Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1389: Iraks Armee gewinnt den Kampf um die Stadt Tikrit (SB)


Iraks Armee gewinnt den Kampf um die Stadt Tikrit

Ihre Uneinigkeit macht den Gegnern des IS im Irak zu schaffen


Nach einem Monat schwerer Kämpfe hat die irakische Regierung am 1. April die Rückeroberung von Tikrit, der 160 Kilometer nördlich von Bagdad liegenden Hauptstadt der Provinz Salah ad-Din, verkündet. Der mühsam erstrittene Sieg im Heimatort Saddam Husseins wirft jedoch die schwierige Frage auf, wie im Irak die Militäroffensive gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS), die auch weite Teile Ostsyriens kontrolliert, am effektivsten fortgesetzt werden kann. Hier geht es nicht nur um die Entscheidung, welches Ziel man als nächstes angreift, sondern auch darum, wie die Zusammenarbeit der irakischen Streitkräfte mit irregulären Milizen - sunnitischen, schiitischen und kurdischen - sowie mit den ausländischen "Partnern" USA und Iran gestaltet werden soll.

An der Erstürmung von Tikrit, einer Stadt mit nominell 260.000 Einwohnern, nahmen 10.000 Soldaten und rund 20.000 Angehörige der schiitisch-dominierten Volksmobilisierungeinheiten teil, die in Reaktion auf den gewaltigen Vormarsch des IS im Sommer 2014 ins Leben gerufen worden waren. Unter diesen Einheiten befanden sich auch schon länger bestehende schiitische Milizen wie die Badr-Brigade. Zuständig für die Koordinierung zwischen der regulären Armee und den Milizen war General Qassem Suleimani, der Oberbefehlshaber der berühmten Al-Quds-Einheit der Iranischen Revolutionsgarde.

Über die Führungsrolle des mehrfach ausgezeichneten Veterans des Iran-Irak-Krieges an der Operation zur Befreiung Tikrits waren die Amerikaner alles andere als glücklich. Während des Aufstands gegen die US-Besatzungstruppen im Irak zwischen 2001 und 2011 soll er die schiitischen Milizen beraten und ihre Versorgung mit Waffen und Munition organisiert haben. Er gilt deshalb im Pentagon als gefährlicher Feind, der für den Tod zahlreicher US-Soldaten im Irak verantwortlich gewesen ist. Suleimani wird zudem nachgesagt, die Hisb-Allah-Miliz zu einer der schlagkräftigsten Streitmächte des Nahen Osten aufgebaut und 2012 die staatlichen Streitkräfte Baschar Al Assads vor der militärischen Niederlage im syrischen Bürgerkrieg gegen die Rebellen von der Freien Syrischen Armee (FSA), die Al-Nusra-Front et cetera bewahrt zu haben.

Mit dem Verlauf der Tikrit-Operation dürfte die Regierung von US-Präsident Barack Obama einigermaßen zufrieden sein. Nach rund zwei Wochen heftiger Kämpfe waren die "Befreier" am Stadtrand zum Stehen gekommen. Infolge von Selbstmordanschlägen und Minen hatten die Soldaten und schiitischen Milizionäre hohe Verluste zu verzeichnen. Um den Widerstandswillen der eingeschlossenen IS-Kämpfer zu brechen, unter denen sich zahlreiche zum Tod bereite Freiwillige aus dem Ausland befanden, sah sich die irakische Regierung gezwungen, die USA doch noch um jene Luftunterstützung zu bitten, auf die man anfangs bewußt verzichtet hatte. Der Preis Washingtons scheint der Abzug Suleimanis gewesen zu sein. Erst drei Tage nachdem dessen Rückkehr in den Iran gemeldet wurde, griffen die Kampfjets der USA am 25. März Stellungen der IS in Tikrit an.

Die Tatsache, daß sich der Einsatz der amerikanischen Luftwaffe für die Einnahme von Tikrit als unerläßlich erwiesen hat, hat die von den Neokonservativen in den USA und den Kriegsfalken in Israel geschürte Angst vor dem wachsenden Einfluß des Irans im Nahen Osten stark relativiert. (Das Gleiche dürfte für die militärischen Niederlagen der staatlichen syrischen Streitkräfte in den vergangenen Wochen gegen Al-Nusra in Idlib, gegen die FSA im Süden Syriens an der Grenze zu Jordanien sowie gegen den IS im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk im Südwesten von Damaskus gelten.) Der Iran ist ähnlich wie Israel, Ägypten, die Türkei und Saudi-Arabien ein mächtiger Akteur im Nahen Osten, steht jedoch noch lange nicht davor, die USA als Hegemon abzulösen. Es läßt sich sogar vorstellen, daß die Zeichen der Begrenztheit iranischer Macht im Irak und in Syrien dem am 2. April erzielten Durchbruch bei den Atomverhandlungen im schweizerischen Lausanne begünstigt haben.

Die erste Annäherung zwischen Washington und Teheran seit 36 Jahren, wie begrüßenswert sie auch sein mag, ändert jedoch am katastrophalen Stand der interkonfessionellen Beziehungen im Irak vorerst nichts. Nach der Rückeroberung von Tikrit dauerte es nicht lange, bis die ersten Plünderungen und Greueltaten schiitischer Milizionäre an sunnitischen Zivilisten gemeldet wurden. Inzwischen hat man die Volksmobilisierungseinheiten aus der Stadt zurückgezogen. In Tikrit, das einem Trümmerfeld gleicht, hat die Armee inzwischen die vollständige Kontrolle übernommen. Am Rande der Stadt hat man bereits mit der Aushebung von zwölf Massengräbern begonnen, in denen sich die Leichen von bis zu 1700 meist schiitischen Soldaten befinden sollen, die im letzten Sommer bei Kämpfen gegen den IS gefallen oder nach der Einnahme des Militärstützpunktes Camp Speicher durch die sunnitischen Salafisten ermordet worden sein sollen.

Bei einem Besuch am 6. April in Erbil, der Hauptstadt der Autonomieregion Kurdistans, hat Iraks Premierminister Haider Al Abadi die Übergriffe der schiitischen Milizionäre zwar heruntergespielt, zugleich aber auch eine konsequente Bestrafung der Täter versprochen. Mit Massud Barsani, dem Premierminister der kurdischen Selbstverwaltung, soll sich Al Abadi über das weitere Vorgehen bei der geplanten Rückeroberung der Provinz Nineveh, einschließlich deren Hauptstadt Mossul, beraten haben. Demnach sollen die kurdischen Peschmerga und die reguläre irakische Armee bei der Operation den Hauptteil der Anti-IS-Streitmacht stellen. Bei nominell rund zwei Millionen Einwohnern dürfte die Einnahme Mossuls die Rückeroberer vor weit größere Probleme als in Tikrit stellen. Ohne eine koordinierte Zusammenarbeit der USA und des Irans, der beiden wichtigsten Verbündeten des irakischen Staates, und eine Teilnahme der schlagkräftigsten schiitischen Milizen ist ein solches Mammutunternehmen für die irakische Zentralregierung wahrscheinlich nicht zu bewältigen.

7. April 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang