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NAHOST/1296: Vernichtung von Syriens Chemiewaffen schreitet voran (SB)


Vernichtung von Syriens Chemiewaffen schreitet voran

Rüstungspolitische Kooperation Washingtons und Moskaus zeigt Früchte



In Syrien ist kein Ende des Bürgerkrieges in Sicht. Zwar haben die syrischen Streitkräfte seit vergangenem Jahr wichtige Erfolge wie die Rückeroberung der Stadt Yabrud nahe der Grenze zum Norden des Libanons und damit die Unterbrechung eines wichtigen Nachschubweges für die Rebellen erzielen können, sie schaffen es jedoch nicht, den Aufstand gänzlich niederzuringen. Dafür ist die finanzielle und militärische Unterstützung aus der Türkei, Jordanien, den arabischen Golfstaaten und den USA für die Rebellen zu stark. Unter dem Stellvertreterkrieg zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen Seite, dem "Regime" von Baschar Al Assad in Damaskus sowie dem Iran und der libanesischen Hisb-Allah-Miliz auf der anderen leiden Millionen von einfachen Syrern. Durch die mörderische Gewalt haben sie Freunde und Familienangehörige verloren und sind selbst zu Krüppeln oder Flüchtlingen geworden, während die Infrastruktur ihres Landes und damit die Grundlage ihres Überlebens systematisch vernichtet wird.

Praktisch die einzige gute Nachricht, die es dieser Tage aus Syrien gibt, ist, daß die Vernichtung der Chemiewaffen der regulären Armee gut läuft und bald abgeschlossen sein dürfte. Im August vergangenen Jahres war es in Ghouta, einem Vorort von Damaskus, zu einem mysteriösen Giftgasangriff gekommen, der Dutzende, möglicherweise Hunderte von Zivilisten das Leben kostete. Obwohl die Urheberschaft unklar war - und niemals richtig ermittelt werden sollte -, machten US-Präsident Barack Obama und sein Außenminister John Kerry sofort das Assad-"Regime" für die Greueltat verantwortlich und drohten mit einem Raketenangriff. Auf Anraten Rußlands ist Syrien im September dem Abkommen zum Verbot von Chemiewaffen beigetreten, hat den Verzicht auf solche Kriegsmittel erklärt und damit die Militärintervention der Amerikaner verhindert. Rasch wurde der Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW) eine Liste aller in Syrien befindlichen Chemiewaffen, Vorläuferstoffe, Produktions- und Lagerstätten übermittelt. Daraufhin hat die OPCW Inspekteure nach Syrien geschickt, welche die Angaben überprüften und mit den syrischen Behörden einen Zeitplan für die Beseitigung der Chemiewaffen ausarbeiteten. Infolge der allgemeinen Erleichterung über die Deeskalation der internationalen Krise wurde im November die OPCW mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Seitdem arbeiten die OPCW-Experten mit den syrischen Behördenvertretern Tag und Nacht, um den Zeitplan zu realisieren. In einem ersten Schritt wurden die Produktionsstätten für Chemiewaffen in Syrien unbrauchbar gemacht, indem man die fraglichen Maschinen und Technologien zerstörte. Im zweiten Schritt wurden die rund 1200 Tonnen Chemiewaffen und Vorläuferprodukte in mehreren Lagerhallen bei Damaskus gesammelt und für den Straßentransport in herkömmlichen Schiffscontainern bereit gemacht. Seitdem rollen die Lastwagen mit der gefährlichen Fracht über die Autobahn von der syrischen Hauptstadt zum Mittelmeerhafen Latakia. Von dort wird sie auf Handelsschiffe verladen, die sie zu einem in internationalen Gewässern stationierten Spezialschiff der US-Marine, der Cape Ray, bringen, wo die Chemiewaffen mittels eines Hydrolyse-Systems zu weniger gefährlichen Stoffen zerlegt werden. Das Produkt dieses Verfahrens soll später in den USA und Westeuropa an Land gebracht und in Verbrennungsanlagen endgültig vernichtet werden.

Wegen der anhaltenden Kämpfe in Syrien im allgemeinen, entlang der Straßenverbindung zwischen Damaskus und Latakia im besonderen konnte das ursprüngliche Ziel, bis zum 6. Februar alle syrischen Chemiewaffen außer Landes geschafft zu haben, nicht realisiert werden. Am 20. März gab die OPCW eine Erklärung heraus, wonach bereits die Hälfte aller Chemikalien und ein Drittel der gefährlichsten Kampfstoffe der Stufe 1 verschifft und damit außer Landes gebracht worden seien. Angesichts der schwierigen Umstände, unter denen die technisch und logistisch hochkomplizierte Operation stattfindet, gaben sich die OPCW-Verantwortlichen mit dem bisherigen Verlauf zufrieden. Aufgrund des "guten Fortschritts" hoffe man bis zum 27. April die restlichen syrischen Chemiewaffen zur Cape Ray geschafft zu haben, hieß es.

In den USA wird der Erfolg der OPCW-Mission in Syrien nicht so richtig wahrgenommen. Diejenigen neokonservativen Kräfte in Medien und Politik, die seit 2011 auf einen "Regimewechsel" in Damaskus drängen, greifen Präsident Obama mit der Behauptung an, im vergangenen Herbst habe er sich von Rußlands Präsidenten Wladimir Putin über den Tisch ziehen lassen, als er im Gegenzug für Assads Verzicht auf seine Chemiewaffen den bevorstehenden Raketenangriff auf die syrischen Streitkräfte abblies. Obamas Gegner stellen ihn als Schwächling dar, dessen angebliche Zaghaftigkeit in der Syrien-Krise Rußland dazu ermutigt hat, sich vor wenigen Tagen die Schwarzmeerhalbinsel Krim einzuverleiben. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß Washington derzeit darauf drängt, daß die früheren Produktionsstätten für die syrischen Chemiewaffen dem Erdboden gleichgemacht werden. Die syrische Regierung dagegen will die Anlagen behalten, um sie später anderen industriellen Zwecken zuzuführen. Deswegen will Damaskus bei einem Treffen des Exekutivrats der OPCW am 28. März einen Alternativvorschlag, der den Erhalt der Gebäude ermöglichen soll, präsentieren.

22. März 2014