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NAHOST/1467: Syrien - Al-Nusra-Front trennt sich von Al Kaida (SB)


Syrien - Al-Nusra-Front trennt sich von Al Kaida

Führende "Terrororganisation" in Syrien macht plötzlich auf "gemäßigt"


Am 28. Juli hat sich die Al-Nusra-Front, eine der schlagkräftigsten Rebellenformationen in dem seit 2011 andauernden Krieg in Syrien, per Videobotschaft bei YouTube formell von Al Kaida getrennt. Der Chef von Al Nusra, Abu Muhammad Al Golani, hat seinen Treueid auf Aiman Al Zawahiri, den er vor fünf Jahren geleistet hatte, zurückgenommen. Ab jetzt heißt die sunnitisch-salafistische Organisation nicht mehr Dschabat Al Nusra, sondern Dschabat Fatah Scham. Am globalen Dschihad Al Kaidas will sie nicht mehr teilnehmen, sondern sich auf den Kampf gegen die säkulare Regierung in Damaskus um Präsident Baschar Al Assad und die Syrische Arabische Armee (SAA) konzentrieren. Mit der Umbenennung und Neuausrichtung hofft Al Nusra, die zwischen 5000 und 20.000 Mann unter Waffen haben soll, künftig als "gemäßigte" Rebellengruppe zu gelten und nicht mehr das Ziel russischer Luftangriffe zu sein.

Nach dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins 2003 engagierte sich Al Golani als Mitglied von Al Kaida im Irak beim Aufstand gegen die Streitkräfte der USA und Großbritanniens. Der Syrer, dessen Mutter von den Golanhöhen stammt - daher der Nachnahme - war von 2007 bis 2008 im US-Militärgefängnis Camp Bucca interniert. Nach der Freilassung führte er zusammen mit Abu Bakr Al Baghdadi, der praktisch das ganze Jahr 2004 in Camp Bucca einsaß, die Verwandlung der bisherigen Al Kaida im Irak in Islamischer Staat im Irak durch. Al Golani und Al Baghdadi wurden beide angeblich in Camp Bucca "radikalisiert" bzw. von der CIA angeworben, je nachdem, welche Version der Geschichte man favorisiert. Später kam es zwischen ihnen zur Trennung, als Golani nach Ausbruch des Kriegs in Syrien in die Heimat zurückkehrte und dort 2012 die Al Nusra Front gründete. Al Baghdadi sah dies als Verrat an seiner Gruppe, die inzwischen Islamischer Staat im Irak und in Syrien hieß. 2014 warf der Ägypter Al Zawahiri den ISIS wegen Al Baghdadis Eigenmächtigkeiten und der Brutalität der Gruppe gegenüber Zivilisten und Nicht-Muslimen aus Al Kaida hinaus. Daraufhin kürzte Al Baghdadi den Namen auf IS und rief nach der blitzartigen Einnahme der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul im Juni desselben Jahres in den vom IS kontrollierten Gebieten im Nordwesten des Iraks und Osten Syriens das Kalifat aus.

Während der IS seine syrische Hochburg in der östlich gelegenen Stadt Rakka hat, ist Al Nusra im Westen Syriens zum Beispiel im Raum Aleppo und im Süden vor allem in der Stadt Deraa nahe der Grenze zu Jordanien stark. Beide Gruppen gelten offiziell nach der Definition der Vereinten Nationen als "terroristisch". Nichtsdestotrotz arbeitet Al Nusra seit Jahren mit vielen "gemäßigten" Rebellengruppen zusammen. Im Laufe der Zeit hat sie viele Kämpfer und Milizen übernommen und deren Waffen erbeutet. Dies gibt immer wieder Anlaß zu Spekulationen, daß die Förderer des syrischen Aufstands - vor allem die Türkei, die USA, Jordanien, Saudi-Arabien, die Vereinigten arabischen Emirate und Katar - heimlich den "Terrorismus" unterstützen, indem sie kleineren Rebellengruppen riesige Mengen an Waffen zukommen lassen, obwohl sie doch wissen müssen, daß diese über kurz oder lang in den Händen der Al Nusra landen werden.

Seit im vergangenen Herbst Rußland mit seiner Luftwaffe an der Seite der SAA direkt in die Aufstandsbekämpfung in Syrien eingreift, streiten sich Moskau und Washington über die richtige Art der Kriegsführung. Die USA, deren eigene Luftwaffe seit 2014 IS-Ziele in Syrien und im Irak attackiert, werfen Rußland vor, nicht nur die Kalifatsanhänger und Al Nusra, sondern auch "gemäßigte" Rebellengruppen wie die Freie Syrische Armee (FSA) zu bombardieren. Rußland weist den Vorwurf zurück und bezichtigt seinerseits die "gemäßigten" Rebellen, mit Al Nusra und IS zusammenzuarbeiten sowie die eigenen Truppen nicht von denjenigen der "Terroristen" räumlich zu entfernen.

Seit Wochen führen die Vertreter Washingtons und Moskaus, allen voran die Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow, Gespräche darüber, wie die amerikanische und russische Luftwaffe ihren bisher getrennt geführten Kampf gegen die "Terroristen" in Syrien koordinieren könnte. Dieses Ansinnen stößt in Kreisen der CIA und des Pentagon auf großen Widerstand. Die Kriegsfalken in den USA sehen in dem Ansatz die Gefahr, daß die Regierung Barack Obamas den Russen zu viele Zugeständnisse machen und vom Ziel eines "Regimewechsels" in Damaskus abkommen könnte. In Rußland befürchten wiederum manche Beobachter, daß ein gemeinsames Vorgehen der beiden Großmächte auf die Spaltung des einheitlichen Staates Syrien in kleinere religiös oder ethnisch begründete Kantone hinausläuft.

Nur vor dem Hintergrund der bilateralen Gespräche zwischen Moskau und Washington über die Möglichkeit eines gemeinsamen Kurses in der Syrienpolitik ist die Umbenennung von Al Nusra in Dschabat Fatah Scham zu begreifen. Al Golanis Kampftruppe will von der Feindesliste der Russen und Amerikaner herunterkommen, um weiterhin ihr Ziel der Errichtung eines sunnitischen Gottesstaats verfolgen zu können. Bereits im Mai hatte Al Zawahiri selbst in einer eigenen Botschaft die Trennung Al Nusras von Al Kaida vorgeschlagen, wenn es der islamistischen Sache in Syrien dient. Wie sehr es sich hier bei der Verwandlung von Al Nusra in Dschabat Fatah Scham um eine Mogelpackung handelt, geht aus einem Artikel hervor, der am 25. Juli bei der Onlinezeitung Middle East Eye erschienen ist. Hier das wichtigste Zitat:

Mohamed Okda, ein Syrien-Experte, der in Verhandlungen mit syrischen Gruppen involviert gewesen ist, erklärte gegenüber MEE, daß das Geld weiterfließen würde, denn der größte Teil der Finanzierung der Gruppe käme von privaten Spendern am Persischen Golf, die nicht von der syrischen Sache ablassen würden, wo doch Al Nusra kaum ihrem ideologischen Erbe abschwören werde.

"Al Nusra macht dies, um die übrigen Rebellengruppen wie Ahrar Al Scham und andere in die Ecke zu drängen und sie dazu zu zwingen, sich der neuen Scham-Front, die Al Nusra ausrufen wird, anzuschließen", sagte Okda gegenüber MEE.

"Sie mögen die Verbindungen zu Al Kaida als Organisation kappen, aber sie kehren der Ideologie von Al Kaida nicht den Rücken. Das sind überzeugte Anhänger der Al-Kaida-Ideologie, die fest an die Notwendigkeit, den Westen anzugreifen, glauben. Sie erweisen Bin Laden den höchsten Respekt. Also ist die Trennung nicht ideologisch, sondern organisatorisch", sagte er und fügte hinzu, daß er sowohl ausländische als auch arabische Al-Nusra-Kämpfer kenne.

30. Juli 2016


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