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NAHOST/1196: USA weiten ihre Drohnenangriffe auf Nordjemen aus (SB)


USA weiten ihre Drohnenangriffe auf Nordjemen aus

Zweifelhafte Methode der Terrorbekämpfung nimmt kein Ende



Neben Pakistan und Somalia steht der Jemen im Mittelpunkt des umstrittenen Einsatzes von US-Drohnen, mittels derer Agenten der CIA oder Angehörige der US-Spezialstreitkräfte Raketen auf die Feinde Amerikas abfeuern. Die Taktik ist sehr umstritten, weil bei den Raketenexplosionen viele unschuldige Zivilisten ums Leben kommen. Kritiker behaupten sogar, die Methode treibt mehr junge Männer in die Arme der Aufständischen als sie aus dem "terroristischen" Verkehr zieht. Allen Warnungen vor einer Destabilisierung des Jemens zum Trotz haben die USA vor zwei Tagen die ersten Drohnenangriffe im Norden des arabischen Landes durchgeführt. Bisher hatten die US-Drohnenpiloten ausschließlich Ziele im Süden des bitterarmen, aber geostrategisch wichtigen Landes im Visier, die von ihnen als Angehörige der dort aktiven, verbündeten Gruppierungen Ansar Al Scharia und Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Al Qaeda in the Arabian Peninsula - AQAP) identifiziert wurden.

Wie die Nachrichtenagentur Agence France Presse unter Berufung auf Angaben von Augenzeugen im Nordjemen und Regierungsbeamte in der Hauptstadt Sanaa berichtete, sind am 28. Oktober bei einem per Drohne durchgeführten Raketenangriff in der Provinz Saada drei Männer getötet und ein weiterer verletzt worden. Bei den drei Toten soll es sich um zwei Saudis und einen Jemeniten gehandelt haben, die alle der AQAP zugerechnet werden. Sie begleiteten Omar Saleh Al Tiss, den Anführer der AQAP-Ortsgruppe, auf dem Weg zur Hochzeit seines Sohnes, als ihr Auto von einer Hellfire-Rakete getroffen wurde. Al Tiss soll das Inferno schwer verletzt überlebt haben.

Von 2004 bis zum Herbst 2011 lieferten sich Rebellen der schiitischen Volksgruppe der Huthi, die in der Provinz Saada die Bevölkerungsmehrheit stellen, mit den staatlichen jemenitischen Streitkräften einen erbitterten Krieg. Die Kämpfe haben Tausende von Menschen das Leben gekostet und weitere Zehntausende zu Flüchtlingen gemacht. Unterstützung erfuhr die Zentralregierung in Sanaa hierbei von Saudi-Arabien und den USA, die beide die Gefahr der Entstehung einer vom Iran unterstützten Huthi-Enklave am südöstlichen Ufer des Roten Meeres an die Wand malten. Inwieweit die Vorwürfe von iranischen Waffenlieferungen an die Huthi zutreffen, ist unklar. Fest steht, daß die Rebellen im vergangenen Jahr die Proteste gegen den langjährigen jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh genutzt haben, um ihre Interessen in Saada durchzusetzen. Bei einem Treffen von Stammesältesten wurde Faris Manaa, ein schiitischer Waffenhändler, als neuer Gouverneur von Saada eingesetzt. Seitdem schweigen in der einstigen Unruheprovinz die Waffen. Es herrscht wieder Ordnung. In der Provinzhauptstadt tobt ein regelrechter Bauboom. Die Schäden des jahrelangen Bürgerkrieges werden beseitigt.

Auch wenn Manaa offenbar in Absprache mit der Zentralregierung in Sanaa und Abed Rabbo Mansur Hadi, dem Nachfolger Salehs als Präsident, die Provinz Saada verwaltet, läßt es sich schwer vorstellen, daß sich Washington und Riad auf Dauer mit einer anti-amerikanischen, anti-saudischen Huthi-Herrschaft im gebirgigen Norden des Jemen abfinden werden. In einem Artikel, der am 28. Oktober beim Christian Science Monitor unter der Überschrift "Yemen's 'Death to America' rebels bring calm to northern Yemen" erschienen ist, zitierte Korrespondent Adam Baron den Huthi-Vertreter Ali Al Kuhom mit der Einschätzung: "Es möge jetzt Frieden herrschen, aber die, die uns in der Vergangenheit bekämpft haben, wollen immer noch Krieg". Vorstellbar wäre, daß die USA, die der jemenitischen Armee in den vergangenen Monaten geholfen haben, Ansar Al Scharia und AQAP im Süden des Landes in die Defensive zu drängen, die sunnitischen Fanatiker nach Saada treiben wollen, um sie dort gegen die Huthi austoben zu lassen.

Von der ideologischen Veranlagung her eignen sich Jemens Salafisten genauso gut zur Bekämpfung der Huthi wie sich derzeit ihre syrischen Glaubensgenossen bei der Erhebung gegen das "Regime" Bashar Al Assads in Syrien der NATO verdient machen. Dies zeigen die jüngsten Ereignisse um den AQAP-Anführer Said Al Schihri, der am 18. Oktober bei einem CIA-Drohnenangriff auf einem Bauernhaus in der südjemenitischen Provinz Abian zusammen mit acht Kameraden getötet worden sein sollte. Als sich Al Schiri drei Tage später per Tonbandaufnahme zu Wort meldete und den Bericht von seinem Ableben als verfrüht abtat, konnte er es nicht lassen, in seiner Botschaft den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad als "die böseste Person auf Erden" zu verdammen.

Unabhängig der Frage der gezielten oder nur zufälligen Instrumentalisierung der AQAP durch CIA und Pentagon zur Bekämpfung der Huthi steht den Menschen im Jemen eine Eskalierung des US-Drohnenkrieges bevor. Nach Angaben der saudischen Zeitung Al-Sharq al-Awsat, die sich auf jemenitische Militärkreise beruft, landete am 22. Oktober auf dem Flughafen von Sanaa ein US-Transportflugzeug vom Typ C-17, das mit neuen Drohnen und Hellfire-Raketen beladen war. Diese sollten offenbar auf jenem geheimen Stützpunkt stationiert werden, den die CIA und das Joint Special Operations Command (JSOC) angeblich im Jemen betreiben.

Am 26. Oktober berichtete David Axe auf dem Blog "Danger Room" der Technologiezeitschrift Wired von umfangreichen Ausbauarbeiten am US-Militärstützpunkt Camp Lemonnier in nordostafrikanischen Dschibuti. Demnach sind dort inzwischen nicht nur 300 Mitglieder der Spezialstreitkräfte und 2000 weitere US-Militärangehörige, sondern auch acht Predator-Drohnen und eine Flugstaffel von F-15-Kampfjets stationiert, die regelmäßig Angriffe gegen Ziele im Jemen und in Somalia fliegen. Die Aufrüstung in Camp Lemonnier fällt offenbar mit der "disposition matrix", der Formalisierung des Programms von Weißem Haus, Pentagon und CIA zum Unschädlichmachen sogenannter islamistischer "Terroristen" zusammen, dessen Existenz Greg Miller mit einem aufschlußreichen und gleichzeitig erschreckenden Bericht am 24. Oktober in der Washington Post bekanntmachte.

30. Oktober 2012