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NAHOST/1171: "Atomstreit" - Ein Glücksfall für US-Waffenindustrie (SB)


"Atomstreit" - Ein Glücksfall für US-Waffenindustrie

Spannungen am Persischen Golf lassen in den USA die Kassen klingeln



Mit Sorge blicken die meisten Beobachter dieser Tage auf den Persischen Golf, wo die Spannungen zwischen den USA und dem Iran in einen heißen Krieg umzuschlagen drohen. Wegen des Streits um das iranische Kernenergieprogramm, hinter dem Washington geheime Waffenforschung zu vermuten behauptet, haben die USA und die EU schwere Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen die Islamische Republik verhängt. Ihrerseits droht die Regierung in Teheran als Vergeltung mit der Sperrung der Straße von Hormus, durch die rund 40 Prozent des Öls für die Weltwirtschaft auf Supertanker transportiert wird. Das gegenseitige Säbelrasseln wird von drastischen Truppenaufstockungen und großen Militärmanövern auf beiden Seiten begleitet.

Über den Stillstand an der diplomatischen Front freuen sich neben den US-Neokonservativen, die sich ihrem lang ersehnten Ziel, den Sturz des ihnen verhaßten "Mullah-Regimes" in Teheran, nahe wähnen, vor allem die amerikanische Rüstungsindustrie. Bei den US-Waffenfabrikanten sorgen die Spannungen am Persischen Golf für dicke Auftragsbücher. Saudi-Arabien und die anderen arabisch-sunnitischen Golfstaaten stehen dem persisch-schiitischen Iran feindlich gegenüber. Da sich auf ihren Territorien auch große US-Militärbasen befinden, müssen diese Staaten folglich damit rechnen, in eine militärische Auseinandersetzung zwischen Washington und Teheran hineingezogen zu werden. In Hinblick auf dieses Szenario rüsten sie derzeit gewaltig auf - mit Waffen "Made in the USA" zuletzt in einem Gesamtvolumen von 11,3 Milliarden Dollar. Über diese Entwicklung berichtete am 30. Juli der Journalist Brian Murphy in einer Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press unter der Überschrift "America's uneasy Gulf allies adding to arsenals".

Kuwait, das mit dem Abzug der letzten US-Kampfeinheiten aus dem Irak Ende letzten Jahres zum Standort einer 13.500 Mann starken regionalen Eingreiftruppe der Amerikaner geworden ist, hat vor kurzem 60 Patriot-Abfangraketen vom Typ PAC-3 im Wert von 4,2 Milliarden Dollar beim Hersteller Raytheon bestellt. Darüber hinaus wollen die Kuwaiter für 49 Millionen Dollar 300 Luft-Boden-Raketen des Typs Hellfire-11, die von Hubschraubern, Kampfjets und Drohnen abgefeuert werden können, bei Lockheed-Martin kaufen. Mit einer Bewilligung des Kaufantrages durch den außenpolitischen Ausschuß des Kongresses im Washington wird demnächst gerechnet.

Laut AP hat das Pentagon, das traditionell für die rüstungspolitische Zusammenarbeit mit den Verbündeten der USA zuständig ist, beim Kongreß auch um grünes Licht für eine großangelegte Modernisierung der Luftwaffenkapazitäten des Emirats Katar ersucht. Im Rahmen des auf 6,6 Milliarden Dollar geschätzten Geschäfts sollen die katarischen Streitkräfte 58 Kampfhubschrauber - 24 vom Typ Apache-AH-64D, 22 vom Typ Seahawk und 12 vom Typ Blackhawk - erhalten. Zu dem Deal gehört auch die Option, die Stückzahl der bestellten Seahawk-Hubschrauber um weitere sechs zu erhöhen. In einem entsprechenden Antrag des US-Verteidigungsministeriums heißt es, die Hubschrauber würden dem Schutz von Bohrinseln und anderen Infrastrukturellen Komponenten der Ölindustrie am Persischen Golf dienen, die "für die Wirtschaftsinteressen der USA und des Westens lebensnotwendig" seien.

Oman, dessen Küstenstreifen den östlichen Rand der Straße von Hormus bildet, führt derzeit eine Generalüberholung seines Kampfjetgeschwaders vom Typ F-16 durch. Dazu gehört laut AP die Aufrüstung mit 55 Luft-Luft-Raketen des Typs Sidewinder für insgesamt 86 Millionen Dollar. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Pentagon für Amerikas Waffenproduzenten einen Deal mit Saudi-Arabien im Wert von sage und schreibe 60 Milliarden Dollar an Land gezogen. Zu den Rüstungsgütern, die im Rahmen dessen in den kommenden Jahren an die saudischen Streitkräfte ausgeliefert werden sollen, gehören mehr als 80 neue Kampfjets vom Typ F-15SA.

Nach dem Sinn solcher Einkäufe für den Endverbraucher sollte man besser nicht fragen. Doch während viele Kataris, Kuwaiter, Omanis und Saudis in den genannten Geschäften eine krasse Verschwendung der Finanzreserven ihrer Staaten sehen, freut sich Amerikas Rüstungsindustrie über gefüllte Auftragsbücher. Als letztes Jahr das gigantische Waffengeschäft mit Riad abgeschlossen wurde, hieß es aus der Regierung Barack Obamas, der Deal würde 50.000 Arbeitsplätze in den USA schaffen und jährlich 3,5 Milliarden Dollar in Amerikas schwächelnde Volkswirtschaft spülen.

Letztlich hat man es hier mit einer Ressourcenverbrauchs- und Verteilungsmaschinerie zu tun, die durch Spannungen und Krieg ständig für Bedarf bzw. Nachfrage sorgt und so die US-Wirtschaft vorantreibt. Die Wege dieser Maschinerie bleiben wie die des Herrn unergründlich. Dafür sind die jüngsten Meldungen aus dem Irak und Afghanistan der beste Beleg. Einer neuen Studie des General Accountability Office (GAO) des Kongresses, vergleichbar dem Bundesrechnungshof in Deutschland, zufolge waren die 200 Millionen Dollar, die das US-Außenministerium zuletzt in den Bau neuer Polizeiwachen im Irak investierte, die "reine Verschwendung", weil das dazugehörige Konzept den Bedürfnissen der Behörden im Zweistromland nicht entsprach.

Bekanntlich wurden nach dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins 2003 durch die Angloamerikaner Unsummen in den "Wiederaufbau" des Iraks investiert, ohne daß dies zu einer für die einfachen Menschen spürbaren Verbesserung der Infrastruktur führte. Das gleiche gilt für Afghanistan, wo die USA nach dem Sturz der Taliban 2001 nach offiziellen Berechnungen 100 Milliarden Dollar ausgegeben haben, um angeblich das kriegszerstörte Land am Hindukusch wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen (Zum Vergleich: Deutschland hat nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg Wiederaufbauhilfe aus den USA in Höhe von 35 Milliarden Dollar nach heutigem Wert erhalten). In einem am 30. Juli veröffentlichten Bericht des zuständigen Generalinspekteurs im US-Verteidigungsministerium heißt es, ein "beträchtlicher Teil" der Wiederaufbaugelder in Afghanistan sei in Projekten investiert worden, die mangelhaft ausgeführt wurden; die angefangenen Infrastrukturmaßnahmen seien entweder für ihre Umgebung unpassend gewesen oder gar nicht erst fertiggestellt worden.

Sowohl in Afghanistan als auch im Irak ist viel Geld, das für den Wiederaufbau gedacht war, in dunklen Kanälen verschwunden. Das läßt sich nicht einfach mit Korruption und moralischer Verkommenheit der Beteiligten erklären, sondern ergibt sich aus der reinen Logik der fremdländischen Besatzung. Viele Hände mußten geschmiert werden, damit sie nicht zur Waffe griffen. Das gilt nicht nur für den Einmarsch der angloamerikanischen Truppen im irak, als nicht wenige Generäle Saddam Husseins durch Abwesenheit an der Front glänzten. So war es auch nicht die Aufstockung der US-Streitkräfte im Irak 2007, die berühmte "Surge", sondern Bestechungsgeld im großen Umfang, womit der damalige General und heutige CIA-Chef David Petraeus den sunnitischen Aufstand zum Erliegen brachte.

In Afghanistan ist seit längerem bekannt, daß die Taliban und die mit ihnen verbündeten Gruppen ihren Kampf gegen die NATO zu einem nicht geringen Teil mit Geldern finanzieren, die sie von einheimischen Unternehmen erpressen, die für die ausländischen Streitkräfte Nachschub transportieren oder Bauaufträge durchführen. Daher verwunderte es nicht, daß die Taliban erfreut auf die jüngst von Islamabad beschlossene Wiederöffnung der pakistanischen Grenze für den NATO-Nachschubtransport reagierte. (Als Reaktion auf die "versehentliche" Tötung von 24 pakistanischen Soldaten bei einem Bomben- und Raketenangriff der USA hatte Pakistan Ende November vergangenen Jahres die Grenzübergänge für Militärgütertransporte gesperrt). In einer AP-Meldung vom 30. Juli wurde ein Talibankommandeur aus der afghanischen Provinz Ghazni mit den Worten zitiert: "Die Lahmlegung dieser Nachschublieferungen war für uns echt ärgerlich. Unsere Einnahmen gingen drastisch zurück. Dadurch war der Aufstand nicht so stark, als wir ihn geplant hatten." AP zitierte auch einen zweiten Talibankommandeur, diesmal aus der Provinz Kandahar, der das Gehalt, Waffen, Munition und Proviant für seine Männer mit Geld bezahlt, das er von privaten Sicherheitsunternehmen erpreßt, wie folgt: "Wir können wieder Geld bündelweise verdienen. Deshalb ist der Nachschub für die NATO sehr wichtig für uns."

Sollte es tatsächlich in den kommenden Wochen zu einem heißen Krieg am Persischen Golf kommen, dann wird der Bedarf der US-Streitkräfte und ihrer Alliierten an Nachschub sprunghaft ansteigen. Und je länger der Konflikt dauert, um so mehr wird zerstört werden, was es anschließend zu ersetzen oder "wiederaufzubauen" gibt. Nicht umsonst hat im Februar der renommierte wie reaktionäre britische Historiker Niall Ferguson von der Universität Harvard in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin Newsweek offen einen amerikanisch-israelischen Angriff auf den Iran gefordert und selbstzufrieden zur Lage im Nahen Osten erklärt: "Es fühlt sich wie der Vorabend einer kreativen Zerstörung an". Die Theorie von der "kreativen Zerstörung" des kapitalistischen Systems, die der österreichische Wirtschaftstheoretiker Joseph Schumpeter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entworfen hat, gilt als wesentlicher Baustein der aggressiven Ideologie der US-Neokonservativen.

2. August 2012