Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1054: Problem Gaddhafi - Ein Fall für die Hisb Allah? (SB)


Problem Gaddhafi - Ein Fall für die Hisb Allah?

Alle wollen Gaddhafi weghaben - aber wer übernimmt die Drecksarbeit?


International findet eine erregte Debatte darüber statt, was man angesichts des Chaos in Libyen, wo Staatschef Muammar Gaddhafi den vor wenigen Tagen ausgebrochenen Aufstand gegen sein Regime mit allen Mitteln zu verhindern versucht und im Falle seines Tods als "Märtyrer" ein zweites Somalia zu hinterlassen droht, unternehmen soll. Während Zehntausende Auftragsarbeiter aus Ägypten und Tunesien auf dem Landweg in ihre Heimat fliehen, haben die anderen Mittelmeerstaaten Fähren nach Libyen geschickt, um ihre Bürger vor dem Gewaltausbruch zu retten. Weiter entfernt liegende Staaten schicken Passagiermaschinen und Regierungsjets, um ihre Bürger vom Flughafen der libyschen Hauptstadt Tripolis abzuholen. Dort sollen ganz schlimme Zustände herrschen.

Darüber hinaus hat man nichts unternommen, doch werden eine ganze Reihe von Optionen öffentlich diskutiert. Wegen der zahlreichen Berichte, Gaddhafi lasse seine Luftwaffe Angriffe auf Zivilisten, Demonstranten und Aufständische durchführen, hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Verhängung einer Flugverbotszone im libyschen Luftraum angeregt, die von der NATO bzw. der EU durchgesetzt werden sollte. Für eine solche Maßnahme wäre eine Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen erforderlich. Die ist bisher jedoch nicht in Sicht, zumal Sarkozy für seine Idee nicht einmal den britischen Premierminister David Cameron hat gewinnen können - was natürlich einen Schatten auf die Pläne von London und Paris bezüglich einer gemeinsamen britisch-französischen Außen- und Sicherheitspolitik wirft.

Barack Obama als Präsident der Supermacht USA hält sich dagegen alle Handlungsmöglichkeiten frei. In seiner ersten Stellungnahme zur Lage in Libyen hat Obama am 23. Februar im Weißen Haus, mit Außenministerin Hillary Clinton an seiner Seite, zwar Gaddhafi nicht direkt angegriffen - angeblich aus Angst, dessen Anhänger könnten die verbliebenen Amerikaner im Lande als Geisel nehmen -, sich jedoch zutiefst besorgt über die jüngsten Entwicklungen gezeigt und dabei erklärt, er habe seine Regierung gebeten, "die volle Bandbreite an Optionen" zur Bewältigung der internationalen Krise vorzubereiten. Die Formulierung impliziert auch die Vorbereitung von militärischen Einsatzplänen, wozu Verteidigungsminister Robert Gates und Generalstabschef Michael Mullen den entsprechenden Befehl an die Verantwortlichen im Pentagon, bei dem zuständigen Regionalkommando AFRICOM und der sechsten US-Flotte im Mittelmeer mit Sicherheit längst erteilt haben.

Als eventuelle Maßnahme wird über die Verhängung von Sanktionen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diskutiert. Doch bis diese beschlossen worden sind und zu greifen beginnen, kann es noch lange dauern. Also erscheinen Sanktionen als ein ungeeignetes Mittel, um eine kurzfristige Besserung der Lage, die sich stündlich verschlechtert, herbeizuführen. Derzeit scheinen die Aufständischen, zu denen offenbar weite Teile der libyschen Armee übergelaufen sind, auf dem Vormarsch zu sein. Wenngleich Gaddhafis Getreue und die ausländischen Söldner, die er ins Land geholt hat, die Regionen wahrscheinlich nicht werden zurückerobern können, welche sich von der Kontrolle Tripolis' befreit haben, stehen Befürchtungen im Raum, daß sich Gaddhafi mit einem ganz großen Knall von der historischen Bühne verabschieden oder den entstandenen Bürgerkrieg solange fortsetzen könnte, bis aus Libyen tatsächlich ein zweites Somalia geworden ist.

Diesen Befürchtungen hat der libysche Diktator selbst Auftrieb verliehen, als er bei einer schaurigen Fernsehrede am 22. Februar seine Gegner als "Ratten" und "Kakerlaken" beschimpfte und erklärte, mit deren Tötung hätte er noch nicht einmal begonnen. Dabei hatten zu diesem Zeitpunkt Gaddhafis Schergen die Regimegegner in Tripolis, Benghazi und anderen Städten bereits zu Hunderten massakriert. Die große Mengen an konventionellen Waffen, über die Gaddhafis Einheiten verfügen, seine verbliebenen Senfgasbestände und Scud-Raketen haben die Überlegung, die in einem Leitartikel der britischen Tageszeitung Guardian vom 24. Februar erwähnt wurde, aufkommen lassen, die Arabische Liga könnte die ägyptische Armee, bekanntlich eine der größten der Welt, beauftragen, in Libyen einzumarschieren, um dem Aufstand dort zum Sieg zu verhelfen und das Gaddhafi-Regime ein für allemal zu beseitigen.

Sollte der Ernstfall nach dem Völkerrecht tatsächlich eintreten, wäre sicherlich eine solche Option einem Szenario vorzuziehen, in dem die westlichen Großmächte die Hauptrolle spielten. Doch wenn man mit Gedanken hinsichtlich einer eventuellen Regionallösung des Problems Gaddhafi spielt, fällt einem die libanesisch-schiitische Hisb-Allah-Miliz als Organisation ein, die gern diese Aufgabe übernehmen würde und die dazu auch geheimdienstlich und militärisch in der Lage wäre. Vor allen Dingen hätten die Männer um Scheich Hassan Nasrallah ein überaus starkes Motiv, sich Gaddhafi vorzunehmen und sich an ihm zu rächen.

Am 31. August 1978 verschwand Iman Musa Al Sadr, damals einer der höchsten schiitischen Geistlichen der Welt, zusammen mit zwei Begleitern, Scheich Mohammed Yaqoub und dem Journalisten Abbas Baddredine, während eines offiziellen Besuchs in Libyen, zu dem Gaddhafi ihn persönlich eingeladen hatte. Der Vorfall belastet seitdem die Beziehungen zwischen dem Libanon und Libyen schwer. Bis heute ist das Schicksal der drei Männer vollkommen ungewiß. Sie könnten lange tot sein oder immer noch in einem libyschen Kerker ihr Dasein fristen. Mit Sicherheit wird die Hisb Allah, die derzeit die wichtigste Macht hinter der Regierung des Libanons darstellt, die politischen Veränderungen in Libyen zum Anlaß nehmen, den Verbleib Al Sadrs und seiner damaligen Reisebegleiter zu klären. Bedenkt man, wie wichtig das Thema für die Hisb Allah immer gewesen ist, sind deren Kämpfer womöglich bereits in Libyen und gehen der Spur Al Sadrs nach.

24. Februar 2011