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NAHOST/1348: Gerangel beendet - Irak bekommt eine neue Regierung (SB)


Gerangel beendet - Irak bekommt eine neue Regierung

Washingtons und Bagdads Anti-IS-Allianz vor großen Herausforderungen



Nach wochenlangem Tauziehen hat der Irak endlich eine neue Regierung, die überparteilich, überkonfessionell und ethnisch heterogen ist. Trotz anfänglicher Verweigerungshaltung haben auch die kurdischen Parteien die ihnen zustehenden Posten im neuen Kabinett von Premierminister Haider Al Abadi angenommen, worauf sich ihre Vertreter wie die neuen sunnitischen und schiitischen Kabinettskollegen am Abend des 8. September von Präsident Fuad Masum, der selbst Kurde ist, vereidigen ließen. Damit ist der Weg für eine militärische Zusammenarbeit Bagdads und Washingtons bei der Bekämpfung des Kalifats Islamischer Staates (IS), das die sunnitische Salafistengruppe ISIS Ende Juni in den von ihr kontrollierten Teilen Ostsyriens und Nordwestiraks ausgerufen hat, frei.

Aktuell ist US-Außenminister John Kerry in der Region Nahost unterwegs, um jene "Kernkoalition" aus NATO, Australien und den arabischen Golfstaaten zusammenzuschweißen, deren Mission nach Angaben von US-Präsident Barack Obama in der "Beeinträchtigung und Vernichtung" von ISIS besteht. Wie der ehrgeizige Auftrag erfolgreich ausgeführt werden soll, ist unklar, denn die USA, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar, sowie Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait, die seit 2011 durch die Finanzierung und Aufrüstung des Aufstands in Syrien wesentlich zum Aufkommen des IS-Kalifats beigetragen haben, halten weiterhin am Ziel eines "Regimewechsels" in Damaskus fest. Daß nach dem Sturz Baschar Al Assads in Syrien das gleiche Chaos droht wie dasjenige, von dem Libyen seit der Ermordung Muammar Gaddhafis durch die sunnitischen Gotteskrieger vor drei Jahren heimgesucht wird, scheint die politischen Verantwortlichen [sic] in Washington, Ankara, Riad, Doha, Manama, Abu Dhabi und Kuwait Stadt nicht sonderlich zu stören. Zur allgemeinen Beschwichtigung verkünden die Assad-Gegner unentwegt ihre Absicht, die "gemäßigten" Rebellen in Syrien gleichermaßen gegenüber IS und den staatlichen Streitkräften stärken zu wollen.

Selbst die breite gesellschaftliche Front im Irak, die Obama zur Bedingung für ein erneutes Militärengagement der USA im Zweistromland gemacht hatte, ist auf ganz schwachen Fundamenten gebaut und dürfte keine ernsthafte Bewährungsprobe überstehen. Zwar haben sich Kurden, Sunniten und Schiiten doch noch zur einer Koalitionsregierung zusammenraufen können, aber die politischen Differenzen, die während der achtjährigen Amtszeit Nuri Al Malikis als Premier-, Innen- und Verteidigungsminister mehr als deutlich zutage getreten waren, sind geblieben und könnten sich in den kommenden Monaten noch weiter verschärfen.

Nach Artikel 140 der irakischen Verfassung hätte es schon vor Jahren eine Lösung des Disputs über diejenigen Gebiete in den Provinzen Kirkuk, Nineveh und Diyala geben müssen, aus denen Saddam Hussein während des Iran-Irak-Krieges viele kurdische Familien vertrieben und an deren Stelle arabische Familien aus dem Süden angesiedelt hatte. Nach dem angloamerikanischen Einmarsch 2003 hatten die Kurden sofort Anspruch auf die verlorenen Territorien erhoben und sich einige kurdische Familien dort wieder niedergelassen. Es wurde lange Zeit über eine Regelung diskutiert, wonach die arabischen Einwanderer wieder in den Süden ziehen und dafür eine finanzielle Entschädigung erhalten sollten, während die früheren kurdischen Eigentümer ihre Grundstücke zurück erhalten bzw. wieder in ihre alten Wohnungen ziehen dürfen sollten. Doch wegen eines Dauerstreits über die Modalitäten ist es nicht zu einer Umsetzung des Plans gekommen.

Als dann jedoch die IS-Armee im Juni weite Teile der Provinz Nineveh einschließlich der Hauptstadt Mossul überrannte, nutzten die Peschmerga, die Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistans, die durch die Flucht der irakischen Streitkräfte ausgelöste Verwirrung, um die verlorenen Gebiete, darunter die ölreiche Region um die Stadt Kirkuk, zu besetzen. Für Mahmud Barsani, den derzeitigen Präsidenten des irakischen Kurdistans, ist damit die Besitzfrage der betroffenen Gebiete für immer geregelt. Mit der neuen Regierung in Bagdad will Erbil, Hauptstadt und Sitz der Regierung der Autonomen Kurdischen Region, lediglich noch über die Entschädigung für die arabischen Familien und die Aufteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft verhandeln.

Was den gesellschaftlichen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten betrifft, so ist auch hier keine baldige Lösung in Sicht. Als Regierungschef hatte Maliki die Sunniten nicht nur bei öffentlichen Auftragsvergaben benachteiligt, viele von ihnen aus fadenscheinigen Gründen ins Gefängnis werfen lassen und ihre politischen Vertreter verfolgt, sondern auch parallel zur regulären Armee die schiitischen Milizen aufgerüstet. Doch ohne die Auflösung paramilitärischer Gruppierungen der Schiiten wie der Badr-Brigaden und der Asaib Ahl al-Haq, die für die Ermordung zahlreicher Menschen anderer Konfessionen verantwortlich gemacht werden, und die Aufnahme ihrer Mitglieder in die regulären Streitkräfte ist keine Versöhnung der Sunniten mit dem irakischen Staat möglich.

Ohnehin steht das Vorhaben der Obama-Regierung, die sunnitischen Stämme durch Bestechung gegen den IS in Stellung zu bringen, so, wie 2007 US-General David Petraeus sie zum Kampf gegen Abu Musab Al Zarkawis Al Kaida im Irak, der Vorläuferorganisation von ISIS, bewegt hatte, unter einem schlechten Stern. In einem Artikel, der am 8. September bei der New York Times unter der wenig verheißungsvollen Überschrift "Destroying ISIS May Take Years, U.S. Officials Say" erschienen ist, hat Scheich Ali Hatem Suleimani, ein sunnitischer Stammesführer, der in Erbil lebt, klargemacht, daß er und seine Gesinnungsgenossen kein zweites Mal für die Amerikaner die Kastanien aus dem Feuer holen werden. "Früher haben wir gegen Al Kaida gekämpft und die Region von ihnen gesäubert. Doch die Amerikaner gaben die Kontrolle über den Irak an Maliki, der gleich versucht hat, die meisten Stammeskommandeure, die den Kampf gegen Al Kaida geführt haben, festzunehmen, zu töten und ins Exil zu treiben" so Suleimani. In Hinblick auf das bevorstehende Umwerben durch Vertreter der CIA, des Pentagons und der US-Botschaft in Bagdad legte sich der Scheich bereits jetzt kategorisch auf eine absagende Antwort fest: "Selbst wenn sie es versuchen, werden wir uns nicht darauf einlassen."

9. September 2014