Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1347: Geiselnahme durch IS wird zum Riesenproblem (SB)


Geiselnahme durch IS wird zum Riesenproblem

Die Türkei, Fidschi und der Libanon vor großen Herausforderungen



Auf dem NATO-Gipfel am 4. und 5. September in Wales war neben der Ukraine-Krise die Bekämpfung der sunnitisch-salafistischen Miliz ISIS, die Ende Juni in den von ihr kontrollierten Teilen Ostsyriens und Nordwestiraks das Kalifat namens Islamischer Staat ausgerufen hat, das wichtigste Thema. Zusammen mit Australien und den arabischen Golfstaaten will sich die NATO nun der Herausforderung durch den IS stellen. Zu diesem Zweck sollen die irakischen Streitkräfte weitreichende Rüstungshilfe und Luftunterstützung erhalten. Wie der Kampf gegen ISIS in Syrien geführt werden soll, ist unklar. Während die meisten NATO-Regierungschefs weiterhin am Ziel eines "Regimewechsels" in Damaskus festhalten, sind immer mehr Nahost-Experten und Ex-Militärs der Meinung, daß sich die nordatlantische Allianz mit Baschar Al Assad versöhnen und die staatlichen syrischen Streitkräfte im Kampf gegen die Islamisten unterstützen sollte.

Nach der Veröffentlichung der grausamen Videoaufnahmen von der Enthauptung der beiden US-Journalisten James Foley und Steven Sotloff im Internet wurde die Beseitigung der ISIS zu einer der vordringlichsten Aufgaben in der westlichen Politik. In diesem Zusammenhang appellierte NATO-Gipfelgastgeber David Cameron an seine Amtskollegen, kein Lösegeld an den IS oder an andere islamistische Gruppen zu zahlen, um entführte Menschen aus deren Gewalt zu befreien. Während hier die USA und Großbritannien eine harte Linie vertreten, sind andere Staaten eher dazu bereit, geheime Deals mit den Entführern zu treffen, um die eigenen Landsleute nach Hause zu holen.

Der britische Premierminister steht wegen des Schicksals von David Haines unter Druck. Der schottische Entwicklungshelfer wurde letztes Jahr aus einem Flüchtlingslager nahe der Grenze zur Türkei in der syrischen Provinz Idlib verschleppt. Am Ende des Videos von der Ermordung Sotloffs zeigt ein vermummtes IS-Mitglied auf Haines und droht offen mit dessen Hinrichtung. Im vergangenen Mai war der italienische Entwicklungshelfer Frederico Motka, der zusammen mit Haines entführt worden war, freigekommen. Man vermutet, daß Rom Lösegeld bezahlt hat. In den letzten Monaten haben islamistische Rebellengruppen in Syrien dänische, deutsche, französische und spanische Geiseln gegen Geld gehen lassen. Inzwischen hat der IS zwei neue italienische Geiseln und mehrere Amerikaner, darunter eine junge Frau, in seiner Gewalt.

Wenngleich das meiste Geld bei westlichen Industriestaaten zu holen ist, sind auch nicht-westliche Länder von der Geiselproblematik im Nahen Osten betroffen (von der Verschleppung Tausender Iraker und Syrer ganz zu schweigen). Als ISIS am 11. Juni Mossul, die zweitgrößte Stadt des Iraks, im Sturm eroberte, hat sie 49 Türken in Geiselhaft genommen. Es handelt sich hier um Mitarbeiter des türkischen Konsulats sowie deren Ehegatten und Kinder. Bisher sind diese Menschen nicht freigekommen. Ihre Verschleppung hat dazu geführt, daß die Regierung in Ankara allmählich ihre Anti-Assad-Politik überdenkt und es den syrischen Aufständischen zunehmend schwer macht, vom türkischen Boden aus zu operieren.

Ende August haben islamistische Kämpfer von der Al-Nusra-Front 44 Soldaten aus Fidschi, die zur UN-Mission auf den Golan-Höhen zur Beobachtung der Einhaltung des Waffenstillstands zwischen Israel und Syrien gehören, verschleppt. Als Preis für ihre Freilassung fordert die Al-Nusra humanitäre Hilfe und auch finanzielle Entschädigung für drei Mitglieder, die bei Kämpfen mit den UN-Truppen ums Leben gekommen waren. Darüber hinaus verlangt sie, daß ihr Name von der offiziellen UN-Liste der "Terrororganisationen" gestrichen wird. Da die Al-Nusra-Front als Ableger des Al-Kaida-"Netzwerkes" gilt, dürfte die Erfüllung letzter Forderung schwierig, wenn nicht unmöglich sein.

Anfang August haben die Rebellen den seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien vor drei Jahren schwersten Vorstoß in den Libanon hinein gestartet, als sie die Grenzstadt Arsal im Bekaatal einnahmen und fünf Tage lang besetzt hielten. Nach schweren Kämpfen zogen sie sich wieder nach Syrien zurück, nahmen jedoch 24 libanesische Armeesoldaten und Polizisten als Geiseln. An der spektakulären Aktion waren Kämpfer sowohl vom IS als auch der Al-Nusra-Front beteiligt. Die beiden Organisationen verlangen nun von der Regierung in Beirut im Austausch gegen die Soldaten und Polizisten die Freilassung einer ganzen Reihe gewaltbereiter, zum guten Teil ausländischer Salafisten, die wegen diverser Delikte Freiheitsstrafen im libanesischen Gefängnis Roumieh absitzen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, haben die Islamisten Ende August einen der Soldaten, Ali Al-Sayyed, geköpft und die Videoaufnahme des Verbrechens bei Youtube veröffentlicht. Für die libanesische Führung war das eine Provokation zuviel. Am 4. September hat die Regierung in Beirut der libanesische Armeeführung freie Hand gegeben, die Geiseln zu retten und der Erpressung durch die "Takfiri- Terroristen" ein Ende zu setzen.

6. September 2014