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NAHOST/1106: Teil des Gaddhafi-Klans rettet sich nach Algerien (SB)


Teil des Gaddhafi-Klans rettet sich nach Algerien

Bereitet "Al Kaida" den "Regimewechsel" auch in Algier vor?


Am 30. August hat die Regierung Algeriens bestätigt, daß sie Muammar Gaddhafis zweiter Ehefrau Safia, seinen Söhnen Hannibal und Mohammed sowie seiner Tochter Aisha Zuflucht vor den Kriegswirren in Libyen gewährt hat. Gegenüber der BBC begründete Mourad Benmehidi, der algerische Botschafter bei den Vereinten Nationen, den Schritt mit humanitären Überlegungen sowie mit der in der nordafrikanischen Maghrebregion herrschenden "heiligen Regel der Gastfreundschaft". Aus Libyen erfolgte eine empörte Reaktion seitens der Anti-Gaddhafi-Kräfte, die sich Nationaler Übergangsrat nennen und die von den meisten westlichen Staaten inzwischen als legitime Regierung in Tripolis anerkannt worden sind. Die Gegner Gaddhafis, die derzeit zum Sturm auf dessen Geburtsstadt Sirtre blasen, verlangen von Algier die Auslieferung der Familienmitglieder des gestürzten, aber sich noch nicht geschlagen gebenden Revolutionsführers.

Die Wahrscheinlichkeit, daß die Algerier auf die Forderung der Möchtegern-Machthaber in Libyen eingehen, ist gering. Ungeachtet dessen oder vielleicht gerade deshalb fällt die Reaktion in den deutschen Medien auf die Geste Algeriens besonders heftig bzw. unverhältnismäßig aus. Als sich beispielsweise Saddam Husseins Ehefrau und Töchter nach dem angloamerikanischen Einmarsch in den Irak 2003 nach Syrien absetzten, hat sich keiner besonders darüber aufgeregt und deren sofortige Auslieferung verlangt. Diesmal liegen die Dinge aber anders. Der "Regimewechsel" in Libyen ist nur Teil einer breitangelegten Neuordnung der politischen Verhältnisse im arabischen Raum, welche die USA und ihre NATO-Partner Großbritannien, Frankreich und Italien mit Hilfe der autokratischen Herrscher in Katar, Jordanien und Saudi-Arabien sowie diverser "zivilgesellschaftlicher Gruppierungen", darunter auch der mächtigen Muslimbruderschaft, in ihrem Sinne zu lenken versuchen.

So war es nicht nur als Tadel, sondern auch als Drohung zu verstehen, als es am 30. August im Spiegel Online, dem Leitmedium in Sachen deutscher Außenpolitik, hieß, mit der Entscheidung, einen Teil des Gaddhafi-Klans ins Land zu lassen, hätte sich Algerien "bewußt ins Abseits gestellt". Die Formulierung strotzt vor derselben Selbstzufriedenheit und Arroganz, die US-Präsident Barack Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton an den Tag legen, wenn sie unter anderem Syriens Präsident Bashar Al Assad davor warnen, sich nicht "auf die falsche Seite der Geschichte" zu stellen. In beiden Fällen spricht sich ein Imperialismus aus, der keinen Widerspruch duldet.

Führt man sich das, was in Nordafrika passiert, vor Augen und wirft einen Blick in die Geschichte, so hat Algerien mehr als nur humanitäre Gründe, das aktuelle Geschehen in Libyen, das hierzulande als demokratischer Aufbruch und Sieg der Freiheit und so weiter und so fort gefeiert wird, mit Skepsis zu betrachten. An dem Aufstand gegen Gaddhafi sind maßgeblich die Franzosen beteiligt, die die Algerier erst nach acht Jahre schlimmsten Krieges 1962 aus dem eigenen Land vertreiben konnten. Und nun soll eine von Paris' Gnaden abhängige Regierung die Macht im Nachbarland übernehmen? Darüber hinaus ist es kein Geheimnis, daß ein hoher Prozentsatz der Kämpfer in den Reihen der Gaddhafi-Gegner Islamisten sind, die in Afghanistan und im Irak bereits den Umgang mit Schußwaffen und Sprengmaterial gelernt haben. Die aktuelle Zweckehe zwischen den angeblichen Todfeinden NATO und Al Kaida könnte, sobald das Thema Gaddhafi erledigt ist, in einem bitteren und blutigen Disput enden.

In Algerien hat man selbst schlimmste Erfahrungen mit den Islamisten gemacht. In den neunziger Jahren tobte dort ein Bürgerkrieg zwischen Armee und muslimischen Rebellen, der Hunderttausende von Menschen das Leben gekostet hat. Damals hat der Westen das harte Vorgehen Algiers gegen die islamischen Parteien und deren Kampfgruppen unterstützt. Praktisch bis gestern galt Algerien als absolut verläßlicher Partner im "globalen Antiterrorkrieg". Nun aber will man plötzlich entdeckt haben, daß dort unter Präsident Abd Al Asis Bouteflika auch ein Ein-Parteien-System herrscht (Gerade Bouteflika war es in den letzten zehn Jahren durch eine Generalamnestie gelungen, den Bürgerkrieg beizulegen und eine neue Verfassung vom Volk verabschiedet zu bekommen; 2009 wurde er mit Überwältigender Mehrheit zum dritten Mal für fünf Jahre zum Staatsoberhaupt und Regierungschef in einem gewählt)

Wie der Zufall so will, hat Al Kaida im Maghreb am 26. August einen der schwersten Anschläge seit Jahren in Algerien verübt, als sie in der Hafenstadt Cherchell eine Bombe in einer Militärkaserne zum Explodieren brachte und dabei 16 Soldaten und zwei Zivilisten tötete. In einem Bekennerschreiben wurde der Anschlag als Vergeltung für die angebliche Waffenhilfe der Algerier für das "Regime" Gaddhafis ausgewiesen. Interessanterweise fühlten sich offenbar keine westlichen Regierungschefs oder Außenminister aufgerufen, vor den Kameras der Weltpresse zu posieren und Worte des Entsetzens und der moralischen Entrüstung über dieses feige Attentat in die aufgereihten Mikrophone zu sprechen. Vielleicht, weil nicht alles, was "Al Kaida" tut, böse ist, sondern hin und wieder den Geist der Geschichte im "positiven" Sinne vorantreibt?

31. August 2011