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NAHOST/1255: Sunnitische Imame rufen zum Dschihad in Syrien auf (SB)


Sunnitische Imame rufen zum Dschihad in Syrien auf

Kairoer Erklärung soll für frische Rekruten aus Ägypten sorgen



Nach jüngsten Angaben der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hatte der seit zwei Jahren anhaltende Bürgerkrieg in Syrien bis Ende April mindestens 93.000 Menschen, darunter 6000 Kinder, das Leben gekostet. Dies gab am 13. Juni Navi Pillay, UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, bekannt. Leider ist kein Ende des Blutvergießens in Syrien in Sicht. Eher ist mit einer Intensivierung des Krieges und noch höheren Verlustraten zu rechnen. Schließlich haben ebenfalls am 13. Juni nicht nur die USA erklärt, sie würden den syrischen Aufständischen "direkte Militärhilfe" zukommen lassen und erwögen die Verhängung einer Flugverbotszone, sondern es haben auch in der ägyptischen Hauptstadt Kairo mehr als 70 sunnitische Geistliche aus diversen Ländern ihre Glaubensgenossen zu einem Dschihad in Syrien aufgerufen.

In der islamischen Welt bilden die Sunniten mit rund 90 Prozent die Mehrheitskonfession. Die Schiiten stellen nur zehn Prozent der Moslems und eine Mehrheit der Bevölkerung lediglich in den Ländern Bahrain, Irak und Iran dar. In der Presse konnte man bisher vor allem Berichte über sunnitische Freiwillige aus Libyen, Tunesien, dem Libanon und dem Irak, die am Bürgerkrieg teilnehmen, lesen. Seit einiger Zeit ist aber auch die Rede von jungen schiitischen Männern aus dem Irak und Iran, die an der Seite der libanesischen Hisb-Allah-Miliz und der Streitkräfte Baschar Al Assads kämpfen. Ägypten ist mit mehr als 80 Millionen Bewohnern der bevölkerungsreichste Staat der arabischen Welt. 80 bis 90 Prozent der Ägypter sind sunnitische Moslems, die übrigen christliche Kopten. Folgen viele junge Ägypter dem Aufruf der sunnitischen Imame, womit angesichts der politischen und wirtschaftlichen Krise am Nil gerechnet werden darf, brauchen sich die Aufständischen in Syrien langfristig keine Sorgen um den Nachschub an neuen Rekruten zu machen.

Anlaß zu dem Aufruf waren die jüngsten Erfolge der syrischen Regierungstruppen, die in den letzten Wochen mit Hilfe der Hisb-Allah-Miliz die Rebellen aus der strategisch wichtigen Stadt Al Kusair an der Grenze zum Nordlibanon vertrieben haben und nun eine Großoffensive gegen Aleppo vorbereiten, um die Handelsmetropole nahe der türkischen Grenze zurückzuerobern. Der Aufruf zum Dschihad erfolgte zum Auftakt einer Konferenz im Rahmen einer von der ägyptischen Muslimbruderschaft organisierten Syrischen Solidaritätswoche. In Syrien, wo die Sunniten die große Mehrheit bilden, während das Land seit Jahrzehnten von den Alewiten - eine kleinere Gruppe innerhalb des Schiitentums - regiert wird, stellt die Moslembruderschaft traditionell die wichtigste Oppositionsbewegung dar. In Damaskus will sie nun - wie 2011 die ägyptische Moslembruderschaft in Kairo - endlich die Macht übernehmen.

Hauptinitiator sowohl des Aufrufs als auch der ganzen Solidaritätswoche, an der an einem Tag Ägyptens Präsident Mohammed Mursi teilnehmen sollte, war Youssef Al Qaradawi. Das langjährige Mitglied der ägyptischen Moslembruderschaft lebte während der Ära des Diktators Hosni Mubarak im politischen Exil in Katar. Dort hat er sich mit seiner Diskussionsendung beim arabischen Nachrichtensender Al Jazeera zu einem der einflußreichsten Geistlichen der muslimischen Welt entwickelt. Unvergessen ist die Fatwa, mit der er im Frühjahr 2011, gleich zu Beginn der Unruhen in Libyen, zur Ermordung von Muammar Gaddhafi aufrief.

Aus der Wortwahl der Kairoer Erklärung der sunnitischen Imame geht eindeutig vor, daß diese die Schiiten für keine wahren Moslems halten, sondern eher als Ketzer oder Ungläubige betrachten. Dort heißt es unter anderem: "Dschihad ist für den Sieg unserer Brüder in Syrien - Dschihad mit Geist, Geld, Waffen; alle Formen des Dschihads - erforderlich. ... welche Unterstützung auch immer, die das syrische Volk aus den Fängen des Mordes und des Verbrechens seitens des syrischen Regimes befreit. ... Das, was unseren Brüdern auf syrischem Boden passiert, nämlich die Gewalt, die vom iranischen Regime, der Hisb Allah und ihren sektiererischen Verbündeten ausgeht, zählt als Kriegserklärung an den Islam und die muslimische Gemeinde im allgemeinen."

Nach der Verkündung des Dschihad-Aufrufs hat Khaled Al Qazzaz, außenpolitischer Berater von Präsident Mursi, auf einer Pressekonferenz erklärt, die Regierung in Kairo habe "nicht die Ägypter aufgefordert, nach Syrien zu fahren, um zu kämpfen". Gleichwohl stellte Al Qazzaz, der wie Mursi zur Moslembruderschaft gehört, fest, "Alle Ägypter genießen die Reisefreiheit", was auch als indirekte Aufforderung zur Teilnahme am syrischen Bürgerkrieg verstanden werden kann. Interessanterweise hat am selben Tag wie dem Auftakt der Syrischen Solidaritätswoche in Kairo US-Außenminister John Kerry in Washington auf einer Pressekonferenz mit seinem britischen Amtskollegen William Hague die Entscheidung der Regierung Barack Obamas, die syrischen Rebellen aufzurüsten, mit dem Argument begründet, Washington wolle "alles" unternehmen, "um Syrien zu retten". Man mag sich nicht ausmalen, was von Syrien übrig geblieben sein wird, wenn die USA, ihre NATO-Verbündeten, die arabischen Golfstaaten und die sunnitische Moslembruderschaft mit ihrer "Rettungsaktion" fertig sind.

15. Juni 2013