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NAHOST/1417: Der Iran erhöht seinen Militäreinsatz im Syrienkrieg (SB)


Der Iran erhöht seinen Militäreinsatz im Syrienkrieg

Mit Hilfe Moskaus will Teheran die Regierung in Damaskus retten


Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge hat die Syrische Arabische Armee (SAA) zusammen mit ihren Verbündeten Rußland, dem Iran und der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz am Vormittag des 16. Oktober eine Großoffensive zur Rückeroberung der Handelsmetropole Aleppo, der zweitgrößten Stadt Syriens unweit der Grenze zur Türkei, gestartet. Seit dem 30. September nimmt die russische Luftwaffe von Basen in der syrischen Mittelmeerprovinz Latakia aus direkt am Syrienkrieg teil. Mit russischer Luftunterstützung und der Hilfe iranischer Militärberater sowie von Hisb-Allah-Freiwilligen haben die syrischen Streitkräfte in den letzten Tagen in der Mitte und im Norden Syriens, speziell in den Provinzen Idlib und Hama, wichtige Geländegewinne erzielen und der Dschaisch Al Fatah (Armee der Eroberung), einem Zweckbündnis der Rebellengruppen Ahrar Al Scham, der Freien Syrischen Armee (FSA) und der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front, empfindliche Verluste zufügen können.

Ohne russische Waffenlieferungen und den Einsatz von Hisb-Allah-Freiwilligen sowie von Kommandeuren der iranischen Revolutionsgarde wäre das säkulare "Regime" um Präsident Baschar Al Assad vermutlich längst kollabiert. 2013 hatte die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) den landschaftlich kargen, dünnbesiedelten Osten Syriens und 2014 den Nordwesten des Iraks unter ihre Kontrolle gebracht. Im Frühjahr 2015 hat die Dschaisch Al Fatah in Zentralsyrien mehrere Schlachten gegen die syrische Armee gewonnen. Letztere befindet sich jetzt nach einer vorübergehenden Konsolidierungsphase wieder in der Offensive. Die syrische Zentralregierung will offenbar das Gebiet zwischen der Hauptstadt Damaskus im Süden und Aleppo im Norden einschließlich der Grenzregion zum Libanon, der Provinzen Tartus, Latakia, Hama, Idlib und den Westteil der flächenmäßig größten syrischen Provinz Homs behalten und befrieden. Darum richten sich die russischen Luftangriffe seit Ende September hauptsächlich auf Rebellenpositionen im Nordwesten des Landes und nur begrenzt auf Stellungen des IS wie zum Beispiel auf deren Hochburg Rakka, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Osten.

Der Einsatz der russischen Luftwaffe, die in den letzten Wochen offenbar zahlreiche Waffendepots und Fahrzeugparks des IS und anderer Rebellengruppen zerstören konnte, hat die strategische Lage in Syrien und im Irak grundlegend verändert. Aktuell bereitet die syrisch-kurdische Miliz YPG, die in den vergangenen Tagen aus der Luft Waffen und Munition von den USA erhalten hat, in ihrem Siedlungsgebiet Rojava an der Grenze zur Türkei eine eigene Offensive gegen Rakka vor. Dafür erhofft sie sich die Hilfe von denjenigen Teilen der FSA, die sich nicht der islamistischen Al-Nusra-Front angeschlossen haben. Im Irak melden die staatlichen Streitkräfte seit langem wieder militärische Erfolge gegen den IS und zwar bei Ramadi, der Hauptstadt der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Anbar, sowie im Ringen um die Kontrolle über Baidschi, der größten Ölraffinerie des Landes. Vor kurzem hat eine Koordinierungsstelle der syrischen, russischen und irakischen Streitkräfte ihre Arbeit in Bagdad aufgenommen. Anhand russischer Aufklärungsbilder hat die irakische Luftwaffe eine Reihe erfolgreicher Angriffe gegen IS-Stellungen durchführen können.

Die Einrichtung eines irakisch-russisch-syrischen Kommandostabs in Bagdad sowie die laufenden Gespräche zwischen den Verteidigungsministerien in Moskau und Arlington zwecks einer störungsfreien gemeinsamen Nutzung des irakisch-syrischen Luftraums durch die Luftstreitmächte Rußlands und der USA lassen auf einen weiteren strategisch wichtigen Aspekts der Syrien-Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin schließen. Durch die Anwesenheit eigener Kampfjets haben die Russen eine Luftbrücke zwischen Iran und Syrien eingerichtet. Jetzt können Nachschub und zusätzliches Personal aus dem Iran für den Kampf in Syrien unter völliger Umgehung des IS-Kalifats beiderseits der irakisch-syrischen Grenze organisiert werden. Die logistische Auswirkung läßt sich anhand von Medienberichten, wonach in den letzten zwei Wochen Hunderte, wenn nicht sogar Tausende iranischer Soldaten über die russischen Luftwaffenbasen in Latakia nach Syrien eingeflogen worden sein sollen, erahnen. Vermutlich handelte es sich um diejenigen Militärs, die an den Kämpfen in Idlib, Hama und Homs sowie an der gerade beginnenden Offensive auf Aleppo teilnehmen.

Auch wenn die Militärintervention Rußlands zugunsten der Syrischen Arabischen Republik die Schlagzeilen beherrscht, darf die Bedeutung des Engagements des Iran in Syrien nicht unterschätzt werden. Den aktuellen Plan zur gemeinsamen Niederschlagung des sunnitisch-salafistischen Aufstands in Syrien soll Generalmajor Qassem Soleimani, der legendäre Oberbefehlshaber der Al-Quds-Einheit der Iranischen Revolutionsgarde, entworfen und der russischen Generalität bei einem Strategiegespräch im Juli in Moskau persönlich vorgelegt haben. Zu diesem Zweck soll Putin selbst Soleimani während eines Telefonats mit Ajatollah Ali Khamenei, dem geistlichen Oberhaupt des Iran, in die russische Hauptstadt eingeladen haben. Bei jenem Gespräch sollen Putin und Khamenei die Grundsatzentscheidung getroffen haben, den Vormarsch der Rebellen in Syrien nicht nur zu stoppen, sondern diese zu bezwingen.

Am 8. Oktober wurde Hossein Hamedani, General der Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarde und ein enger Freund von Soleimani, bei Kämpfen am Rande von Aleppo tödlich verletzt. Hamedani, wie Soleimani ein Veteran des Iran-Irak-Krieges von 1980 bis 1988, galt als ausgewiesener Syrien-Kenner. Nach Angaben des iranischen Parlamentsabgeordneten Esmail Kosari, der sich gegenüber der halbamtlichen iranischen Nachrichtenagentur Tasmin zu dem Vorfall äußerte, sei es Hamedani, der seit einigen Jahren die syrische Armee beriet, zu verdanken, daß Damaskus nicht an die Aufständischen gefallen ist. Am 14. Oktober meldete das staatliche iranische Fernsehen den Tod von zwei weiteren Kommandeuren der Revolutionsgarden, Farschad Hasounizadeh und Hamid Mukhtarband. Der Verlust solch ranghoher Offiziere läßt auf die Entschlossenheit des Iran schließen, sich den Plänen der USA, der Türkei, Israels, Jordaniens, Saudi-Arabiens, Katars und der Vereinigten Arabischen Emirate zur Zerschlagung des sogenannten "Bogen des Widerstands" zwischen der Hisb-Allah-Hochburg Südlibanon, Syrien, dem schiitisch-dominierten Irak und dem Iran zu widersetzen. Mit der waffentechnologischen Hilfe Rußlands könnte das ehrgeizige Vorhaben Teherans sogar glücken.

16. Oktober 2015


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