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NAHOST/1278: Der Syrienkrieg weitet sich auf den Libanon aus (SB)


Der Syrienkrieg weitet sich auf den Libanon aus

Israel und Saudi-Arabien halten an der Destabilisierung Syriens fest



In Syrien nehmen die Kämpfe zu, nachdem vor wenigen Tagen die Regierung in Damaskus und der oppositionelle Syrische Nationalrat ihre Teilnahme an Friedensverhandlungen, die am 22. Januar in Genf unter der Schirmherrschaft von Rußland und den USA beginnen sollen, zugesagt haben. Militärisch versuchen die staatlichen syrischen Streitkräfte ihre in den vergangenen Monaten erzielten Geländegewinne auszubauen, um sich die bestmögliche Ausgangsposition bei den politischen Verhandlungen zu verschaffen. Bei den Rebellen steht möglicherweise eine große Spaltung bevor. Unbestätigten Berichten zufolge könnte sich die mit dem Syrischen Nationalrat verbundene Freie Syrische Armee, die hauptsächlich aus abtrünnigen Soldaten und Offizieren der regulären Streitkräfte besteht, von den sunnitischen Salafisten, die inzwischen die Mehrheit der Aufständischen ausmachen, trennen, um auf der Seite des säkularen "Regimes" um Präsident Baschar al Assad gegen die Gotteskrieger zu kämpfen. Die aktuelle Annäherung zwischen den USA, lange Zeit die Hauptbefürworter eines "Regimewechsels" in Damaskus, und dem Iran, neben Rußland der wichtigste Verbündete Syriens, hat diese Möglichkeit eröffnet.

Die Milizionäre von der Islamischen Front und der al-kaida-nahen Al Nusra lehnen hingegen Gespräche mit "Ungläubigen" wie dem Alewiten Assad ab und wollen bis zu dessen Sturz und der Errichtung eines Kalifats ihren "heiligen" Krieg fortsetzen. Bestärkt werden die Dschihadisten in ihrer unversöhnlichen Haltung von Saudi-Arabien und Israel, welche die sich abzeichnende Versöhnung zwischen den USA und dem Iran einschließlich einer Beilegung des sogenannten "Atomstreits" ablehnen und weiterhin die Zerschlagung des "schiitischen Bogens" zwischen dem Libanon, wo die Hisb Allah zu den stärksten politischen Kräften gehört, Assads Syrien und dem von den Mullahs beherrschten Iran anstreben. Mehrere Anschläge gegen Ziele der Hisb Allah in der libanesischen Hauptstadt Beirut in den letzten Wochen verdeutlichen dies.

Mit Hilfe der schiitischen Hisb-Allah-Miliz hatten die staatlichen Streitkräfte im Syrienkonflikt in den vergangenen Monaten die Oberhand gewonnen. Im Frühjahr haben sie die Stadt Kusair nahe der Grenze zu Nordlibanon erobert und damit den Nachschub an Waffen und Kämpfern, der über Tripoli lief, unterbrechen können. In der libanesischen Hafenstadt flammen seit Jahren - in letzter Zeit verstärkt - immer wieder Kämpfe zwischen pro-syrischen Alewiten und sunnitischen Salafisten auf. Am 23. August explodierten vor zwei sunnitischen Moscheen Autobomben, die 47 Menschen töteten und mehr als 800 Menschen verletzten. Bis heute hat sich niemand zu dem schwersten Bombenanschlag seit dem Ende des libanesischen Bürgerkrieges 1990 bekannt. Viele Sunniten vermuten dahinter die Hisb Allah. Diese wiederum hat jede Verwicklung bestritten. Alle Versuche der Armee des Libanons, die Situation in der zweitgrößten Stadt des Landes zu beruhigen, verliefen bislang erfolglos.

Am 19. November sprengten sich zwei Selbstmordattentäter vor der iranischen Botschaft in Beirut in die Luft und rissen dabei 23 Menschen mit in den Tod. Mindestens 160 Personen wurden durch die Explosionen verletzt. Zu dem Angriff bekannten sich die in Syrien und anderswo operierenden Abdullah-Azzam-Brigaden, die sich nach Osama Bin Ladens palästinensischem Mentor benennen, der in den achtziger Jahren von Pakistan aus bei der Versorgung der afghanischen Mudschaheddin mit ausländischen Kämpfern eine führende Rolle spielte. Zur Begründung des Anschlages wurde auf die Unterstützung des Irans für die Hisb Allah und deren Teilnahme am Syrienkrieg hingewiesen. Solange Teheran die Aktivitäten der Hisb-Allah-Miliz in Syrien fördere, würden iranische Objekte Ziel von Anschlägen bleiben, so die Mitteilung der Abdullah-Azzam-Brigaden.

In einem am 3. Dezember vom libanesischen Fernsehsender OTV ausgestrahlten Live-Interview äußerte sich Hisb Allahs Generalsekretär Hassan Nasrallah von der Echtheit der Bekennerschaft der Abdullah-Azzam-Brigaden zu den Botschaftsanschlägen überzeugt. Unter Verweis auf die saudische Staatsangehörigkeit des "Emirs" der AAB, Majid bin Muhammed al Majid, behauptete er, daß zwischen der Gruppe und dem Geheimdienst Saudi-Arabiens eine "direkte Verbindung" bestehe. Er warnte zudem vor verstärkten Bemühungen Riads, in den kommenden Wochen die Verhandlungen um eine Beendigung des Syrienkrieges zu torpedieren. "Das Königreich Saudi-Arabien beharrt darauf, in Syrien bis zum letzten Bluttropfen zu kämpfen ... Es kann eine politische Lösung nicht tolerieren", so Nasrallah.

Der Hisb-Allah-Chef deutete die Anschläge auf die iranische Botschaft als Reaktion der Saudis auf ihr eigenes "Versagen" in der Nahost-Region. Er machte Riad für das miserable Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und Teheran sowie für die länderübergreifenden Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten verantwortlich. Mit den Worten, "Saudi-Arabien betrachtet den Iran seit längerem als Feind ... doch fehlt den Saudis der Mut, überhaupt mit einem anderen Land in direkte militärische Konfrontation zu treten", lieferte Nasrallah die Erklärung dafür, warum Riad es in der Regel vorzieht, seine Drecksarbeit von gewaltbereiten salafistischen Gruppen à la Al Kaida erledigen zu lassen.

Einen Tag nach den ungewöhnlich offenen Äußerungen Nasrallahs mußte die Hisb Allah einen weiteren schweren Angriff hinnehmen. Hassan Al-Lakkis, ein führender Kommandeur der Hisb-Allah-Miliz, wurde von unbekannten Tätern erschossen, als er am Abend des 3. Dezember vor seiner Wohnung in Beiruter Stadtteil Sankt Therese aus seinem Auto stieg. Über die Täterschaft für die Ermordung von Lakkis herrscht Unklarheit. In einer ersten Reaktion hat die Hisb Allah Israel für das Attentat verantwortlich gemacht. Ein mögliches Motiv wäre die von der in Beirut erscheinenden Zeitung Daily Star attestierte Rolle Lakkis bei der Waffenbeschaffung und -entwicklung der Hisb Allah, darunter von unbemannten, ferngesteuerten Flugzeugen, auch Drohnen genannt.

Israel hat erwartungsgemäß jede Teilnahme an der Operation gegen einen seiner Hauptfeinde bestritten. Zu der Tat bekannte sich am 4. Dezember die "Freien Sunnitischen Brigaden in Baalbek"; besagte Provinzhauptstadt der libanesischen Bekaa-Ebene ist überwiegend von Schiiten bewohnt. Zur Begründung der Ermordung von Lakkis hieß es in der Erklärung der bislang unbekannten Gruppe, er wäre für "das Massaker von Kusair" - eine Umschreibung der bereits erwähnten Niederlage der syrischen Salafisten nahe der Grenze zu Nordlibanon im Frühjahr - verantwortlich. Jedenfalls sieht derzeit alles danach aus, als würden Tel Aviv und Riad über ihre verschiedenen Aktivposten im Libanon versuchen, die Hisb Allah zu provozieren und den Konflikt in Syrien am Leben zu halten.

6. Dezember 2013