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NAHOST/1530: Katar-Krise droht in einen Regionalkrieg auszuarten (SB)


Katar-Krise droht in einen Regionalkrieg auszuarten

Streit am Persischen Golf sorgt für Uneinigkeit am Potomac


Die am 28. Juni von der New York Times bekannt gemachte Tatsache, daß sich der ehemalige Innenminister Saudi-Arabiens, der 58jährige Prinz Mohammed Bin Nayef, seit seiner plötzlichen Entlassung eine Woche zuvor durch König Salman unter Hausarrest befindet, spricht nicht gerade für eine reibungslose Neuregelung der Thronfolge in Riad. Man muß auch nicht unbedingt die Meldung der iranischen Nachrichtenagentur Fars vom 22. Juni glauben, wonach der neue Thronfolger, der 31jährige Kronprinz Mohammed Bin Salman, eine Luftstreitmacht aus Israel, bestehend aus mindestens 18 Kampfjets vom Typ F-16, nach Riad hat einfliegen lassen, um einem eventuellen Gegenputsch durch Bin-Najef-Getreue im Sicherheitsapparat vorzubeugen, um zu erkennen, daß die innenpolitische Lage in Saudi-Arabien höchst prekär ist. Der Aufstieg Mohammeds zum Nachfolger des gebrechlichen, 82jährigen Salman ist zwar mit Hilfe des Weißen Hauses, der israelischen Regierung Benjamin Netanjahus und Chalifa Bin Zayid Al Nahyan, des Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate und Emirs von Abu Dhabi, sorgfältig geplant und organisiert worden, wird jedoch jede Menge außenpolitischer Schäden nach sich ziehen. Der Krieg im Jemen, den Mohammed vor zwei Jahren, wenige Wochen nach dem Aufstieg seines Vaters zum Nachfolger von König Abdullah und der eigenen Ernennung zum Verteidigungsminister, angezettelt hat, dürfte lediglich als Auftakt des kommenden Infernos in die Geschichtsbücher eingehen.

In Israel ist man über die steile Karriere des angeblichen "Reformers" und "Modernisierers" Mohammed überglücklich. In den israelischen Medien ist die Rede von einer inoffiziellen Allianz zwischen Israel und Saudi-Arabien, die sich gegen den Iran richtet. Nach dem historischen Direktflug von US-Präsident Donald Trump nach seinem Besuch in Riad Mitte Mai nach Jerusalem rechnet man in Israel fest mit der baldigen Aufnahme von diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Saudi-Arabien. In diesem Zusammenhang steht auch die aktuelle Kontroverse um Ägyptens Übertretung von zwei Inseln im Golf von Akaba an Saudi-Arabien. In Ägypten kommt es seit Wochen zu Massenprotesten gegen die umstrittene Maßnahme. Obwohl der Oberste Gerichtshof in Kairo die geplante Abtretung der beiden Insel Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien zu einem Verstoß gegen die ägyptische Verfassung erklärt hat, beharrt die Militärdiktatur von General Abdel Fattah Al Sisi darauf.

In den meisten Berichten wird als Erklärung auf die rund 20 Milliarden Dollar hingewiesen, mit denen Riad das Sisi-Regime seit dem Sturz des ersten demokratisch gewählten ägyptischen Präsidenten, Mohammed Mursi von der Moslembruderschaft, 2013 über Wasser hält. Die Frage stellt sich jedoch, warum die beiden Inseln für die Saudis so wichtig sein sollten, daß sie deswegen einen Volksaufstand gegen das befreundete "Regime" Al Sisis riskieren. Die Antwort ist einfach. Der eigentliche Nutznießer der Übergabe der Kontrolle über Tiran und Sanafir ist nicht Saudi-Arabien, sondern Israel, dessen Diplomaten den krummen Deal - die beiden Insel waren immer ein Teil Ägyptens und haben noch niemals Saudi-Arabien gehört - eingefädelt haben und vorantreiben.

Sobald Tiran und Sanafir zu saudischem Staatsterritorium werden, ist auch Riad an das Camp-David-Abkommen von 1979 zwischen Ägypten und Israel gebunden. Der Hinweis auf diesen völkerrechtlichen Umstand soll Riad nach außen hin die erstmalige Aufnahme offizieller Kontakte zu dem jüdischen Staat erleichtern und den Widerstand der saudischen Bevölkerung schmälern. Darüber hinaus hängt das Insel-Geschäft zwischen Ägypten und Saudi-Arabien mit den Plänen Israels zusammen, mit Hilfe der USA, Ägyptens und den arabischen Staaten am Persischen Golf den Palästinensern Tel Avivs Version vom "Frieden" aufzuzwingen.

Derzeit verhandelt Mohammed Dahlan, unter Jassir Arafat einst Sicherheitschef der palästinensischen Autonomie-Behörde, der seit einem mißlungenen Putschversuch 2007 gegen die Hamas-Regierung im Gazastreifen in Abu Dhabi wohnt, über eine Rückkehr an die Macht. Die offenbar nicht ganz geheimen Gespräche zwischen Dahlan und Vertretern von Hamas finden seit Wochen in Kairo statt. Wie der preisgekrönte, in Nazareth lebende israelische Journalist Jonathan Cook am 25. Juni in seinem Blog berichtete, läuft der Friedensplan der Netanjahu-Regierung darauf hinaus, daß Gaza zum Ministaat unter der Aufsicht Ägyptens wird und die palästinensischen Gebiete in Westjordanland ebenfalls zum Zwergstaat unter der Aufsicht Jordaniens werden. Um den Palästinensern die Aufgabe ihres Traums vom eigenen einheitlichen Nationalstaat zu versüßen, sollen die arabischen Golfstaaten in die beiden neuen Gebilde investieren und damit für eine wirtschaftliche Belebung sorgen.

Während solche Pläne mittel- bis langfristig angelegt sind, könnte die Katar-Krise recht bald in einen regelrechten Regionalkrieg ausarten. Am 4. Juni hatten Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten wegen des "Terrorismus"-Vorwurfs alle Kontakte zu Katar abgebrochen und gegen Doha eine Wirtschaftsblockade verhängt. Inzwischen mehren sich die Anzeichen, daß der Hackerangriff, mittels dessen Ende Mai dem Emir von Katar, Tamin Bin Hamad Al Thani, pro-iranische Äußerungen in den Mund gelegt worden waren, nicht, wie ursprünglich vom FBI behauptet, von Rußland, sondern von den Golfstaaten selbst ausging. Dies und der Forderungskatalog, zu dessen Erfüllung Saudi-Arabien und Konsorten Katar am 23. Juni zehn Tage Zeit gegeben haben, lassen Befürchtungen aufkommen, daß es Riad und Abu Dhabi auf eine militärische Auseinandersetzung mit dem Iran abgesehen haben.

Der Forderungskatalog, der unter anderem nicht nur die Einstellung des Betriebs des Nachrichtensenders Al Jazeera, sondern auch den Abbruch sämtlicher Beziehungen Dohas zu Teheran und die Schließung des türkischen Militärstützpunkts in Katar vorsieht, kommt der Preisgabe der katarischen Souveränität gleich. Nach Angaben Riads sind die Forderungen "unverhandelbar". Doha hat sie seinerseits als "inakzeptabel" abgetan. Die Türkei gibt sich willens, die Rolle der Schutzmacht für Katar zu übernehmen. Seit Tagen verlegen die türkischen Streitkräften Personal und Rüstungsmaterial nach Katar. Für Präsident Recep Tayyip Erdogan stellen die Bedingungen der Saudis und der Emirater eine unverzeihliche "Respektlosigkeit" gegenüber der Türkei dar. Und auch der Iran, der inzwischen mit Lebensmittellieferungen an Katar begonnen hat, scheint bereit, sich eventuell am Überlebenskampf des kleinen Nachbarlandes zu beteiligen.

Hinter den Kulissen in Washington wird in der Katar-Frage erbittert gestritten. Vor allem Außenminister Rex Tillerson fühlt sich durch die Art, wie der diplomatisch unerfahrene Präsident Donald Trump von dessen zionistischen Beratern, allen voran von Schwiegersohn Jared Kushner, zur Parteinahme für Saudi-Arabien und gegen Katar gedrängt wird, hintergangen. Zusammen mit Verteidigungsminister James Mattis versucht Tillerson seit Tagen die Wogen zu glätten und eine friedliche Lösung herbeizuführen. Mattis soll es gewesen sein, der wenige Tage nach der aufsehenerregenden Twitter-Meldung, mit der Trump Katar Unterstützung des "islamistischen Terrorismus" vorgeworfen hatte, für die Bekanntgabe der Auslieferung von 36 Kampfjets vom Typ F-15 im Wert von 12 Milliarden Dollar an Doha sorgte. Schließlich befindet sich in Katar die Al Udeid Air Base, der mit 11.000 Mann besetzte, wichtigste Luftwaffenstützpunkt der USA im Nahen Osten. In einem Artikel, der am 27. Juni auf der Website der US-Zeitschrift The American Conservative unter der Überschrift "Tillerson and Mattis Cleaning Up Kushner's Middle East Mess" erschienen ist, gab der Militärexperte Mark Perry die verwickelte Lage mit folgenden Worten wieder:

"Die Saudis und die Emirater haben uns wiederholt erklärt, daß sie den Iran schwächen wollen, doch eigentlich haben sie ihn nur noch stärker gemacht", sagte mir ein ranghoher Nahost-Berater des Pentagons. Die jüngsten Aktionen Saudi-Arabiens, erklärte mir dieser Militärvertreter, seien nach hinten losgegangen. Statt die Kataris einzuschüchtern, hätten die Saudis sie "in die Arme der Iraner getrieben". Das Ergebnis sei eine vorsichtige, aber wachsende Allianz zwischen der Türkei, Katar und dem Iran mit der Rückendeckung Rußlands. "Das ist kein Sandkastenstreit mehr, wo wir einfach alle wieder an die Hand nehmen können", erklärte der Pentagon-Berater. "Die Saudis haben den Iranern ein Geschenk gemacht, und wir stehen draußen und hilflos da."

Dann schüttelte der Militärvertreter den Kopf. "Hören Sie. Ich kann durchaus verstehen, warum sich Mattis und Tillerson ärgern. Ich meine, bei solchen Freunden, wer braucht da noch Feinde?".

30. Juni 2017


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