Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1183: Iran gibt sich im "Atomstreit" kompromißbereit (SB)


Iran gibt sich im "Atomstreit" kompromißbereit

Ohne Kursänderung steuern die USA auf einen Krieg mit dem Iran zu



Beim Auftritt vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat sich US-Präsident Barack Obama am 25. September erneut zu einer friedlichen Lösung des sogenannten "Atomstreits" mit dem Iran bereiterklärt. Die Absichtserklärung des Friedensnobelpreisträgers klingt jedoch hohl angesichts des Verhaltens seiner Regierung. Als im Mai 2010 der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan und der damalige brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad eine Formel aushandelten, welche die Forderungen der USA erfüllt hätte, wollte Washington plötzlich nichts davon wissen. Obwohl Obama selbst Ankara und Brasilia eingeschaltet hatte, rügte seine Außenministerin Hillary Clinton Erdogan und Lula in schulmeisterlicher Manier dafür, in einem hochsensiblen Streitthema der internationalen Politik einen Durchbruch erzielt zu haben, ganz als stünde so etwas allein etablierten "Großmächten" wie den USA, Rußland und China zu.

In den USA halten seit dem Sturz des Schahs 1979 die einflußreichen Neokonservativen und mit ihnen die meisten Kongreßabgeordneten und Senatoren der Demokraten und Republikaner in Washington am Feindbild Iran eisern fest. Man erinnert immer wieder an die 444tägige Geiselnahme 1979-1981 in der US-Botschaft, nimmt Teheran seine Unterstützung für die libanesische Hisb-Allah-Miliz und die palästinensische Hamas-Bewegung, seine Feindschaft gegenüber Israel sowie seinen verstärkten Einfluß im Irak der Nach-Saddam-Hussein-Ära übel, und vermutet die iranischen Revolutionsgarden hinter allem, was für die US-Streitkräfte in Afghanistan schiefläuft.

Das ständige Gerede amerikanischer Politiker und Kommentatoren vom Iran als "Hauptsponsor des internationalen Terrorismus" soll vom eigenen Stein des Anstoßes ablenken, nämlich von der hartnäckigen Weigerung der Islamischen Republik die von den USA beanspruchte Vormachtstellung in der Region rund um den Persischen Golf anzuerkennen. Deswegen kann sich Obama niemals einen Kompromiß im "Atomstreit" mit dem Iran erlauben, sondern muß auf eine Kapitulation der Iraner beharren. Alles andere wäre für die tonangebenden Kreise in der US-Außenpolitik eine Belohnung iranischer Widerspenstigkeit und deshalb vollkommen inakzeptabel. Nicht hinnehmbar für Washington ist ebenso der Vorschlag des Irans, eine kernwaffenfreie Zone im Nahen Osten zu schaffen, was eine Verschrottung der israelischen Atombomben, von denen es mehr als 200 Stück geben soll, erforderlich machte.

Allen gegenteiligen Behauptungen der Feinde Teherans zum Trotz haben bis heute weder die westlichen Geheimdienste noch die Inspekteure der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) stichhaltige Beweise für geheime Atomwaffenforschung im Rahmen des iranischen Kernenergieprogramms gefunden. Die iranische Führung hat sich immer wieder zum Atomwaffensperrvertrag bekannt, nimmt für sich im Gegenzug den Zugang zu allen technologischen Aspekten der zivilen Kernkraft in Anspruch. Hierzu gehört die Urananreicherung, mit der man Material für Brennstäbe und eventuell für Atomsprengköpfe gewinnen kann, im eigenen Land. Auf diese Weise gelangt der Iran ähnlich wie Deutschland und Japan langsam aber sicher in den Status einer "virtuellen" Atommacht. Man verfügt über das notwendige Know-how und das entsprechende Material, bleibt jedoch hinter der Schwelle des tatsächlichen Baus einer Atombombe - es sei denn, die nationale Sicherheit ist massiv bedroht, worauf man, wie vor einigen Jahren Nordkorea, aus dem Nicht-Verbreitungsvertrag aussteigen und sich eine entsprechende Abschreckungsfähigkeit zulegen würde.

Deswegen verlangen nun der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und dessen Verbündete im US-Kongreß, der Iran müsse nicht nur am Bau der Atombombe, sondern sogar an der Erlangung der dafür notwendigen Kapazitäten gehindert werden. Und weil die Iraner nicht bereit sind, eine Beschneidung des souveränen Rechts der Islamischen Republik als Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrages zu akzeptieren, läuft derzeit alles auf eine militärische Auseinandersetzung hinaus.

In der englischsprachigen Presse hat in den letzten Jahren niemand den "Atomstreit" der USA und Israels mit dem Iran so ausführlich und objektiv behandelt wie der amerikanische Historiker und Journalist Gareth Porter, dessen Artikel regelmäßig bei der Nachrichtenagentur Inter Press Service erscheinen. Wahrscheinlich wegen seines Ansehens hat Porter vor wenigen Tagen ein Exklusivinterview mit Ali Asghar Soltanieh, dem ständigen Vertreter des Irans bei der IAEA in Wien, geführt. Über den Inhalt des Gesprächs berichtete er am 25. September bei IPS unter der Überschrift "Iranian Diplomat Says Iran Offered Deal to Halt 20% Enrichment".

In dem Artikel erfährt der Leser mehrere wichtige Dinge. Erstens, soll Saeed Jalili, der Chefunterhändler des Irans in Nuklearfragen, bei seinem jüngsten Treffen mit Catherine Ashton am 19. September, der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, die im Auftrag der 5+1-Gruppe - die fünf ständigen UN-Vetomächten China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA plus Deutschland - mit Teheran nach Auswegen aus der festgefahrenen Situation sucht, angeboten haben, die Anreicherung iranischen Urans auf einen Reinheitsgrad von 20 Prozent gänzlich einzustellen. Dafür verlangen die Iraner eine Liefergarantie des Auslands für solches Uran, das sie für die Gewinnung von Isotopen zur Behandlung von Krebspatienten im eigenen Land benötigen.

Um den Bestand des Irans an solchem Uran wird in letzter Zeit im Westen auf politischer und medialer Ebene viel Aufhebens gemacht, weil daraus - nach einer weiteren Anreicherung auf 90 Prozent - Atomsprengköpfe gebaut werden könnten. Gegenüber Porter hat Soltanieh in dieser Frage Entwarnung gegeben und darauf hingewiesen, daß nach dem jüngsten, am 30. August veröffentlichten Bericht der IAEA der Iran bereits die Hälfte solchen Materials zu Staub verarbeitete, um daraus Platten zur Verbrennung im Teheraner Forschungsreaktor herzustellen, aus denen medizinische Isotopen gewonnen werden. Erst nachdem die Obama-Regierung den bereits erwähnten, von den Türken und Brasilianern ausgehandelten Vorschlag der Verlegung sämtlichen auf drei Prozent angereicherten Urans des Irans - damals 1200 Kilogramm - ins Ausland gegen feste Zusagen bezüglich der Bereitstellung von Material für die Herstellung von Isotopen zurückgewiesen hatte, haben die Iraner überhaupt erst angefangen, Uran auf 20 Prozent anzureichern.

Die zweite wichtige Information im IPS-Artikel betrifft den Vorwurf der heimlichen Atomwaffenforschung durch die Iraner. Bekanntlich stützen sich diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, auf die Daten eines mysteriösen Laptops, der 2004 aus der Islamischen Republik herausgeschmuggelt worden sein und auf dessen Platte sich entsprechendes Belastungsmaterial befinden soll. In der Vergangenheit äußerte Porter starke Zweifel an der Echtheit jener Hinweise auf die vermeintliche Perfidie des "Mullah-Regimes", unter anderem weil die fraglichen Dokumente über Sprengkopfbau und ballistische Raketen auf Englisch und nicht auf Farsi verfaßt sein sollen.

Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig von Soltanieh zu erfahren, daß bei den jüngsten Verhandlungen mit der IAEA am 24. August deren Unterhändler Herman Nackaerts und Rafael Grossi zunächst - und damit erstmals - auf die Forderung des Irans, endlich Einblick in die entsprechenden Dokumente zu erhalten, um deren Echtheit überprüfen zu können, eingegangen waren, nur um die Zusage später wieder zurückzunehmen. Wie einst der frühere IAEA-Direktor Mohammed ElBaradei feststellte, sieht alles danach aus, als halte der Westen aufgrund gefälschter Beweise seine Bezichtigungen gegenüber dem Iran aufrecht. Je länger sich nicht an diesem Umstand etwas ändert, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß der "Atomstreit" in einen todbringenden und zerstörischen Krieg ungeheuren Ausmaßes mündet.

26. September 2012