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NAHOST/1338: USA greifen wieder militärisch im Irak ein (SB)


USA greifen wieder militärisch im Irak ein

Obama ordnet Luftschläge gegen Al Baghdadis Islamischen Staat an



Zweieinhalb Jahre nach dem Abzug der letzten amerikanischen Kampftruppen aus dem Irak greifen dort die USA zum ersten Mal wieder militärisch ein. Hintergrund der Aktion ist der Vormarsch der Armee des am 29. Juni von Abu Bakr Al Baghdadi ausgerufenen Khalifats Islamischer Staat (IS), die nach der Eroberung von Mossul, der zweitgrößten Stadt des Iraks, nun vor den Toren sowohl Bagdads als auch von Erbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion im Nordosten des Zweistromlands, steht. Bei der Bekanntgabe der neuen US-Militäroperation in einer Fernsehansprache am Abend des 7. August hat Präsident und Oberbefehlshaber Barack Obama erklärt, keine Bodentruppen in den Irak schicken zu wollen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie begrenzte Luftangriffe der USA, welche die staatliche irakische Armee und die kurdischen Peschmergas unterstützen sollen, allein ausreichen sollen, um den Vormarsch der IS-Kämpfer zum Erliegen zu bringen.

Obama hat die Notwendigkeit der neuen Militärmaßnahme zweifach begründet: erstens zum Schutz diplomatischen und militärischen Personals der USA in Erbil und zweitens zur Rettung Tausender Jesiden, die nach der Eroberung ihres Siedlungsgebietes um die Städte Sindschar und Zumar in der nordwestirakischen Provinz Nineveh vor wenigen Tagen aus Angst vor Greueltaten der IS-Dschihadisten in die nahegelegenen, unwirtlichen Berge geflüchtet waren und dort zu verhungern bzw. zu verdursten drohen. Gleich in der Nacht vom 7. auf den 8. August sollen US-Transportflugzeuge Wasser und Lebensmittel über dem Sindschar-Gebirge abgeworfen haben, während amerikanische Kampfjets IS-Stellungen in der Nähe von Erbil mit Bomben und Raketen angriffen. Die Transportflugzeuge kamen aus NATO-Basen in der Türkei. Die Kampfjets waren vom Flugzeugträger George H. W. Bush im Persischen Golf gestartet.

An der "begrenzten" US-Militäroperation sind also bereits ein aus acht Schiffen bestehender Flugzeugträgerverband, achtzig Kampfjets und eine unbekannte Anzahl von Drohnenflugzeugen beteiligt. Da die Aktion mit Sicherheit nicht in ein Paar Tagen vorbei sein wird, dürfte sich das Pentagon bald zur Entsendung weiteren Bodenpersonals gezwungen sehen, das wiederum seinerseits Schutzbegleitung benötigen wird. Der unvermeidbaren Logik der Militäreskalation folgend, hat die Obama-Regierung, die nach dem Fall von Mossul im Juni 300 Militärberater nach Bagdad entsandt hatte, gleich am 8. August die Verteidigung der irakischen Hauptstadt zu einem Ziel der sich erweiternden Operation erklärt.

Die USA hat das erneute Militärengagement im Irak mit der Forderung nach dem Rücktritt von Premierminister Nuri Al Maliki verbunden. Der seit 2006 amtierende Regierungschef sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, die wichtigsten Positionen im Staatswesen mit eigenen schiitischen Glaubensgenossen besetzt, die Sunniten an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und somit zum Aufkommen des IS wesentlich beigetragen zu haben. Seit Wochen befinden sich die Abgeordneten des Parlaments in Bagdad auf der Suche nach einem Nachfolger für Maliki, der wiederum offenbar seinen Stuhl trotz Aufforderungen aus Washington, aus Teheran und sogar seitens des höchsten schiitischen Geistlichen des Iraks, Großajatollah Ali Sistani, nicht freiwillig räumen will. Doch die katastrophalen Niederlagen der irakischen Sicherheitskräfte der letzten Wochen haben das Ansehen Al Malikis, der auch Innen- und Verteidigungsminister des Iraks und somit für Polizei und Armee zuständig ist, irreparabel beschädigt. Seine Tage im Amt dürften gezählt sein.

Für die ersten Angriffe der US-Luftwaffe auf IS-Positionen hat sich Massud Barsani, der Präsident des autonomen irakischen Kurdengebiets, der seit Monaten Washington um Waffenhilfe anflehte, ausdrücklich bei der Obama-Regierung bedankt. Über die neue Entwicklung dürften sich auch die Führungen der in Erbil ansässigen US-Ölunternehmen Chevron und Esso freuen, die am 7. August wegen der anrückenden IS-Einheiten mit der Evakuierung ihrer ausländischen Mitarbeiter begonnen hatten. Mit gemischten Gefühlen reagierten dagegen die Mitglieder der kurdischen Milizen PKK und YPG, die in den letzten Tagen zu Tausenden aus der Türkei respektive Syrien gekommen waren, um den irakischen Peschmergas im Kampf gegen die IS-Rebellenarmee beizustehen. Inzwischen sollen YPG-und PKK-Kämpfer mehr als 8.000 in das Sindschar-Gebirge geflüchteten Jesiden-Familien dabei geholfen haben, sich über die Grenze zu Syrien in die kurdische Enklave Rojava abzusetzen und sich - vorläufig zumindest - in Sicherheit zu bringen.

In einem aufschlußreichen, bereits am 23. Juni bei der Onlinezeitung Al-Monitor erschienenen Interview hat Salih Muslim, der Kovorsitzende der kurdischen Partiyaq Yekitiya Demokrata (Partei der demokratischen Union - PYD), des politischen Arms der YPG, die Türkei bezichtigt, Al Baghdadis IS, der früher Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) hieß, heimlich zu unterstützen. Seit drei Jahren verteidigt die YPG die kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien nahe der türkischen Grenze erfolgreich gegen die sunnitischen Salafisten. Muslim warf zudem den USA und den arabischen Golfstaaten vor, die militanten Gegner Bashar Al Assads ungeachtet ihres religiösen Fanatismus' mit Mengen an Waffen und Geld ausgestattet zu haben. Auch nach dem Fall von Mossul habe niemand aus der Türkei oder den USA die PYD kontaktiert, um einen gemeinsamen Kampf gegen den IS zu koordinieren, so Muslim. Offensichtlich wollen die USA und ihr NATO-Partner Türkei in Syrien und im Irak als Brandleger und Feuerwehr zugleich agieren.

9. August 2014