformel installieren möchte, während er andererseits mit dem akzeptierten Schwur auf den jüdischen Staat auf krasseste Weise die Ungleichheit der Bürger Israels befördert. Dies unterstreicht die unausgesetzte Drift der israelischen Parteipolitik nach rechts, die sich in der Analyse keineswegs auf ein kurzfristiges innenpolitisches Phänomen reduzieren läßt, sondern Staat und Gesellschaft auf ihrem reaktionären Kurs vorantreibt.

Längst verlangt Netanjahu von Mahmud Abbas, die Palästinenser müßten Israel als jüdischen Staat anerkennen, da das eine der unverzichtbaren Voraussetzungen eines künftigen Friedensabkommen sei. Natürlich lehnt die Autonomiebehörde unter Verweis auf die arabische Minderheit in Israel dieses Ansinnen vorerst ab, doch sitzt ihr dabei auch die US-Regierung im Nacken, die ihrerseits die Definition Israels als jüdischer Staat sukzessive befördert, so daß diese Formel inzwischen Einzug in die diplomatischen Verlautbarungen gehalten hat.

Anmerkungen:

[1] Israel als "jüdischer Staat". Regierung verlangt Treueschwur von Immigranten (10.10.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,722324,00.html

[2] Rassistischer Gesetzentwurf. Israels Bürger sollen künftig einen Loyalitätseid auf den "jüdischen Staat" leisten (11.10.10)
junge Welt

[3] Beschluss des israelischen Kabinetts. Einwanderer sollen auf jüdischen Staat schwören (11.10.10)
http://www.swr.de/nachrichten/-/id=396/nid=396/did=7003512/vsb7kp/

[4] Israelisches Kabinett stimmt für umstrittenen Treueschwur (11.10.10)
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5iv8swv-RRvKcviIphpW5YkC0IWhA?docId=CNG.9bdaba7d6dbaaa1a884dcf9120fcebc2.2a1

[5] Loyalitätseid. Israel schwört Bürger ein (11.10.10)
http://www.ksta.de/html/artikel/1285337962905.shtml

[6] Kabinett beschließt Treueschwur für nichtjüdische Einwanderer (11.10.10)
http://www.israelnetz.com/themen/innenpolitik/artikel-innenpolitik/datum/2010/10/11/kabinett-beschliesst-treueschwur-fuer-nichtjuedische-einwanderer/

[7] Israeli Cabinet Approves Citizenship Amendment (10.10.10)
New York Times

[8] Umstrittene Regelung. Israels Treueschwur-Plan empört arabische Welt (11.10.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,722444,00.html

11. Oktober 2010