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NAHOST/1251: Planen die USA eine Flugverbotszone über Syrien? (SB)


Planen die USA eine Flugverbotszone über Syrien?

Kein Durchbruch bei den Genfer Friedensverhandlungen erwartet



Für Aufregung sorgte Josh Rogin mit seinem am 28. Mai bei der Onlinezeitung Daily Beast veröffentlichten Artikel über die Vorbereitungen des Pentagons bezüglich der Verhängung einer Flugverbotszone über Syrien. Die Enthüllung Rogins erfolgte einen Tag nachdem Frankreich und Großbritannien beim EU-Außenministertreffen eine Verlängerung des Brüsseler Waffenembargos für Syrien blockiert hatten, damit sie den Rebellen dort ab dem 1. Juni Rüstungshilfe zukommen lassen können. In Reaktion auf den anglofranzösischen Vorstoß hatte Rußland wenige Stunden später angekündigt, die geplante Auslieferung des Luftabwehrsystems S-300 an Syrien doch noch durchzuführen. Die S-300-Rakete, das russische Pendant zur jüngsten Version der amerikanischen Patriot, PAC-3, gilt als sehr leistungsstark und macht jede feindliche Bewegung in dem von ihr bewachten Luftraum zu einem riskanten Einsatz.

Israel, dessen Luftwaffe Anfang Mai unter dem Vorwand der angeblichen Vernichtung iranischer Raketen für die libanesische Hisb-Allah-Miliz schwere Angriffe auf militärische Ziele bei Damaskus geflogen hatte, versucht seit Monaten, Rußland von der Erfüllung des entsprechenden Vertrages abzubringen. In der Angelegenheit hat der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu vor einigen Wochen in Rußland Gespräche mit Präsident Wladimir Putin geführt. Nach der offiziellen Erklärung des Kreml, Syrien die S-300-Raketen doch noch zukommen zu lassen, hatte der israelische Verteidigungsminister Moshe Ya'alon in einem Rundfunkinterview bekanntgegeben, Tel Aviv könne nicht erlauben, daß das System in Betrieb gehe, und zugleich damit gedroht, die russischen Schiffe, welche die Komponente ausliefern sollen, eventuell zu versenken. Auch wenn Ya'alon den Mund hier etwas voll genommen hat, deutet die Äußerung auf die wachsende Internationalisierung der Syrien-Krise hin.

In besagtem Artikel für Daily Beast hatte Josh Rogin unter Verweis auf mehrere Quellen bei der Regierung von US-Präsident Barack Obama von einer "zweigleisigen" Syrien-Politik Washingtons gesprochen. Einerseits unterstützt man die Bemühungen von Außenminister John Kerry, zusammen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow im Juni in der Schweiz eine große Friedenskonferenz für Syrien abzuhalten, andererseits bereitet man sich gleichzeitig auf deren eventuelles Scheitern vor. Den Auftrag, mit der Planung zur Verhängung einer Flugverbotszone über Syrien zu beginnen, soll der "Joint Chiefs of Staff", der Generalstab im Pentagon, bereits erhalten haben, so Rogin.

Der Pessimismus des Weißen Hauses ist nicht unbegründet. Während sich die syrische Regierung zur Teilnahme an den Friedensverhandlungen bereit erklärt hat, wollen die Rebellen eigene Vertreter erst dann nach Genf schicken, wenn vorher feststeht, daß im Anschluß daran die komplette Führungsriege in Damaskus um Präsident Baschar Al Assad zurücktritt. Für die syrische Regierung ist diese Forderung absolut inakzeptabel. Hinzu kommt, daß die syrischen Oppositionellen seit Tagen in Istanbul über die Zusammensetzung nicht nur ihrer Delegation in Genf, sondern auch der Exilregierung mit Namen Nationalkoalition Syriens heftig streiten. Die gemäßigten verlangen mehr Mitspracherecht; die religiös motivierten lehnen das Ansinnen mit dem Hinweis ab, sie trügen die Hauptlast der Kämpfe gegen die Regierungstruppen in Syrien.

Gleich zu Beginn der Krise in Syrien haben sich die USA - damals in der Person von Außenministerin Hillary Clinton -, Großbritannien und Frankreich auf den Rücktritt Assads als Grundvoraussetzung für eine politische Lösung festgelegt. Aber weil der syrische Präsident heute dank der Unterstützung Rußlands, des Irans und der Hisb Allah besser denn je dasteht, müssen seine Feinde in London, Paris und Washington entweder in den sauren Apfel beißen und mit ihm verhandeln oder selbst militärisch in Erscheinung treten, um den von ihnen erwünschten "Regimewechsel" in Damaskus zu verwirklichen.

Auch wenn Obama und Kerry mit einer längeren Übergangsfrist für einen "demokratischen" Reformprozeß in Syrien leben und sich mit Putins Rußland darüber einigen könnten, wächst für sie seitens der pro- israelischen Hardliner in Washington dennoch der Druck. Nicht umsonst ist der republikanische Senator John McCain, der sich seit Jahren auf dem Kapitol als Kriegsfalke Numero Uno geriert, am 27. Mai bei einem Besuch in der Türkei kurz über die Grenze geschlichen, um sich mit Kommandeuren der Rebelleneinheit "Nördliche Sturmbrigade" im "befreiten" Teil der syrischen Provinz Aleppo ablichten zu lassen. Wie vor zwei Jahren in der Libyen-Krise führt der Vietnamkriegsveteran McCain im US-Kongreß diejenige Fraktion an, die mehr Militärhilfe für die Regierungsgegner, einschließlich der Verhängung einer Flugverbotszone, verlangen und Obama wegen Zögerlichkeit kritisieren.

Wie sich die Entscheidung Rußlands, das S-300-Luftabwehrsystem in Syrien stationieren zu lassen, auf die laufenden Überlegungen im Pentagon und Weißen Haus auswirken wird, ist unklar. Sie macht auf jeden Fall ein militärisches Engagement für die NATO risikoreicher als 2011 in Libyen. Nicht nur bestünde eine größere Gefahr für die eigenen Piloten, abgeschossen zu werden, gezielte Angriffe auf die mobilen S-300-Abschußvorrichtungen samt Radaranlage könnten den Tod russischer Techniker mit sich bringen und so die NATO und Rußland an den Rand eines Krieges treiben.

Auch wenn die meisten Beobachter die Verlegung der S-300-Raketen nach Syrien mit dem Veto Frankreichs und Großbritanniens gegen die Verlängerung des EU-Waffenexportstopps für Syrien in Verbindung bringen, sollte in diesem Zusammenhang ein anderes Ereignis nicht in Vergessenheit geraten. Am 30. April wurde eine Passagiermaschine der russischen Chartergesellschaft Nordwind vom Typ A-320, die mit 159 Ägypten-Urlaubern und einer achtköpfigen Besatzung auf dem Heimweg von Kairo in die russische Metropole Kasan unterwegs war und dabei syrisches Territorium überflog, mit zwei Boden-Luft-Raketen angegriffen. Sie explodierten zwar jeweils in 8900 und 9200 Meter Höhe, verfehlten zum Glück jedoch das Flugzeug. Man geht davon aus, daß die Rebellen die Raketen abgefeuert haben. In den westlichen Medien ist über den Beinah-Massenmord an russischen Zivilisten wenig berichtet worden - vermutlich aus Rücksicht auf die Handlanger der NATO in Syrien und deren Kampf gegen das vermeintlich böse Assad-"Regime".

31. Mai 2013