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NAHOST/1433: Ende der politischen Krise im Libanon in Sicht? (SB)


Ende der politischen Krise im Libanon in Sicht?

Versöhnung im Libanon könnte positive Auswirkungen auf Syrien haben


Der aktive Einstieg Rußlands, Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs in den Krieg in Syrien - in allen Fällen unter dem Vorwand der Bekämpfung der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) - läßt Hoffnungen aufkommen, daß sich die europäischen Großmächte in Stellung bringen, um bei der bevorstehenden Runde der multilateralen Friedensverhandlungen in Wien Anfang 2016, an der die Regierung in Damaskus, die "gemäßigten" Rebellenformationen und am Konflikt beteiligte Staaten wie die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran teilnehmen sollen, mitreden zu können. Stimmt diese Interpretation, könnte es bedeuten, daß nach mehr als vier Jahren der Bürgerkrieg in Syrien, der mehr als 250.000 Menschen das Leben gekostet, Millionen zu Flüchtlingen gemacht und das Land ruiniert hat, allmählich zu Ende geht.

In diese Richtung deuten Meldungen, wonach es in den kommenden Wochen an verschiedenen Orten in Syrien zu einer Reihe von Waffenstillständen zwischen der Syrischen Arabischen Armee (SAA) und gemäßigten Rebellengruppen kommen soll. In dem Zusammenhang erklärte in einem am 4. Dezember erschienenen Interview mit dem russischen Nachrichtenportal Sputnik Robert Ford, der ehemalige US-Botschafter in Damaskus, der 2011 die syrische Opposition zum Aufbegehren gegen das "Regime" in Damaskus ermutigt und dies inzwischen öffentlich bereut hat, die Kommandeure einiger der wichtigsten gemäßigten Rebellengruppen seien in Prinzip zum gemeinsamen Kampf an der Seite der SAA gegen die Dschihadisten von IS bereit, verlangten aber dafür, daß die Leitung der syrischen Streitkräfte und Geheimdienste nicht mehr von Vertrauten, Assads sondern von unabhängigen Persönlichkeiten übernommen werden soll.

Auch aus dem Libanon, dessen Schicksal stets eng mit dem Syriens verbunden gewesen ist, kommen positive Signale. Am 1. Dezember hat die Al-Nusra-Front, der syrische Ableger von Al Kaida, der mit IS auf Kriegsfuß steht, 16 libanesische Soldaten freigelassen, die 2014 bei Gefechten im Qalamoun-Gebirge an der libanesisch-syrischen Grenze entführt worden waren. Im Gegenzug durften 25 Personen mit "terroristischen" Verbindungen, darunter 17 Frauen und Kinder, die sich zuletzt im Libanon im Gewahrsam befanden, das Land verlassen. Die Lösung der Geiselaffäre, die über Monate die Gemüter im Libanon erregt und der Regierung in Beirut den Vorwurf der Tatenlosigkeit beschert hatte, wurde von Diplomaten aus Katar vermittelt.

Die Schwerfälligkeit Beiruts in dem Geiseldrama hängt nicht zuletzt mit der politischen Krise zusammen, in der sich der Libanon seit eineinhalb Jahren befindet. Bislang erweist sich das Parlament als unfähig, sich auf einen neuen Präsidenten zu einigen. Das Land ist durch die Konfrontation zwischen den Allianzen März 8 und März 14 politisch gelähmt. Die Namen der beiden Blöcke gehen auf die unterschiedlichen Reaktionen auf das Attentat auf den ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik Hariri am 14. Februar 2005 in Beirut zurück. Für den verheerenden Bombenanschlag, der neben Hariri weitere 21 Menschen tötete, machten die USA und pro-westliche Kräfte im Libanon - die Allianz des 14. März - Damaskus verantwortlich. Aufgrund des internationalen Drucks sah sich Syrien gezwungen, seine Streitkräfte, die 1990 gekommen waren, um den seit 1975 anhaltenden Bürgerkrieg im Libanon zu beenden, aus dem Nachbarland wieder abzuziehen. Die Anhänger der März-8-Allianz, zu der auch die schiitische Hisb Allah gehört, bedauerten den Abzug der syrischen Verbündeten. Hinter dem Anschlag vermuteten sie Israel, dessen Auslandsgeheimdienst Mossad eine lange Geschichte solcher Operationen im Libanon aufweisen kann.

Als 2006 die Hisb-Allah-Miliz im sogenannten Libanon-Krieg erfolgreich der Übermacht der israelischen Streitkräfte trotzte, sollen die Würfel für den Destabilisierung Syriens gefallen sein. Wie Seymour Hersh Anfang 2007 in der Zeitschrift New Yorker unter der Überschrift "The Redirection" berichtete, haben der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney und der damalige saudische Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan beschlossen, mit Hilfe sunnitischer Hasardeure Syrien ins Chaos zu stürzen, um auf die Weise den "schiitischen Bogen" bzw. den "Bogen des Widerstands" zwischen dem Iran, Syrien und der libanesischen Hisb Allah zu zerschlagen. Bei der Umsetzung des Vorhabens wurde auf die Hilfe sunnitischer Dschihadisten vornehmlich im Norden des Libanons im Raum der Hafenstadt Tripoli nicht verzichtet.

Aus Angst um sein Leben hält sich Saad Hariri, Sohn des ermordeten Rafik Hariri und Anführer der März-14-Allianz, abwechselnd in Frankreich und Saudi-Arabien auf. Bald könnte sich das ändern. Wie die Nachrichtenagentur Reuters.com am 4. Dezember berichtete, haben sich Saudi-Arabien, das Hariri seit Jahren politisch und finanziell unterstützt, und der Iran, der Alliierte der Hisb Allah, nach langwierigen, indirekten Verhandlungen auf ein Ende des politischen Stillstands im Libanon verständigt. Hariri soll nach Beirut zurückkehren, um das Amt des Premierministers zu übernehmen. Präsident soll Suleiman Frangieh, Anführer der christlich-maronitischen Marada-Bewegung, werden, dessen gleichnamiger Vater von 1970 bis 1976 Staatspräsident war. Interessant an der Personalie ist die Tatsache, daß die Familie Frangieh seit Jahrzehnten mit derjenigen der Assads in Syrien eng befreundet ist.

Der Wahl des neuen libanesischen Präsidenten durch das Parlament in Beirut steht nur noch die Klärung der Frage entgegen, ob die beiden anderen wichtigsten christlichen Politiker des Landes, General a. D. Michel Aoun, der mit der Hisb Allah paktiert, und Samir Geagea, der zur März-14-Allianz gehört, die beide eigene Ambitionen auf den Aufstieg zum Staatsoberhaupt hegen, mit der Kompromißkandidatur Frangiehs einverstanden sind. Ließe sich unter iranisch-saudischer Vermittlung eine Wiederaufnahme der regulären Zusammenarbeit der politischen Kräfte des Libanons erzielen, hätte das wichtige Symbolkraft für die bevorstehen Friedensverhandlungen zwischen den Beteiligten des Bürgerkriegs in Syrien.

5. Dezember 2015


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