Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1500: Hinter den Kulissen wird um Syriens Zukunft gerungen (SB)


Hinter den Kulissen wird um Syriens Zukunft gerungen

Gelingt es den Neocons, Trumps Allianz mit Putin zu torpedieren?


In Syrien tobt der Krieg weiterhin auf hohem Niveau. Die Gefahr, daß der Konflikt noch mehr als ohnehin schon außer Kontrolle geraten könnte, ist akut. Bei der militärischen Unterstützung des inzwischen seit fünfeinhalb Jahren andauernden Kampfes der Syrischen Arabischen Armee (SAA) des "Regimes" Baschar Al Assads gegen die sunnitisch-salafistischen Aufständischen haben die Iraner nach offiziellen Angaben inzwischen den tausendsten Soldaten verloren. In einer eigenen Stellungnahme zum Stand der aktuellen Offensive im Irak gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) erklärte am 24. November Generalmajor Mohamed Ali Dschafari, der Oberkommandierende der iranischen Revolutionsgarden, er erwarte, daß sich nach der Rückeroberung von Mosul, der Hauptstadt der Provinz Ninawa, die an jener Operation beteiligten schiitischen Volksmobilisierungskräfte nach Syrien begeben werden, um der SAA militärisch unter die Arme zu greifen. In Syrien nehmen bereits die russische Luftwaffe und die schiitisch-libanesische Hisb-Allah-Miliz am Kampf gegen IS, Al Nusra, Ahrar Al Scham und wie sie alle heißen aktiv teil.

Im Norden Syriens wird die Lage bereits jetzt - auch ohne schiitische Milizionäre aus dem Irak - zunehmend unübersichtlicher. Die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die von US-Spezialstreitkräften begleitet werden und Luftunterstützung der amerikanischen Luftwaffe erhalten, marschieren weiterhin vom Norden her auf die IS-Hochburg Rakka zu. Am 24. November hat das US-Militär seinen ersten tödlichen Verlust melden müssen, als ein amerikanischer Soldat infolge der Verletzung durch die Explosion einer Mine nahe der mehrheitllich von Kurden bewohnten Stadt Ayn Issa, die rund 60 Kilometer nördlich von Rakka liegt, starb. Über das Vorrücken der YPG auf Rakka ist die Regierung der Türkei alles andere als glücklich. Erstens sieht Ankara in der YPG eine Ablegerorganisation der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und zweitens fordern die Türken aus Angst vor ethnischen Vertreibungen, daß das mehrheitlich von Arabern bewohnten Rakka nicht von Kurden, sondern von arabischen Milizionären oder den türkischen Streitkräften "befreit" werden muß.

Bereits im August waren die türkischen Landstreitkräfte nördlich von Aleppo erstmals in Syrien eingedrungen, um unter dem Vorwand der "Terrorbekämpfung" und mit Hilfe der "gemäßigten" Freien Syrischen Armee (FSA) dem Vordringen der YPG auf dem westlichen Ufer des Euphrat ein Ende zu setzen. Derzeit rücken die an der türkischen Militäroperation mit Namen Euphratschild beteiligten Einheiten in östliche Richtung auf die Stadt Al Bab vor. Am 22. November hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündet, nach der Einnahme Al Babs würde man die YPG aus Manbidsch vertreiben. Am 24. eskalierte die Lage dramatisch, als der türkische Premierminister Binali Yildirim die SAA bezichtigte, die türkische Truppen aus der Luft angegriffen und drei Soldaten getötet zu haben. Da Ankara am selben Tag eine Nachrichtensperre zum Vorfall verhängt hat, gibt es keine Bestätigung, ob Yildirims Vorwürfe und Vergeltungsdrohungen an die Adresse von Damaskus berechtigt waren oder nicht. Fest steht jedenfalls, daß die assad-feindliche, vom britischen Außenministerium finanzierte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte gemeldet hat, daß die drei türkischen Soldaten bereits am 23. November von einem Selbstmordattentäter des IS mit in den Tod gerissen worden waren.

Währenddessen ziehen SAA und die russische Luftwaffe den Belagerungsring um Ostaleppo immer enger zusammen. Dort halten mehrere tausend Dschihadisten, die meisten von ihnen von der Al-Nusra-Front, rund 300.000 Zivilisten quasi als Geiseln fest. Am 22. November berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press unter Berufung auf die Syrische Beobachtungstelle für Menschenrechte von 100 Familien, die in der Nacht zuvor vom Viertel Bustan al Bascha in die kurdische Enklave Scheich Maksud zu flüchten versucht hätten und deren Ausbruch aus Ostaleppo durch Dauerfeuer aus Maschinengewehren der Rebellen verhindert wurde. In Osten der einstigen Wirtschaftsmetropole Syriens, in dem Lebensmittel und Wasser knapp sind und die medizinische Versorgung praktisch zusammengebrochen ist, herrschen katastrophale Zustände.

Angeblich gibt es Bestrebungen seitens des designierten US-Präsidenten Donald Trump, das Chaos in Syrien zu beenden. Der Baumagnat lehnt die "Regimewechsel"-Bestrebungen der mächtigen Kriegstreiber-Fraktion der außenpolitischen Elite in Washington kategorisch ab. Das hat er bei seinem jüngsten "Versöhnungstreffen" mit der Redaktion der New York Times am 22. November erneut unmißverständlich gemacht, als er die aggressiv-feindliche Haltung von Leuten wie Lindsey Graham, dem einflußreichen republikanischen Senator aus South Carolina, gegenüber Syrien, Iran und Rußland als realitätsfernen Humbug abschmetterte und sich für eine Zusammenarbeit mit dem russischen Präsident Wladimir Putin bei der Bekämpfung von IS aussprach.

Interessanterweise berichtete am 24. November der Londoner Guardian, daß sich Trumps ältester Sohn, der 38jährige Donald junior - vermutlich im Auftrag seines Vaters - am 11. Oktober im Ritz Hotel zu Paris mit Randa Kassis, einer pro-russischen, syrischen Oppositionellen, getroffen habe. Kassis, dessen französischer Mann Fabien Baussart in der französischen Hauptstadt eine eigene Denkfabrik namens Centre de Politique des Affaires Étrangères leitet, befürwortet die Durchführung grundlegender politischer Reformen in Syrien, aber erst nachdem mit russischer Hilfe die Befürworter eines Gottesstaates wieder in ihre Schranken verwiesen worden sind. Am selben Tag berichtete der mossad-nahe, private, israelische Nachrichtendienst DEBKAfile unter Verweis auf eigene Quellen in Washington, Trumps designierter Nationaler Sicherheitsberater, Generalleutnant Michael Flynn, der ehemalige Leiter der Defense Intelligence Agency (DIA), verhandele bereits mit dem Leiter des Russischen Sicherheitsrats, Nikolai Patruschew, dem türkischen Präsidenten Erdogan und König Abdullah von Jordanien über die Schaffung einer neuen Antiterrorallianz, die Frieden und Stabilität zwischen Mittelmeer und Persischen Golf militärisch erzwingen soll.

Käme es zur Bildung einer solchen Allianz, die dann aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ohne Hilfe der Regierungen in Syrien und im Iran den dschihadistischen Spuk ein für alle Mal ein Ende machte, wäre das auch gleichbedeutend mit dem Aus für die lange gehegten Träume der Neocons von einem Regimewechsel in Damaskus, Teheran und Moskau. Darum gibt es Bestrebungen, die von Trump angepeilte Partnerschaft mit Putin zu torpedieren. Dazu gehören unter anderem die Verhängung neuer, schwerer Sanktionen gegen Syrien durch den amerikanischen Kongreß am 15. November sowie die Erklärung der noch amtierenden UN-Botschafterin der USA, Samantha Power, vom 21. November, Washington werde dafür sorgen, daß zwölf von ihr genannte syrische Generäle wegen Kriegsverbrechen rechtlich zur Verantwortung gezogen würden.

Die Tatsache, daß am 20. November erstmals Aufständische in Syrien, in diesem Fall Angehörige von Ansar Al Islam, Bilder von sich ins Internet stellten, die sie im Besitz von Boden-Luft-Raketen zeigen, gibt zu denken. Seit im September 2015 die russische Luftwaffe direkt in den Krieg in Syrien eingreift, verlangt Saudi-Arabien, die von ihm unterstützten salafistischen Rebellen in Syrien mit Boden-Luft-Raketen auszustatten. Wegen der möglichen Konsequenzen hatte sich Barack Obama stets gegen Riads Ansinnen gesperrt. Doch kaum, daß Trump bei der US-Präsidentenwahl Hillary Clinton, die Hauptbefürworterin einer "Flugverbotszone" in Syrien, geschlagen hat, befinden sich solche Waffensysteme in den Händen der Islamisten - nach deren Angaben sogar in großer Stückzahl. Hinter einer solchen brisanten Waffenlieferung können schwerlich die Saudis allein stecken. Sie haben vermutlich dafür grünes Licht von militaristischen Kräften in den USA, etwa bei der CIA, erhalten, die weiterhin am Ziel eines Sturzes von Assad in Syrien festhalten und Trump von seinem Kurs in Richtung eines Modus vivendi mit Rußland unbedingt abbringen wollen.

25. November 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang