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NAHOST/1074: Israel und USA hintertreiben Aussöhnung von Fatah und Hamas (SB)


Drohkulisse zur Spaltung palästinensischen Widerstands


Die erbitterte Feindschaft zwischen Fatah und Hamas ist nicht zuletzt eine von Israel und den USA über Jahrzehnte perfektionierte Strategie zur dauerhaften Spaltung palästinensischen Widerstands. Eine Versöhnung der beiden Fraktionen wäre daher für das Besatzungsregime und seine Schutzmacht katastrophal, weshalb sie alle Hebel in Bewegung setzen, die Annäherung zu hintertreiben. Israelische Regierungen hatten die Hamas einst gezielt unterstützt und gestärkt, um die Fatah zu schwächen. Als die Hamas den Widerstand gegen die Besatzung in ihre Agenda aufnahm und dabei an Radikalität die Fatah übertraf, wurde letztere von israelischer und US-amerikanischer Seite für den Sturz der Hamas ausgerüstet und finanziert. Die Operation mißlang und führte zur Vertreibung der Fatah aus dem Gazastreifen, so daß sich die territoriale und politische Fragmentierung der Palästinenser zu verewigen schien.

Die vielfach geäußerte Annahme, die Umwälzungen in der gesamten Region hätten auch die palästinensische Jugend erfaßt, deren Druck die Annäherung der Führungen von Fatah und Hamas wenn nicht ausgelöst, so doch beschleunigt habe, ist nicht von der Hand zu weisen, wenngleich sie nur einen unter mehreren relevanten Aspekten hervorhebt. Im Gazastreifen und Westjordanland hatten Zehntausende Palästinenser gegen die Spaltung demonstriert. Hinzu kommt die angekündigte einseitige Ausrufung des Palästinenserstaats in Reaktion auf die nicht zu erkennende Bereitschaft der israelischen Regierung, den Friedensprozeß ernsthaft zu befördern. Die Palästinenser wollen im September mit Hilfe der UNO im Westjordanland, Gazastreifen und Ostteil Jerusalems einen unabhängigen Staat gründen. Der palästinensische Ministerpräsident Salam Fayad bezeichnete die Kluft zwischen Hamas und Fatah als größtes Hindernis auf dem Weg zu einem eigenen Staat. Im März hatte die Hamas erstmals seit vier Jahren einem Besuch von Mahmud Abbas im Gazastreifen zugestimmt. Dieser zeigte sich bemüht, den Weg für die längst überfälligen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu bahnen, wobei er unterstrich, selbst nicht wieder kandidieren zu wollen.

Nun haben sich Fatah und Hamas nach fünfjährigem Streit überraschend auf die Bildung einer Einheitsregierung und einen Wahltermin geeinigt. Eine Übergangsregierung solle bereits in den kommenden Tagen gebildet werden und für den Gazastreifen und das Westjordanland zuständig sein. Nach Geheimverhandlungen unter der Vermittlung Ägyptens erklärte ein Sprecher der Hamas, beide Seiten hätten Absichtserklärungen unterzeichnet und alle Streitpunkte beigelegt, darunter auch Fragen zum Grenzverlauf und der Sicherheit. Nach Angaben der Fatah soll in acht Monaten gewählt werden. [1]

Unter dem Regime Hosni Mubaraks hatte Ägypten seit Jahren vergeblich vorgehalten, die verfeindeten palästinensischen Fraktionen zusammenführen zu wollen. In Kreisen der Hamas mißtraute man einer Vermittlung der Regierung in Kairo, die mit Israel nicht nur bei der Abriegelung des Gazastreifens kollaborierte und der Muslimbruderschaft im eigenen Land mit Feindseligkeit und Repressalien begegnete. Der rasche Erfolg der neugebildeten ägyptischen Regierung dokumentiert deren Bereitschaft, bei unveränderten Beziehungen zur israelischen Führung zumindest bei der Vermittlung einer Aussöhnung der Palästinenser Reformwillen zu demonstrieren. [2]

Die israelische Regierung reagierte mit unverhohlener Ablehnung auf die Einigung der führenden palästinensischen Fraktionen. Wie Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, müsse sich Mahmud Abbas zwischen Frieden mit Israel und der Hamas entscheiden: "Es gibt nicht die Möglichkeit, mit beiden Frieden zu schließen." Mit einer Autonomiebehörde unter Beteiligung der Hamas seien Verhandlungen ausgeschlossen. Zugleich wertete Netanjahu die Versöhnung als Zeichen einer Schwäche der Palästinenserbehörde. Es stelle sich die Frage, ob die Hamas auch im Westjordanland die Kontrolle übernommen habe.

Außenminister Avigdor Lieberman drohte der palästinensischen Autonomiebehörde harsche Konsequenzen an. "Mit dieser Übereinkunft ist eine rote Linie überschritten worden", erklärte er im israelischen Militärrundfunk. Es gebe ein "riesiges Arsenal von Mitteln", mit dem man gegen die Autonomiebehörde vorgehen könne. So sei es möglich, Mahmud Abbas und Salam Fajad den Sonderstatus abzuerkennen. Damit wäre es ihnen nicht mehr möglich, sich frei im Westjordanland zu bewegen. Überdies könne der Transfer von Steuergeldern eingefroren werden, die Israel für die Autonomiebehörde erhebt. [3]

Auch die Regierung in Washington wurde von der Einigung überrascht, die ihre Strategie zu unterlaufen droht, Abbas zum einzig legitimen Gesprächspartner zu erklären, die Autonomiebehörde mit Millionen von Dollars zu subventionieren und deren Sicherheitskräfte auszubilden und auszurüsten. Prompt bekräftigte die US-Regierung, daß sie die Hamas als terroristische Vereinigung betrachte und jede künftige Palästinenserregierung der Gewalt abschwören, mit Israel geschlossene Abkommen einhalten und dessen Existenzrecht anerkennen müsse, so Regierungssprecher Tommy Vietor in Washington.

In einem Sturm der Entrüstung forderte die pro-israelische Lobby im Kongreß, man müsse den Palästinensern sämtliche Hilfsgelder entziehen, sofern die Hamas an ihrer Regierung beteiligt werde. Er könne sich nicht vorstellen, daß die Obama-Administration oder der US-Kongreß bereit seien, eine Regierung finanziell zu unterstützen, die von einer terroristischen Organisation dominiert wird, erklärte der Demokrat Gary L. Ackerman aus New York. Unter Präsident George W. Bush hatten die USA 2005 begonnen, die Autonomiebehörde mit bislang 542 Millionen Dollar zu finanzieren, wobei insbesondere die Unterstützung der palästinensischen Sicherheitskräfte von Teilen der Israellobby mit Argwohn verfolgt wurde. Eine vergleichbare Militärhilfe, die seit 2006 an die libanesische Regierung gezahlt wurde, blockierte der US-Kongreß aufgrund der Mutmaßung, Teile der Armee hätten sich mit der Hisbollah verbündet. [4]

Auch die Bundesregierung stimmte in den Chor der Kräfte ein, die eine Versöhnung der palästinensischen Fraktionen zu verhindern trachten. Außenminister Guido Westerwelle reagierte mit Skepsis auf die Einigung der bislang verfeindeten Fatah und Hamas: "Die Hamas ist für uns kein Gesprächspartner, weil wir nicht mit Organisationen zusammenarbeiten, die das Existenzrecht Israels mit Gewalt bekämpfen", sagte Westerwelle dem Tagesspiegel. Solange die Hamas an ihren radikalen Positionen festhalte, stehe diese Maxime nicht zur Disposition. Die Bundesregierung werde die konkreten Bedingungen der Vereinbarung zwischen Fatah und Hamas nun "genauestens prüfen". [5]

Als die Beschlüsse zur Annäherung von Fatah und Hamas auf einer Pressekonferenz in Kairo bekanntgegeben wurden, nannten die beiden Verhandlungsführer einander Brüder und erklärten, nun beginne ein neues Kapitel im Kampf der Palästinenser für ihre Unabhängigkeit. Man beende eine schmerzliche Periode in der Geschichte des palästinensischen Volkes, in der dessen Spaltung vorgeherrscht habe, unterstrich Moussa Abu Marzouk als Vertreter der Hamas. Aufgrund dieser Spaltung habe man dem Besatzungsregime Tür und Tor geöffnet, die Siedlungen auszuweiten. Heute schlage man diese Seite um und öffne eine neue. Assam al-Ahmad, der die Gespräche für die Fatah geführt hatte, wandte sich an die palästinensische Jugend, die auf der Straße ein Ende der Spaltung und der Besatzung gefordert hat. Die Periode des Zerwürfnisses habe beide Seiten eine harte Lektion in der Konfrontation mit dem Besatzungsregime gelehrt. Nun gehe man daran, die erhobenen Forderungen zu erfüllen. [6]

Wenngleich man wohl allenfalls vom Beginn einer lange für ausgeschlossen gehaltenen Annäherung zwischen Fatah und Hamas sprechen kann, deren letztendliche Versöhnung nur unter weitreichenden Veränderungen innerhalb dieser beiden Fraktionen möglich sein dürfte, ist ein Durchbruch nicht völlig von der Hand zu weisen. Wie die umgehenden Drohungen von Seiten Israels und dessen Verbündeten deutlich machen, haben jene Palästinenser, die für das Ende der Spaltung und des Besatzungsregimes auf die Straße gehen, den Nerv der Okkupation getroffen.

Anmerkungen:

[1] Fatah und Hamas auf Versöhnungskurs (27.04.11)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-04/hamas-fatah-versoehnung

[2] Israel reagiert unwirsch auf palästinensische Einigung (28.04.11)
NZZ Online

[3] Einigung mit Hamas. Israels Außenminister droht Fatah mit "riesigem Arsenal" (28.04.11)
www.zeit.de/politik/ausland/2011-04/lieberman-palaestina-israel

[4] Reconciliation Deal by Rival Factions Forces U.S. to Reconsider Aid to Palestinians (27.04.11)
New York Times

[5] Fatah und Hamas einigen sich: Westerwelle zeigt sich skeptisch (28.04.11)
http://www.stern.de/news2/aktuell/fatah-und-hamas-einigen-sich-westerwelle-zeigt-sich-skeptisch-1679147.html

[6] Fatah and Hamas Announce Outline of Deal (27.04.11)
New York Times

28. April 2011