Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1108: US-Hardliner pochen auf die Auslieferung Al Megrahis (SB)


US-Hardliner pochen auf die Auslieferung Al Megrahis

Demokratie "Made in the USA" zeigt ihre widerwärtigste Seite


Zwar gibt sich Muammar Gaddhafi nicht geschlagen und die Kämpfe in Libyen zwischen seinen Anhängern und den Rebellen dauern noch an, dennoch wähnen sich manche Hardliner in den USA einem wichtigen Ziel nahe. Kaum waren die Kämpfer der Anti-Gaddhafi-Koalition aus Al-Kaida-Dschihadisten, ehemaligen Ministern des alten "Regimes", Monarchisten und CIA-Aktivposten am 20. August in die libysche Hauptstadt Tripolis eingedrungen, da meldeten sich in den USA führende Verfechter des "globalen Antiterrorkrieges" zu Wort und verlangten die Auslieferung von Abdelbaset Al Megrahi, dem angeblichen Verantwortlichen für den Anschlag von Lockerbie, der am 20. Dezember 1988 270 Menschen - alle 259 Insassen des Pan-Am-Jumbos "Maid of the Seas" und elf Bewohner der schottischen Ortschaft - das Leben kostete.

Im August 2009 hat die Regierung in Edinburgh dem krebskranken Al Megrahi, der 2001 von einem schottischen Sondergericht im niederländischen Camp Zeist des Massenmordes für schuldig befunden worden war, aus humanitären Gründen unter Auflagen die Rückkehr nach Libyen gestattet, damit er dort im Kreis seiner Familie in Frieden sterben könne. Schon damals erregten sich Politiker und Medien im Westen über Fernsehbilder vom jubelnden Empfang Al Megrahis am Flughafen von Tripolis maßlos. Nachrichtensprecher und Kommentatoren unterstellten den Libyern, sie feierten einen der schlimmsten "Terroristen" und hießen den Massenmord an 270 westlichen Bürgern, die allermeisten von ihnen Briten und Amerikaner, gut. Die Tatsache, daß Al Megrahi stets seine Unschuld beteuert hat und seine Landsleute ihn für einen Helden halten, der sich freiwillig zum Sündenbock abstempeln ließ, um Gaddhafis Libyen den Weg aus der diplomatischen und wirtschaftlichen Isolation freizumachen, wurde natürlich verschwiegen.

Dazu ist anzumerken, daß der offizielle UN-Beobachter, Prof. Hans Köchler von der Universität Innsbrück, nach dem Schuldspruch im Lockerbie-Prozeß wortwörtlich von einem "Justizirrtum" gesprochen hat. Sechs Jahre später hat die Scottish Criminal Cases Review Commission (SCCRC) nach einer umfassenden Untersuchung einen 800seitigen Bericht verfaßt, in dem sie zahlreiche Aspekte des Urteils für mangelhaft erklärte und einen neuen Prozeß empfahl. 2009 wurde Al Megrahi nur deshalb aus dem Gefängnis entlassen, weil er zuvor auf sein Recht auf Berufung verzichtet hatte.

Im Herbst 2010 tobten in den USA die Zwischenwahlen zum Repräsentantenhaus und Senat. Da spielten führende demokratische und republikanische Politiker aus New York und New Jersey, denjenigen Bundesstaaten, die die meisten der amerikanischen Lockerbie-Opfer zu beklagen hatten, den Umstand, daß Al Megrahi immer noch nicht gestorben war, hoch. Lauthals warfen sie den Behörden in Edinburgh und London vor, Al Megrahi im Austausch gegen lukrative Ölverträge für die britische Energieindustrie ziehen gelassen zu haben - ganz so, als seien die Amerikaner die einzigen auf der Welt, die dem Prinzip der Gerechtigkeit die Treue hielten. Man verlangte, daß sich Mitglieder der britischen und schottischen Regierung nach Washington begeben sollten, um vor dem Kongreß ihr Handeln in der umstrittenen Affäre zu rechtfertigen. Nicht umsonst haben die Politiker in Edinburgh und London das Wahlkampfgetöse auf der anderen Seite des großen Teichs einfach ignoriert.

Durch den mit Hilfe der NATO-Streitkräfte herbeigeführten "Regimewechsel" in Libyen ist der unappetitliche Streit erneut ausgebrochen. Da hatten die Kämpfer des Nationalen Übergangsrats Tripolis noch nicht gänzlich unter ihre Kontrolle gebracht, als sich bereits am 22. August Kirsten Gillibrand, die demokratische Senatorin aus New York, und Mitt Romney, der ehemalige Gouverneur von Massachusetts und heutige Bewerber um die Nominierung zum offiziellen republikanischen Kandidaten für die Präsidentenwahl 2011, mit der Forderung nach einer Auslieferung Al Megrahis in die USA zu Wort meldeten, um ihn endlich seiner "gerechten" Strafe zuzuführen. Die Chancen, daß diese Forderung in Erfüllung gehen wird, ist jedoch gering, seit am 28. August der Nachrichtensender CNN die traurigen Bilder ihres Reporters Nic Robertson aus der Villa Al Megrahis in Tripolis von dem bereits ins Koma gefallenen, dem Tod nahen ehemaligen Geheimdienstler ausstrahlte.

Der desaströse gesundheitliche Zustand Al Megrahis hat die Schreihälse in den USA jedoch nicht zum Verstummen gebracht. Gleich am Tag nach dem spektakulären Bericht von CNN-Korrespondent Robertson verlangte der neokonservative Scharfmacher John Bolton von den neuen Machthabern in Libyen die Auslieferung bzw. Hinrichtung Al Megrahis. "Für mich wäre es ein Signal dessen, wie ernsthaft sich die Rebellenregierung gute Beziehungen mit den Vereinigten Staaten und dem Westen wünscht ... Er hat 270 Menschen getötet. Er hat ungefähr zehn Jahre im Gefängnis verbracht, bis er von den britischen Behörden freigelassen wurde. Über den Daumen gerechnet heißt das, er habe zwei Wochen für jede Person, die er getötet hat, gesessen. Zwei Woche pro Mord. Das reicht bei weitem nicht aus", so der ehemalige Botschafter George W. Bushs bei den Vereinten Nationen.

Der massive Druck aus den USA bringt die neue libysche Regierung, die ihre Machtübernahme den Bomben, Raketen und Spezialstreitkräften der NATO verdankt, in eine schwierige Situation. Hatte am 26. August Justizminister Mohammed Al Alagi aus Rücksicht auf die Gefühle seiner Landsleute eine Auslieferung Al Megrahis ans Ausland noch kategorisch ausgeschlossen, so erklärte er sich drei Tage später bereit, über die Angelegenheit zu diskutieren, sobald man die öffentliche Ordnung in Libyen wiederhergestellt habe und das Land zur Ruhe gekommen sei. Inzwischen legen die Amerikaner den neuen "Partnern" in Libyen die Daumenschrauben an. Am 1. September, einen Tag vor der großen Konferenz der "Freunde von Libyen" in Paris unter der Regie von Präsident Nicolas Sarkozy, hat Charles Schumer, der langjährige, einflußreiche Senator aus New York, einen eindeutigen Brief an US-Außenministerin Hillary Clinton geschickt. Darin hat der "Senator für Wall Street", so Schumers Spitzname, von seiner Parteifreundin und ehemaligen Senatskollegin gefordert, daß die USA Libyen jegliche Wiederaufbauhilfe verwehren und die Einfrierung der auf libyschen Staatskonten bei amerikanischen Banken liegenden Guthaben in Milliardenhöhe aufrechterhalten sollen, solange die neue Regierung in Tripolis den "verurteilten Terroristen" Al Megrahi "weiterhin schützt".

Ein Ende dieser peinlichen, an Heuchelei nicht zu überbietenden Inszenierung der gewählten Volksvertreter in den USA wird es vermutlich erst geben, wenn Megrahi seinem Krebsleiden erliegt, was in den nächsten Tagen eintreten könnte. Gegen eine rasche Auslieferung Al Megrahis spricht jedenfalls die harte Haltung der Schotten, dessen Gefangener er formell noch ist. Am 30. August zitierte die New York Times den Premierminister Alex Salmond von der Scottish Nationalist Party in der diplomatischen Angelegenheit wie folgt: "Herr Al Megrahi obliegt nach wie vor der schottischen Rechtsprechung und die einzige Instanz, die dazu berechtigt ist, seine Rückkehr nach Schottland einzufordern, ist die schottische Regierung. Was auch immer der britische Premierminister oder Stellvertretende Außenminister oder amerikanische Senatoren oder Anwälte dazu sagen, tut nichts zur Sache."

2. September 2011