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NAHOST/1327: Netanjahu erteilt der Zweistaatenlösung eine Absage (SB)


Netanjahu erteilt der Zweistaatenlösung eine Absage

Kompromißbereitschaft - für Israels Premierminister ein Fremdwort



Seit einer Woche nun liegt Gaza unter Dauerbombardement der israelischen Streitkräfte. In dem dichtbesiedelten Küstenstreifen schlagen vom Land und von See aus Raketen, Bomben und Artilleriegeschosse ein. Als Ziel der Operation Protective Edge nannte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die endgültige Zerstörung der "terroristischen Infrastruktur" der Islamischen Widerstandsbewegung Hamas in Gaza. Wie weit die Israelis bei der Realisierung jenes Zieles gekommen sind, läßt sich nicht sagen. Fest steht lediglich, daß sie bislang 194 Gazabewohner getötet und weitere 1485 verletzt wurden, die meisten von ihnen Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder. Ungeachtet dessen geht der Beschuß Israels mit Raketen der Hassam-Brigaden, des militärischen Arms der Hamas, und des Islamischen Dschihads, die aufgrund ihrer Zielungenauigkeit verhältnismäßig wenig Schaden anrichten und bisher nur einen Bürger Israels getötet haben, unvermindert weiter.

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli hat Ägypten auf Drängen des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, der seinen Sitz in Ramallah im Westjordanland hat, eine Friedensinitiative gestartet. Sie sah eine Feuerpause ab 09.00 Uhr und eine Entmilitarisierung des Gazastreifens vor. Israel hat dem Vorschlag zugestimmt. Für wenige Stunden schwiegen die Waffen der israelischen Armee. Die Hamas hat den ägyptischen Vorstoß aus zwei Gründen jedoch nicht angenommen: erstens weil Kairo ihr den Plan angeblich nicht vorgelegt hatte - in Gazastadt soll man davon über die Medien erfahren haben - und zweitens weil man parallel zur Entmilitarisierung eine generelle Lockerung der israelischen Abriegelung des Gazastreifens verlangt. Inzwischen haben die israelischen Streitkräfte ihre einseitige, vorübergehende Waffenruhe beendet. Möglicherweise steht die von Netanjahu angedrohte Bodenoffensive bevor.

So oder so sieht die Zukunft der israelisch-palästinensischen Beziehungen düster aus. Die Klage von Abbas, auf israelischer Seite habe er niemanden, mit dem er einen endgültigen Frieden schließen könne, scheint berechtigt zu sein. Ende März waren die von US-Präsident Barack Obama und Außenminister John Kerry angeschobenen Nahost-Friedensverhandlungen deshalb gescheitert, weil sich Israels rechtsgerichtete Regierung weigerte, den Bau jüdischer Siedlungen auf der Westbank und in Ostjerusalem zu stoppen und eine Vereinbarung bezüglich der Freilassung palästinensischer Häftlinge zu erfüllen. Daraufhin war es im Mai zur Versöhnung zwischen Fatah und Hamas und Anfang Juni zur Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung gekommen, die Parlamentswahlen in den besetzten Gebieten organisieren sollte. Die Aufwertung, welche die Hamas durch die Anerkennung der neuen palästinensischen Regierung seitens der EU und vor allem der USA erfahren hat, und nicht die Ermordung dreier Torah-Schüler auf der Westbank scheint der eigentliche Anlaß für die jüngste israelische Militäroperation in Gaza gewesen zu sein.

Diesbezüglich erklärte Abbas am 11. Juli im Interview mit dem libanesischen Fernsehsender Al Mayadeen: "Israel erkennt uns als Nation nicht an und behandelt uns nicht wie Menschen. Israel lehnte die Versöhnung [zwischen Fatah und Hamas - Anm. d. SB-Red.] ab und will die Trennung zwischen Westbank und Gaza aufrechterhalten. Ich beharre darauf, die Versöhnung fortzusetzen. Hätte ich mich vor Israel und den USA gefürchtet, hätte ich damit gar nicht erst angefangen." Resümierend stellte er fest: "Die einzige Lösung der derzeitigen Krise ist eine diplomatische, doch ich habe keinen Partner für eine Zweistaatenlösung."

Wie richtig Abbas mit seiner Einschätzung liegt, zeigten die ungewöhnlich unverblümten Äußerungen, die Netanjahu ebenfalls am 11. Juli auf einer Pressekonferenz in Jerusalem zum Thema Palästina machte. Weil er in dem Moment Hebräisch sprach, fanden sie keine große Verbreitung in der internationalen Presse. (Die Times of Israel hat sie jedoch ins Englische übersetzt und am selben Tag auf ihrer Website publiziert.) Nachdem er die Notwendigkeit der Beseitigung der von Gaza ausgehenden Raketengefahr für Israel hervorgehoben hatte, beschwor Netanjahu "das Aufkommen des islamischen Extremismus", der aktuell den Fortbestand der Nachbarstaaten Libanon, Syrien, Irak, Jemen, Jordanien und Saudi-Arabien gefährde und sich Israel immer mehr nähere. Israel sei jedoch militärisch stark genug, um auch dieser Gefahr jeder Zeit zu begegnen, behauptete er. "Niemand soll sich mit uns anlegen", so der ehemalige Kommandeur der israelischen Spezialeinheit Sajeret Matkal.

Unter Verweis auf die Hamas-Gefahr bezeichnete Netanjahu den Abzug der israelischen Streitkräfte 2005 aus dem Gazastreifen als schweren strategischen Fehler und erinnerte daran, daß er schon damals die Maßnahme abgelehnt hatte. Vor diesem Hintergrund erteilte er der unter anderem von der Obama-Regierung vorgetragenen Forderung nach einer vollständigen Räumung der Westbank eine kategorische Absage. Würden die israelischen Streitkräfte "von Judäa und Samaria abgezogen werden", würde man dadurch nur "weitere 20 Gazas schaffen". "Ich denke, daß das israelische Volk inzwischen versteht, was ich schon immer sage: nämlich daß es unter keinem Abkommen eine Situation geben kann, in der wir die Sicherheitskontrolle über das Territorium westlich des Jordanflusses aufgeben." Letzter Satz ist von großer Bedeutung, denn er stellt nichts weniger als die endgültige Absage Tel Avivs an die Idee der Schaffung eines wirklich souveränen palästinensischen Staates dar.

15. Juli 2014