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NAHOST/1362: Syriens Rebellen geraten in die Defensive (SB)


Syriens Rebellen geraten in die Defensive

Hisb Allah und Assads Truppen setzen die Aufständischen unter Druck


Im syrischen Bürgerkrieg, der inzwischen fast vier Jahre andauert, die gesellschaftliche Infrastruktur des Landes verwüstet, mehr als 200.000 Menschen das Leben gekostet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat, befinden sich die verschiedenen Rebellengruppierungen auf dem Rückzug und die regulären Streitkräfte von Präsident Baschar Al Assad auf dem Vormarsch. Die bisher schwerste Niederlage der Aufständischen war die Vertreibung aus der Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei. Nach monatelangem Häuserkampf haben die Freiwilligen der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), des bewaffneten Arms der Partei der Demokratischen Union (PYD), der Schwesterorganisation der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Abdullah Öcalans, am 26. Januar die Rückeroberung von Kobane und den Sieg über die Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) gemeldet. Inzwischen will die YPG mehr als 100 Dörfer im Bezirk Ain Al-Arab, dessen Hauptstadt Kobane ist, von den IS-Eindringlingen "befreit" haben. Auch in anderen Landesteilen scheint sich das Blatt zugunsten der Armee der Zentralregierung in Damaskus allmählich zu wenden.

Seit Anfang Februar räumt der IS eine ganze Reihe von Ortschaften nahe der Handelsmetropole Aleppo bzw. tritt die Kontrolle darüber an lokale Rebellengruppen ab. Aleppo liegt im Nordwesten Syriens und bildet sozusagen den westlichsten Einflußbereich des IS. Nach Monaten schwerer Luftangriffe durch Flugzeuge der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition scheint das Kalifat um Abu Bakr Al Baghdadi Probleme zu haben, seine Positionen in dieser Region zu halten, und dabei zu sein, eine Art Frontbegradigung vorzunehmen, um seine Kräfte im Osten Syriens zu konsolidieren. Doch selbst dort, in Grenznähe des Iraks, ist die Herrschaft des IS auch nicht uneingeschränkt. Anfang Februar ist eine mehrtägige Offensive des IS, bei der ein nahe Deir ez-Zor, der Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements, gelegener Stützpunkt der syrischen Streitkräfte erobert werden sollte, gescheitert. Mittels einer Luftbrücke, erbitterten Widerstands und Bombenangriffen der eigenen Luftwaffe gelang es Assads Truppen, ihre letzte wichtige Stellung im Osten Syriens zu halten. Doch eine baldige Behebung der Einkesselung des Luftwaffenstützpunktes ist nicht in Sicht.

Östlich von der syrischen Hauptstadt liefern sich ehemalige Rebellen, die vor rund drei Monaten mit der Zentralregierung ihren Frieden geschlossen und die Miliz Jaish al-Wafaa ("Armee der Treue") gebildet haben, seit Tagen blutige Kämpfe mit der sunnitisch-salafistischen Jaish al-Islam ("Armee des Islams"), der angeblich stärksten Rebellengruppe in der Region um Damaskus. Dies berichtete die im Libanon erscheinende Zeitung Al-Akhbar am 9. Februar unter Berufung auf Angaben sowohl der Nachrichtenagentur Agence France Presse als auch der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Mit Hilfe der ehemaligen Rebellen will die syrische Armee die Jaish al-Islam aus ihrer Hochburg Douma, etwa 20 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt, verjagen. Ein wesentlicher Faktor bei der Gründung von Jaish al-Wafaa soll die Unzufriedenheit einfacher Milizionäre mit dem Chef der Jaish al-Islam, Zahran Alloush, gewesen sein, von dem es im Bericht von Al-Akhbar hieß, er sei "für seine Übergriffe berüchtigt".

Unterdessen haben die syrischen Streitkräfte am 9. Februar im Süden und Südwesten Syriens mit Hilfe der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz offenbar eine Großoffensive gegen die dort tätigen Rebellengruppen, allen voran die Al-Nusra-Front, begonnen. Dies berichtete die in Beirut erscheinende Zeitung Daily Star am 11. Februar unter der Überschrift "Hezbollah leads fight to retake Syria's south". Demnach toben recht heftige Gefechte in den Gouvernements Quneitra, das unmittelbar an die Golanhöhen und Südlibanon angrenzt, und Deraa, das im Süden an Jordanien grenzt und in dessen gleichnamiger Hauptstadt es 2011 zu ersten Protesten gegen das "Regime" Assads gekommen ist. Eine genaue Einschätzung der militärischen Lage in Quneitra und Deraa ist derzeit nicht möglich: zu widersprüchlich und unzuverlässig sind die verschiedenen Meldungen.

Eine Prognose, wie es in Syrien weitergeht, ist ebenfalls schwierig zu machen. Das liegt nicht zuletzt daran, daß der Krieg in Syrien von dem im Irak abhängt und umgekehrt. Das Aufkommen von IS und Al Baghdadis Ausrufung des Kalifats am 29. Juni bei einem Auftritt in der Großen Moschee von Al-Nuri in Mossul haben viele Akteure im Syrien-Konflikt zu einer Revidierung ihrer Position veranlaßt. Für die USA ist das oberstes Ziel in der Levante die Niederschlagung des IS und nicht mehr ein "Regimewechsel" in Damaskus. Ob dies auch für die Türkei Tayyip Recep Erdogans zutrifft, ist eine andere Frage. Bisher sind die Türken in der Anti-IS-Koalition vor allem durch Zurückhaltung aufgefallen. Jordanien und die arabischen Golfstaaten, die lange Zeit die sunnitischen Mudschaheddin in Syrien finanziell und anderweitig unterstützt haben, geben sich nun als die eifrigsten IS-Gegner. Doch die Herrscherhäuser in Amman, Riad und anderswo müssen befürchten, durch eine zu prominente Rolle an der Seite der "ungläubigen" Amerikaner einen Aufstand von IS-Anhängern im eigenen Land zu provozieren.

Eine Beilegung des ganzen Konflikts hängt nicht zuletzt davon ab, ob es der schiitisch-dominierten Regierung in Bagdad gelingt, sich mit der sunnitischen Minderheit des Iraks, die vor allem in der Mitte und im Nordwesten des Zweistromlands angesiedelt ist, zu versöhnen. Bei den jüngsten Kämpfen gegen die IS-Anhänger im Irak haben sich nicht die staatlichen Streitkräfte, sondern vor allem die schiitischen Milizen, allen voran die Badr-Brigade, hervorgetan. Gleichzeitig gibt es in diesem Zusammenhang immer wieder Meldungen von Greueltaten und Massakern der schiitischen Milizionäre in den von ihnen befreiten Gebieten gegen sunnitische Zivilisten. Gelingt es nicht, die Spirale sektiererischer Gewalt zu beenden, kann der Krieg in Syrien und im Irak noch lange dauern.

12. Februar 2015


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