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NAHOST/1087: Viagra soll NATO im Libyenkrieg neuen Pep verleihen (SB)


Viagra soll NATO im Libyenkrieg neuen Pep verleihen

Ohne Schauergeschichten über den Gegner kommt die NATO nicht aus


Die Agenda auf dem jüngsten Treffen der NATO-Verteidigungsminister am 8. und 9. Juni in Brüssel war lang. Ganz oben auf der Tagesordnung, und zwar vor Afghanistan und dem Ausbau des US-Raketenabwehrsystems in Europa stand Libyen. Dort versucht die selbsternannte, mächtigste Militärallianz der Geschichte seit nunmehr zwölf Wochen vergeblich das "Regime" Muammar Gaddhafis zu stürzen. Doch so richtig kommt die Kampagne nicht voran. Die einheimischen Gaddhafi-Gegner sitzen praktisch in ihrer Hochburg im ostlibyschen Benghazi fest. Auf das restliche Land springt der "demokratische" Funke trotz oder vielleicht gerade wegen der zahlreichen Luftangriffe der NATO nicht über, da sie Tod und Leid über jene Zivilisten bringen, zu deren vermeintlichen Schutz sich das westliche Militärbündnis Mitte März ein Mandat vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Intervention - Resolution 1973 - geholt hatte.

Damals hieß es, es drohe ein Massaker unvorstellbaren Ausmaßes seitens der regierungstreuen Truppen an der libyschen Zivilbevölkerung, die sich mit friedlichen Protesten gegen die Gaddhafi-Regierung erhoben hätte. Später stellte sich heraus, daß sich die NATO in Libyen nicht auf die Seite einer vorbildlichen Demokratiebewegung, sondern eines bunten Haufens von Monarchisten, CIA-Handlangern, übergelaufenen Wendehälsen des alten "Regimes" und ehemaligen muslimischen Dschihadisten aus dem Dunstkreis Osama Bin Ladens und Musab Al Zarkawis, die in den vergangenen Jahren ihre militärischen Erfahrungen bei Überfällen und Bombenanschlägen auf die US-Streitkräfte in Afghanistan und im Irak erworben haben, geschlagen hatte. In der Berichterstattung der großen Medien wurde dieser Umstand durch die Dämonisierung des neuen und alten Schurken Gaddhafi fast gänzlich ausgeblendet.

Nichtsdestotrotz bringen die Dauer und die steigenden Kosten des Militäreinsatzes die NATO in Erklärungsnot. Im Washingtoner Kongreß und in Meinungsumfragen bläst Präsident Barack Obama, der anfangs behauptet hatte, der ganze Spuk würde innerhalb von Tagen bzw. höchsten Wochen vorbei sein, ein rauher Wind ins Gesicht. Auch in den anderen teilnehmenden Ländern wie Frankreich und Großbritannien kauft man den Regierungen ihre Durchhalteparolen nicht mehr ab, sondern verlangt konkrete Angaben, wie es weitergehen soll. Diese kann aber keiner liefern. Beim NATO-Treffen war man sich einig. Der Krieg in Libyen kann nur ein Ende mit der Kapitulation Gaddhafis finden. Doch wie dies bewerkstelligt werden soll und wie lange es dauern wird, weiß niemand. Nach jüngsten Angaben des konservativen britischen Außenministers William Hague könnte der Krieg in Libyen noch Ende des Jahres im Gange sein.

Angesichts der zunehmenden Ratlosigkeit dürfte es kein Zufall gewesen sein, daß am 8. Juni, rechtzeitig zum Auftakt des Verteidigungsministertreffens in Brüssel, der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Luis Moreno-Ocampo, bei einem Auftritt vor dem US-Sicherheitsrat der NATO propagandistisch zur Seite gesprungen ist. Mit der Behauptung, seine Ermittler hätten Hinweise dafür gefunden, daß Gaddhafi seine Truppen mit Viagra ausstatte und ihnen den Befehl zur Vergewaltigung von Regimegegnern und gefangengenommenen Feindeskämpfern erteilt habe, weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Leider gilt Gaddhafi in den Augen von Millionen von Menschen dermaßen als Bösewicht, daß viele Leute Moreno-Ocampo diese durchsichtige Propagandabotschaft abnehmen werden. Bereits Mitte Mai hatte der International Criminal Court (ICC) auf Anweisung des UN-Sicherheitsrats Ermittlungen gegen Gaddhafi und seine engsten Mitarbeiter wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen.

Nach der jüngsten Stellungnahme Moreno-Ocampos klingt es, als hätte der ICC endlich etwas gegen die Regierung in Tripolis in der Hand. Untersucht man die Aussage des Chefanklägers, stellt man fest, daß er lediglich in Besitz von "bestimmten Informationen" sein will, die auf eine Verantwortung Gaddhafis für irgendwelche Vergewaltigungen, von denen man nicht einmal sicher sein kann, daß es sie gegeben hat, hinweisen. Welche Informationen das sind, ist unklar. Man kann davon ausgehen, daß es sich um irgendwelche Erkenntnisse westlicher Geheimdienste handelt. Bereits Ende April hatte hinter verschlossenen Türen beim UN-Sicherheitsrat die US-Botschafterin Susan Rice als erste Person den ungeheuerlichen Vorwurf, Gaddhafi putsche seine Soldaten mittels Viagra zu wahren Sexbestien auf, erhoben.

Man muß leider davon ausgehen, daß bei den Kämpfern am Boden keine der beiden Seiten in dem von der NATO angeheizten bzw. überhaupt erst initierten libyschen Bürgerkrieg zimperlich mit feindlichen Gefangenen umgeht. Doch die Unterstellung, Gaddhafi und Konsorten bedienten sich barbarischer Methoden und hätten sich damit außerhalb der menschlichen Gemeinde gestellt, ist aller Wahrscheinlichkeit nach nichts als eine klassische Propagandafinte, die sich später, nachdem sie ihre Wirkung erzielt hat und der Krieg der ungleichen Gegner mit dem Sieg der NATO ausgegangen ist, als solches entpuppen wird. Zu stark ähnelt das Märchen von Gaddhafis Viagrapillen früheren Medienprodukten der Psychokrieger der USA und ihrer Verbündeten wie den erfundenen Geschichten von den Säuglingen, die Saddam Husseins Soldaten nach dem Einmarsch in Kuwait 1990 aus ihre Brutkästen geworfen hätten, oder von der schwangeren Albanerin, welche beim Kosovokrieg 1999 die serbischen Soldaten Slobodan Milosewics getötet haben, bevor sie deren Fötus aus der Leiche herausgeschnitten, am Spieß gegrillt und danach wieder in den Mutterleib geschoben haben. Daß derart überzogene, realitätsferne Schauergeschichten immer wieder funktionieren, spricht nicht gerade für die menschliche Intelligenz.

10. Juni 2011