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NAHOST/1100: Dauerpräsenz der USA im Irak nimmt Kontur an (SB)


Washington räumt letzte Hindernisse aus dem Weg


Mit rund 1,2 Millionen Toten, zahllosen Flüchtlingen, einem fraktionierten Staatswesen, dramatisch verfallenden Lebensverhältnissen und einer prekären Sicherheitslage haben die Iraker einen schrecklichen Preis für die US-amerikanische Invasion 2003 und acht Jahre Okkupation gezahlt. Ein Ende des Besatzungsregimes ist nicht abzusehen, da die Vereinigten Staaten ihre Präsenz im Zweistromland auf unabsehbare Zeit verlängern. Es ist nicht nur das Öl, welches Washington lockt, seine Hegemonie in dieser Weltregion auszubauen. Vielmehr soll der geostrategische Keil zwischen Rußland und China die Ausgangslage für die Schlachten von morgen entscheidend verbessern, die absehbar um die dramatisch schwindenden Sourcen des Überlebens geschlagen werden.

Daß die USA früher oder später den überwiegenden Teil ihrer Kampftruppen abziehen, jedoch ein beträchtliches Kontingent von Soldaten, zivilen Sicherheitsdienstleistern und anderen Garanten ihres prolongierten Zugriffs dauerhaft im Irak stationieren würden, war seit langem absehbar. Neu sind allenfalls die aktuellen Vorwände, mit denen die Fortsetzung der Okkupation begründet wird. Nach der bislang opferreichsten Woche dieses Jahres mit Bombenanschlägen in dreizehn Städten, bei denen mindestens 89 Menschen getötet und etwa 300 verletzt wurden, erklärte der Sprecher der US-Streitkräfte im Irak, Generalmajor Jeffrey Buchanan, daß nicht Al Kaida die größte Bedrohung für die Zukunft des Landes sei. Viel gefährlicher seien die schiitischen Milizen, da diese unablässig aus dem Iran unterstützt würden. Während Al Kaida derzeit über 800 bis 1000 Kämpfer im Land verfüge, bei denen es sich größtenteils um Einheimische handle, gebiete die bedeutendste von Teheran versorgte Miliz über mehrere tausend Mann, die ständig Nachschub erhielten. [1]

Da das Gros der US-Truppen Ende des Jahres abgezogen werden soll, erhöhen US-Militärs seit geraumer Zeit den Druck auf die irakische Führung, die Präsenz vorgeblicher Berater über diesen Zeitpunkt hinaus zu legitimieren. Die Farce, sich von den Statthaltern um weitere Unterstützung bitten zu lassen, wurde monatelang durch die politischen Machtkämpfe der Fraktionen in der Koalitionsregierung blockiert, bis sie schließlich in einem Kraftakt hinter verschlossenen Türen auf den Weg gebracht werden konnte. An der Bedrohungslage durch die Milizen und Al Kaida werde sich nach dem Abzug nichts ändern, da die Insurgenten überall dort auf den Plan träten, wo US-Truppen abgezogen werden, erklärte Generalstabschef Admiral Mike Mullen.

Unterdessen übte sich Buchanan im fadenscheinigen Doppelspiel, einerseits bedeutende Fortschritte zu konstatieren, die andererseits nicht noch längst nicht ausreichten. Während die irakischen Streitkräfte in diesem Jahr aus Fehlern gelernt und bemerkenswert bessere Resultate erzielt hätten, herrsche nach wie vor großes Mißtrauen unter den verschiedenen Sektoren der Sicherheitskräfte. So neigten sie insbesondere dazu, Informationen nicht zu teilen, was ihre Fähigkeit schwäche, Angriffe wie die jüngste Anschlagswelle auf dem Vorwege zu verhindern. Dieses fehlende Vertrauen sei ein Erbe der Ära Saddam Husseins, behauptete der Sprecher der US-Streitkräfte unverfroren, als habe die Invasion und Okkupation das Land nicht gezielt in rivalisierende Blöcke gespalten.

Die Wucht zahlreicher und nahezu zeitgleicher Anschläge sorgte für beträchtliche Irritationen in Washington, wo man sich zweifellos einen glatten Übergang in die kommende Phase verdeckter Besatzung gewünscht hätte. Außenministerin Hillary Clinton erklärte, "der Verlust von Menschenleben und die Fähigkeit dieser Terroristen, weiterhin im Irak zu operieren", erfülle sie mit Abscheu. Allerdings könne das Land wesentlich mehr tun, um sich selbst zu schützen. Die Iraker verfügten heute über größere Kapazitäten als in der Vergangenheit, müßten sie aber auch zur Anwendung bringen, sagte sie bei einem gemeinsamen Auftritt mit Verteidigungsminister Leon Panetta. "Unser Kampfeinsatz im Irak endet mit diesem Jahr." Sollte es künftig eine Mission zur Unterstützung und Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte geben, müsse diese nun diskutiert werden. [2]

Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse der zerstrittenen Koalitionäre in Bagdad, die bei dem Geheimtreffen herbeigeführte Einigung auf Regierungsebene nicht zu gefährden. In Reaktion auf die Anschlagsserie, die einen erneuten Ausbruch blutiger Fraktionskämpfe im Land befürchten lassen, hatte Premierminister Nuri Kamal al-Maliki endlich einen Verteidigungsminister ernannt. Dabei handelt es sich mit Sadun al-Dulaimi zwar um einen Schiiten, der jedoch dem sunnitischen Regierungschef gewogenen ist. Hingegen ging der schiitische Koalitionspartner Iraqiya leer aus, dem dieser Ministerposten fest zugesagt war. Während aus Kreisen des Premierministers verlautete, es sei kein Kandidatenvorschlag eingegangen, macht Iraqiya das Gegenteil geltend: Man habe sehr wohl Vorschläge gemacht, die jedoch durchweg ignoriert worden seien. Es kursieren recht plausible Spekulationen, al-Maliki habe einen ihm nahestehenden Verteidigungsminister vorgezogen, da er andernfalls die Gefahr eines Putsches nicht ausschließen wollte.

Diese Zerrissenheit der irakischen Regierung fällt den US-Besatzern insofern auf die Füße, als sie die pseudodemokratische Absegnung ihrer künftigen Präsenz gefährdet und darüber hinaus die postulierte Stabilisierung der Sicherheitslage als Propaganda zu entlarven droht. Die Eindämmung der Kriegshandlungen war den US-Streitkräften nur gelungen, weil sie die Spaltung vorantrieben, die Fraktionen gegeneinander hetzten und sich Verbündete kauften. Sunniten und Schiiten zum regionalen Bruderkrieg anzustacheln, ist seit Jahrzehnten ein maßgeblicher Entwurf der US-Strategen zur Spaltung und Einverleibung der arabischen Welt. Der Irak ist ein Paradebeispiel für die mörderischen Folgen dieses Eingriffs, der den gesamten Nahen Osten in einen verheerenden Krieg stürzen könnte.

Verhindern wird der tiefsitzende Konflikt der politischen Fraktionen im Irak das Vorhaben Washingtons nicht. Sollte Premierminister al-Maliki die US-Streitkräfte bitten, weiterhin im Land zu bleiben, wäre es unverantwortlich, ihm nicht zuzuhören, signalisierte Clinton, daß es im Zweifelsfall auch ohne das Parlament in Bagdad geht. Panetta kündigte unverblümt an, daß man eine langfristige Partnerschaft mit dem Irak aufrechterhalten werde, um dessen Stabilität sicherzustellen, sei es nun diplomatisch oder militärisch. Die Präsenz von US-Truppen zur Ausbildung und Unterstützung bei "Operationen gegen den Terrorismus" sei Verhandlungssache der Regierungen in Washington und Bagdad. [3]

Noch in der Präsidentschaft George W. Bushs wurde das Abkommen Status of Forces Agreement (SOFA) ausgehandelt, wonach die verbliebenen 48.000 US-Soldaten bis Ende 2011 den Irak verlassen. In dem Vertrag wurde zugleich die Option einer verlängerten Präsenz von "Ausbildern" festgeschrieben, sollte die irakische Regierung dies wünschen. Wie inzwischen bekannt geworden ist, will Washington auch nach 2011 bis zu 10.000 Soldaten im Irak stationieren. Auch wurde der riesige Stützpunkt Camp Delta nahe der Grenze zum Iran bislang nicht unter irakische Kontrolle gestellt, sondern mit großem Aufwand erweitert.

Das US-Außenministerium wird künftig voraussichtlich rund 17.000 Zivilisten im Umfeld seiner Botschaft in Bagdad beschäftigen, die zur weltgrößten ausgebaut wurde. In dieser Zahl enthalten sind mindestens 5000 schwerbewaffnete Söldner von DynCorp International enthalten, denen eine Flotte eigener Kampfhubschrauber zur Verfügung steht. Auch hat das Pentagon einen Vertrag mit einem privaten Dienstleister über geheimdienstliche Tätigkeit von der Armee an das Außenministerium abgegeben, so daß die Aufstandsbekämpfung im besetzten Irak über 2011 hinaus sichergestellt ist.

Fußnoten:

[1] http://www.csmonitor.com/USA/Military/2011/0816/Biggest-threat-to-Iraq-Iran-backed-militias-not-Al-Qaeda-US-official-says

[2] http://www.nytimes.com/2011/08/17/world/middleeast/17iraq.html

[3] http://www.wsws.org/articles/2011/aug2011/iraq-a17.shtml

18. August 2011