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NAHOST/1216: Bürgerkrieg in Syrien greift auf den Libanon über (SB)


Bürgerkrieg in Syrien greift auf den Libanon über

Saad Hariris Future Movement in den Waffenschmuggel verwickelt



Wie schon länger befürchtet, hat der Bürgerkrieg in Syrien, der seit März 2011 tobt und immer mehr den Charakter eines Konfessionskonfliktes zwischen der sunnitischen Mehrheit und den Minderheiten der als Schiiten geltenden Alawiten und Christen annimmt, auf den Libanon übergegriffen. In der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli brachen am 4. Dezember zwischen rivalisierenden sunnitischen und alawitischen Milizen schwere Kämpfe aus, die sechs Menschen das Leben kosteten und mehr als 50 verletzte. Die libanesische Armee versucht bisher vergeblich die Lage zu beruhigen.

Auslöser der jüngsten Kämpfe in Tripoli war der Tod von 21 jungen Salafisten aus der Stadt, die in der Nacht zum 30. November zu Fuß nach Syrien eingereist waren, um dort gegen das säkulare "Regime" Baschar Al Assads und für die Errichtung eines Gottesstaates zu kämpfen, und gleich hinter der Grenze in der Provinz Homs ihr Leben in einem Hinterhalt der syrischen Streitkräfte verloren haben. Auch zwei Syrer, die den Möchtegern-Dschihadisten den Weg zeigten, sind bei dem Überfall ums Leben gekommen. Die Beiruter Zeitung Daily Star zitierte am 1. Dezember einen Mann namens Talha Kleib aus der grenznahen Kleinstadt Tal Kalakh, in dessen Nähe sich der Vorfall ereignete, wonach die Getöteten lediglich humanitäre Hilfsgüter für die syrischen Rebellen im Gepäck gehabt haben sollen.

Die Behauptung Kleibs läßt den Eindruck aufkommen, die illegalen Grenzgänger wären unbewaffnet gewesen und folglich von den syrischen Streitkräften kaltblütig ermordet worden - was einem Kriegsverbrechen gleichkäme. Doch es gibt Grund, die Zuverlässigkeit dieser Version der Ereignisse zu bezweifeln. Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges gilt Tripoli neben Incirlik in der Türkei und Irbid in Jordanien als einer der Orte, von wo aus Schmuggler größere Mengen Waffen und Munition aus Saudi-Arabien und Katar sowie ausländische Freiwillige zu den Rebellen bringen. Daß dabei auch "humanitäre Hilfe" wie medizinische Güter zur Versorgung verwundeter Aufständischer transportiert wird, liegt auf der Hand. Jedenfalls schließt das eine das andere nicht aus.

Wenige Tage zuvor hatte die unabhängige libanesische Tageszeitung Al-Akhbar die Abschrift abgehörter Telefonate von Okab Sakr, einem Abgeordneten von Ex-Premierminister Saad Hariris oppositionellen Future Movement veröffentlicht. Der Sohn des 2005 ermordeten Bauunternehmers Rafik Hariri gilt als Gewährsmann Saudi-Arabiens. Seine Future Movement pflegt seit längerem Kontakt zu den sunnitischen Extremisten um die Gruppe Fatah Al Islam in Tripoli. Beide Organisationen sollen eine führende Rolle bei der Bewaffnung und Unterstützung der syrischen Rebellen spielen. Für die Richtigkeit dieser These liefert die Abschrift des Telefonats Sakrs mit einem Mann, der sich als Abu Numan identifiziert und Anführer einer aufständischen Miliz in Syrien sein soll, wichtige Indizien. Aus dem Informationsaustausch der beiden Assad-Gegner wurde am 4. Dezember in der Daily Times folgendes zitiert:

Sakr: Ich grüße Sie. Nun los, ... Sagen Sie mir, welche Sorte Waffen Sie wollen. Was für Mengen [suchen Sie]?
Numan: Wir brauchen um die 300 raketenbetriebene Granaten und 20 Granatwerfer. Und wenn es möglich ist, 250.000 russische Patronen, 300 Maschinengewehre und einige besondere Rüstungsgegenstände.
Sakr: Wer wird [sie] in Empfang nehmen und wo soll die Übergabe stattfinden? Wie soll die Operation laufen?
Numan: Lieferung wie üblich und es wird alles verteilt werden ... Abu Al Baraa wird da sein mit den Jungs und sie werden alles per Auto nach Aleppo [Nordsyrien] bringen. Aber wir müssen es so schnell wie möglich machen, denn der Bedarf ist groß und das Granatfeuer [der Regierungstruppen - Anm. d. SB-Red.] dauert an.

Nach Angaben von Al-Akhbar handelte Sakr im Auftrag Hariris. Dafür sprechen folgende inkriminierenden Sätze Sakrs aus einen andem Telefonat, diesmal mit Louay Mekdad, dem Sprecher des Obersten Militärrates der Freien Syrischen Armee: "Hariri verliert [die Geduld]! Er will es [die Schlacht] zu Ende bringen. Gegenüber der in London erscheinenden Zeitung Asharq al-Aswat, die Prinz Faisal Bin Salman, einem Mitglied der saudischen Königsfamilie gehört, hat Sakr bestätigt, daß es sich um seine Stimme handelt, die auf den fraglichen Bändern zu hören ist, gleichzeitig versucht er, seinen Chef bei der Future Movement in Schutz zu nehmen. "Hariri hat mich gebeten, den Syrern humanitär, politisch und medial zu helfen - nicht mehr und nicht weniger", so Sakr. Ihm droht nun eine parlamentarische Untersuchung und die Aufhebung seiner Immunität als Abgeordneter. Aus Syrien droht ihm zudem eine Anklage wegen Unterstützung des "Terrorismus".

In einer Art Flucht nach vorn hat Ammar Houri, der für die Future Movement einen Beiruter Wahlbezirk im libanesischen Parlament vertritt, seinen Kollegen Sakr in Schutz genommen. In einem Interview, das am 6. Dezember im Daily Star erschien, verlangte Houri, bevor gegen Sakr juristisch vorgegangen wird, sollten Ermittlungen gegen die libanesische Hisb Allah aufgenommen werden, weil sie "die Tür zur Einmischung in syrischen Angelegenheiten geöffnet haben". "Hisb-Allah-Chef Hasan Nasrallah hat zugegeben, daß Hisb-Allah-Mitglieder im Zusammenhang mit jihad-Aufgaben bei Schlachten gestorben sind, während es uns von Anfang an lediglich um die Unterstützung des syrischen Volkes ging", so Houri.

Die Ausrufung des ersten Islamischen Kalifats und die Einführung der Schariagesetze vor rund zwei Wochen im Raum zwischen der nordsyrischen Stadt Aleppo und der türkischen Grenze, um den Frauen dort unter anderem das Autofahren zu verbieten, spricht Bände für das Interesse der Hariri-Bande und ihren Zahlmeistern in Saudi-Arabien am Wohlergehen der Bürger Syriens.

6. Dezember 2012