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NAHOST/1349: Obama erklärt dem Islamischen Staat (IS) den Krieg (SB)


Obama erklärt dem Islamischen Staat (IS) den Krieg

USA greifen in den Bürgerkrieg im Irak und in Syrien ein



Am Vorabend des Jahrestages der Anschläge vom 11. September 2001 hat Präsident Barack Obama in einer Rede an die Nation den offiziellen Wiedereinstieg der USA in den Irakkrieg verkündet. Als Begründung gab er die Bedrohung durch die sunnitische Dschihadistentruppe ISIS an, die in den letzten Monaten weite Teile des syrischen Nordostens und des irakischen Nordwestens unter ihre Kontrolle gebracht und dort im Juni ein Kalifat namens Islamischer Staat (IS) ausgerufen hat. Ohne Absprache mit der Regierung in Damaskus kündigte Obama völkerrechtswidrige Angriffe der US-Luftwaffe auf IS-Ziele in Syrien an. Damit ist klar, daß hier, unter dem Vorwand der Aufstandsbekämpfung der Sturz des "Regimes" Baschar Al Assads weiter vorangetrieben wird, der sich sehr zur Verärgerung der Politelite in Washington seit drei Jahren mit Hilfe Rußlands, des Irans und der libanesisch-schiitischen Hisb-Allah-Miliz den von den USA, Frankreich, Großbritannien, der Türkei, Jordanien und den arabischen Golfstaaten - allen voran Saudi-Arabien - unterstützten Dschihadisten widersetzt.

Seit Wochen wird der Demokrat Obama in den US-Medien von allen Seiten, selbst von Parteikollegin, Ex-Außenministerin und Präsidentin in spe Hillary Clinton, der Vorwurf gemacht, durch mangelnde Unterstützung der Rebellen in Syrien im allgemeinem, seine Entscheidung im vergangenen Jahr, keine Luftangriffe gegen die syrischen Streitkräfte wegen der angeblichen Verwendung von Chemiewaffen "gegen die eigene Bevölkerung" durchzuführen, im besonderen, den kometenhaften Aufstieg des IS entscheidend begünstigt zu haben. Zudem lasten ihm die Republikaner an, durch den Abzug der US-Streitkräfte Ende 2011 aus dem Irak den "Sieg" der Vorgängerregierung George W. Bushs verspielt und den Rückfall des Zweistromlands ins blutige Chaos verursacht zu haben. Vor diesem Hintergrund war klar, daß es bei den Luftangriffen, die Obama Anfang Juli angeordnet hat, um Kurden, Christen und Yesiden vor dem Vormarsch der IS-Milizen im Nordirak zu retten, nicht bleiben würde.

Die Videoaufnahmen der Enthauptung der beiden US-Journalisten James Foley und Steven Sotloff durch ein maskiertes IS-Mitglied mit britischem Akzent, die Drohbotschaften des Kalifats und Berichte über zahlreiche Massaker durch die Salafisten haben im Washingtoner Kongreß den Ruf nach einem entscheidenden Eingriff der "unverzichtbaren Nation" (O-Ton Madeleine Albright) im Nahen Osten erschallen lassen. Durch die Verbreitung von Gruselgeschichten, zum Beispiel daß aus Mexiko kommende IS-Terroristen den Ebola-Virus in den USA verbreiten könnten oder dort bereits "Schläferzellen" gebildet hätten, die nur auf den entsprechenden Befehl von Kalif Abu Bakr Al Baghdadi warteten, um Amerika ein zweites 9/11 zu bescheren, haben republikanische Hardliner aus dem Kongreß wie John McCain und Lindsey Graham oder aus der früheren Bush-Regierung wie Dick Cheney und Paul Wolfowitz eine regelrechte Hysterie erzeugt. Unüberlegte Äußerungen, wie Pentagonchef Chuck Hagels Bezeichnung des IS als "größte Bedrohung" aller Interessen der USA weltweit, haben ihren Teil dazu beigetragen, einen Handlungszwang zu suggerieren, der laut Umfragen inzwischen einer Mehrheit der US-Bürger einleuchtet.

In Washington ist der Rückgriff der USA auf die Kriegsoption im Nahen Osten überparteipolitischer Konsens. Am 7. September erschien in der Londoner Sunday Times von Henry Kissinger anläßlich seines neuen Buchs "World Order" ein Interview, in dem der 91jährige Staatsmann den "Totalangriff" gegen IS im Irak und in Syrien forderte - und nebenbei den Iran als "eigentliche Bedrohung" benannte. Am 8. September lud Obama führende amtierende sowie ehemalige Sicherheitspolitiker zu einem Essen im Weißen Haus ein, um mit ihnen über die richtige Kriegsstrategie zu beraten. An der erlauchten Runde nahmen neben dem Präsidenten, Vizepräsident Joseph Biden und Außenminister John Kerry auch Zbigniew Brzezinski, Sandy Berger und Stephen Hadley teil, die als Nationaler Sicherheitsberater jeweils Jimmy Carter, Bill Clinton und Bush jun. zur Seite gestanden haben, sowie Richard Haas, der einst Politikplaner im State Department war und heute die einflußreiche New Yorker Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR) leitet, Ex-Bill-Clinton-Berater und heutiger Präsident der Brookings Institution Strobe Talbott, Jane Harman, die von 2001 bis 2011 als kalifornische Kongreßabgeordnete in den Ausschüssen für Geheimdienstwesen und Verteidigung saß, sowie drei Ex-Mitglieder der Obama-Administration, der ehemalige Nationale Sicherheitsberater Tom Donilon, der Ex-CIA-Vizechef Michael Morrell und die Ex-Pentagon-Vizechefin Michele Flournoy. Am 9. September besuchte Ex-Vizepräsident Cheney demonstrativ die republikanische Fraktion im Repräsentantenhaus und Senat, um sie auf den Kriegskurs einzuschwören und vor jedem Impuls in Richtung "Isolationismus" zu warnen.

Gerade die Beteiligung von Brzezinski und Cheney an den jüngsten Beratungen in der US-Hauptstadt spricht Bände. Brzezinski ist derjenige gewesen, der 1979 die CIA-Operation zur Aufwiegelung der Mudschaheddin in Afghanistan ausheckte, um dort die Sowjetunion in ihr eigenes, verlustreiches "Vietnam" zu verwickeln. Brzezinskis fixe Idee von der Einkreisung und Zerlegung Rußlands in seine Einzelteile findet aktuell ihren Niederschlag in der Ukraine-Krise. Laut Seymour Hersh hat Cheney Ende 2006 mit Prinz Bandar Bin Sultan, damals Nationaler Sicherheitsberater Saudi-Arabiens, die Initiative gestartet, mit Hilfe sunnitischer Fanatiker das Assad-"Regime" zu Fall zu bringen und damit den "Bogen des Widerstands", der sich aus Sicht der USA und Israels vom Iran über Syrien bis in die schiitischen Hochburgen der Hisb Allah im Libanon erstreckt, zu zerschlagen. Aus jener Initiative ist IS, der einst Al Kaida im Irak und später Islamischer Staat im Irak und Syrien hieß, hervorgegangen.

Die große Einigkeit der politischen Elite der USA in der Kriegsfrage findet ihren Ausdruck in der Diskussion darüber, welche rechtliche Deckung für den neuen Militäreinsatz im Irak - und in Syrien - wenn überhaupt, erforderlich ist. Obama hat in seiner Rede behauptet, er brauche keine Kriegsermächtigung von der Legislative, sondern leite sie aus jener Resolution heraus ab, mit der der Kongreß am 14. September 2001 Bush jun. grünes Licht für den "globalen Antiterrorkrieg" gab. Damals wurden als Gegner die mutmaßlichen Verantwortlichen für die Flugzeuganschläge vom 11. September beim Al-Kaida-"Netzwerk" identifiziert. IS gehört aber inwischen nicht mehr zu Al Kaida, seine Mitgliedschaft wurde vor einigen Monaten wegen Brutalität von Aiman Al Zawahiri persönlich aufgekündigt. Für die Kriegstreiber in den USA stellt dieses wichtige Detail kein rechtliches Hindernis dar. Wie Andrew M. Liepman, der ehemalige Vizedirektor des National Counterterrorism Center in Washington, der heute als Analytiker für die RAND Corporation arbeitet, am 11. September in New York erklärte, sei IS sehr wohl von der Authorization for Use of Military Force Against Terrorists (AUMF) von 2001 erfaßt, denn er stamme aus "demselben Sumpf" wie Al Kaida. Doch weil im November Zwischenwahlen für den Kongreß stattfinden, wollen nicht wenige im Repräsentantenhaus und Senat dennoch eine neue Kriegsresolution verabschieden, um sich patriotisch hinter die eigenen Soldaten stellen zu können.

Mit Hilfe einer "Koalition der Willigen" will Obama nun IS im Irak und Syrien ausrotten. Auch wenn er verspricht, daß sich keine amerikanischen Bodentruppen an der Operation, die mehrere Jahre dauern sollte, beteiligen werden, hat er bereits mehrere hundert Militärberater und Elitesoldaten nach Bagdad bzw. Erbil, der Hauptstadt des irakischen Kurdistans entsandt. Die Absage Obamas an eine Zusammenarbeit mit Syrien und dem Iran läßt die anti-schiitische Ausrichtung des Unternehmens erkennen. Dafür spricht auch die Absicht, die "gemäßigten" sunnitischen Rebellen in Syrien ausgerechnet durch eine Ausbildung in Saudi-Arabien auf Zack zu bringen. Den USA geht es hier nicht um die Bekämpfung von IS, sondern darum, den sunnitischen Aufstand wieder unter Kontrolle zu bekommen, um sie für die eigenen Zwecke - allen voran den Sturz von Assad, den letzten Verbündeten Rußlands im Nahen Osten - zu verwenden. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wurde am 8. September unternommen, als eine gutplazierte Bombe die komplette Führung der als kampferprobt und diszipliniert geltenden Islamisten-Gruppe Ahrar Al Sham bei einem Geheimtreffen in Idlib im Norden Syriens auslöschte. Die Aktion, die offenbar von keinem Selbstmordattentäter, sondern mittels einer Bombe mit Funkverbindung oder einem Zeitzünder ausgeführt wurde, trägt weniger eine "terroristische" als vielmehr eine geheimdienstliche Handschrift.

12. September 2014