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NAHOST/1170: Attentat auf saudischen Geheimdienstchef gelungen? (SB)


Attentat auf saudischen Geheimdienstchef gelungen?

Gewaltsamer Tod von Prinz Bandar wäre der Ausbruch des Regionalkrieges



Seit einigen Tagen kursieren im Internet Gerüchte über einen gelungenes Attentat auf den Geheimdienstchef und Nationalen Sicherheitsberater Saudi-Arabiens, Prinz Bandar bin Bultan bin Abdul Asis. Sollte sich die bislang unbestätigte Meldung als zutreffend erweisen, wäre das der Auftakt zum offenen, statt bisher verdeckten Regionalkrieg zwischen dem schiitischen Iran, dem alewitisch-säkular dominierten Syrien und der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz auf der einen Seite und den sunnitischen Mächten Saudi-Arabien, Katar, Türkei und Jordanien auf der anderen, die wiederum von Israel und den USA Unterstützung erfahren. Schließlich war es Bandar, der langjährige Botschafter Riads in Washington mit besten Verbindungen zur dort herrschenden neokonservativen Elite, der nach Angaben Seymour Hershs Ende 2006 mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney den neomachiavellistischen Plan ausheckte, mit Hilfe sunnitisch-salafistischer Hasardeure à la Al Kaida den "schiitischen Bogen" zwischen Libanon, Syrien und dem Iran zu zerschlagen. Die Destabilisierung Syriens, die bereits seit 17 Monaten läuft, ist nur ein Aspekt dieser Strategie, die letztlich auf die Zurückdrängung des Einflusses des Irans im Irak der Nach-Saddam-Hussein-Ära und einen eventuellen "Regimewechsel" in Teheran hinausläuft.

Am 26. Juli hatte als erstes englischsprachiges Medium das israelische Internetportal Debkafile, das als mossadnah gilt, unter Verweis auf eigene Quellen über einen drei Tage zuvor verübten Anschlag auf das Hauptquartier des saudischen Geheimdienstes in Riad berichtet. Bei dem Vorfall soll Bandar schwer verletzt worden und sein Stellvertreter, Mashaal al-Qarni, sofort ums Leben gekommen sein. Seitdem ist Bandar in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen worden. Laut Debkafile erlag er trotz allen ärztlichen Bemühungen am 29. Juli seinen Verletzungen. In einer entsprechenden Meldung von Debkafile vom 31. Juli heißt es, die Weigerung Riads, die Gerüchte über das Attentat auf Bandar weder zu bestätigen noch zu dementieren, hätten für "Unruhe" in Washington, Tel Aviv und einer Reihe von nahöstlichen Hauptstädten gesorgt. Debkafile bezeichnete die saudische Königsfamilie als "traumatisiert" - nicht nur durch die "große strategische Tragweite" des Vorfalls, sondern auch durch die Angst, das der eigene Sicherheitsapparat von Handlangern Syriens und/oder des Irans unterwandert sei.

Alle, die wie Debkafile, Pepe Escobar in der Asia Times Online, das französische Internetportal Voltaire Network, die Tehran Times, die jemenitische Al-Fajr Press und die International Business Times das Thema bisher behandelt haben, bringen das Attentat auf Bandar mit dem Bombenanschlag vom 18. Juli auf das syrische Sicherheitskabinett in Damaskus in Verbindung, der Verteidigungsminister General Dawoud Rajha, General Assef Shawkat, dem Chef des Militärgeheimdienstes und Schwager von Präsident Bashar Al Assad, Ex-Verteidigungsminister General Hassan Turkmani, dem Leiter des Amtes für Krisenfälle, und General Amin Hicham Ikhtiar das Leben kostete. Jener Anschlag war der Startschuß zu einer Offensive - "Operation Vulkan" -, mit der die vom Ausland finanzierten und bewaffneten Rebellen die syrische Hauptstadt in Sturm erobern wollten, die aber nach einigen Tagen von den staatlichen Streitkräften zurückgeschlagen werden konnte.

Gleich einen Tag nach dem spektakulären Anschlag in Damaskus, nämlich am 19. Juli, wurde Bandar von seinen Halbbruder König Abdullah zum neuen Geheimdienstchef Saudi-Arabiens ernannt. Die Beförderung des Duzfreundes der Bush-Familie in den USA war allgemein als Antwort auf die sich zuspitzende Situation im Nahen Osten, aber auch als Rückkehr Bandars aus der politischen Verbannung gewertet worden. Unbestätigten Berichten zufolge hat der Ex-Kampfjetpilot Anfang 2010 versucht, König Abdullah zu stürzen und seinen eigenen Vater, den langjährigen Verteidigungsminister Prinz Sultan, auf den saudischen Thron zu hieven. Nach dem mißlungenen Putschversuch war der noch-amtierende Nationale Sicherheitsberater vorerst von der politischen Bühne verschwunden. Seit dem Tod seines Vaters im Oktober 2011 stand Bandar dem mächtigen Sudairi-Klan am Königshof vor. Debkafile, Pepe Escobar et cetera gingen in ihre Bewertung der Personalie weiter und meinten, mit dem Anschlag auf die syrische Führungsriege in Damaskus hätte sich Bandar, der sowohl in den Iran-Contra-Skandal als auch in die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 verwickelt gewesen ist, als Architekt verdeckter Geheimdienstoperationen eindrucksvoll zurückgemeldet.

Seinerseits hatte der Schattenblick spekuliert, daß Bandar auch den Befehl für die koordinierten Anschläge, die am Vormittag des 23. Juli in Bagdad und weiteren irakischen Städten mehr als 100 Menschenleben forderten und rund 300 Personen verletzten und zu der sich später "Al Kaida im Irak" bekannte, gegeben haben könnte. (1) Schließlich richteten sich die schwersten Anschläge im Zweistromland seit dem Abzug der letzten US-Kampftruppe Ende vergangenen Jahres gegen die Regierung und die schiitisch-dominierten Sicherheitskräfte von Premierminister Nuri Al Maliki, der aus Sicht Riads als Freund Teherans gilt.

Von Bandars Ableben nur wenige Tage nach seiner Ernennung zum saudischen Geheimdienstchef ausgehend, stellt sich die Frage, wie das Attentat durchgeführt werden konnte und von wem. Während Pepe Escobar glaubt, daß es sich bei den Attentätern um Mitglieder eines Todeskommandos des syrischen Geheimdienstes handelte, geht Debkafile davon aus, daß nur der Iran zu einem solch tödlichen Stich ins Herz des saudischen Herrschaftsapparats in der Lage wäre. Während Debkafile "Al Kaida" als ausführendes Organ am Werk sieht, ist nicht auszuschließen, daß es Mitglieder der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien waren, die von der sunnitisch-dominierten Zentralregierung in Riad seit jeher drangsaliert und diskriminiert wird, die den Draufgänger Bandar und dessen Vize ins Jenseits beförderten.

Sollte sich die Nachricht über den gewaltsamen Tod Bandars bewahrheiten, dann ist der befürchtete Regionalkrieg längst im Gange, wenn auch nicht offiziell. Da passen jüngste Nachrichten, wonach am 27. Juli der oberste geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Khamenei, die iranische Generalität anwies, sich auf einen offenen Kriegsausbruch "innerhalb von Wochen" vorzubereiten, vom Aufmarsch türkischer Panzerverbände an der Nordgrenze Syriens sowie von der Positionierung ähnlicher Truppenteile Saudi-Arabiens an der Grenze zu Jordanien, damit diese demnächst in Syrien einfallen und den Südwesten des Landes um die Rebellenhochburgen Deraa, Deir al-Zour und Abu Kemal besetzen, voll ins Bild.

Derzeit befindet sich US-Verteidigungsminister Leon Panetta auf einer Nahost-Reise, die ihn nach Israel, Ägypten und Jordanien führen wird. Laut Debkafile handelt es sich dabei um die letzte Inspektionsreise des Pentagonchefs im Nahen Osten vor Beginn des Krieges mit dem Iran. Auf der ersten Station seiner Reise besuchte Panetta Tunesien. Dort gedachte er am 30. Juli auf dem amerikanischen Militärfriedhof an der Bucht von Tunis mit einer Kranzniederlegung den während des Zweiten Weltkriegs im nordafrikanischen Abschnitt gefallen US-Soldaten. Die symbolträchtige Geste des Ex-CIA-Chefs läßt für den Nahen Osten Schlimmstes befürchten.

Fußnote:

1. Siehe hierzu unter INFOPOOL -> POLITIK -> REDAKTION:

NAHOST/1166: Anschlagsreihe im Irak - Das Werk Saudi-Arabiens? (SB)

1. August 2012