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NAHOST/1536: USA erwägen neuen Militäreinsatz in Libyen (SB)


USA erwägen neuen Militäreinsatz in Libyen

Katar-Krise wirkt sich negativ auf die Lage in Libyen aus


Die USA erwägen eine neue Intervention in Libyen, wo seit dem Sturz Muammar Gaddhafis 2011 bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Dies berichtete am 10. Juli die CNN-Pentagon-Korrespondentin Barbara Starr unter Verweis auf die Angaben zweier nicht-namentlich genannter, ranghoher US-Militärs. Demnach will die Regierung Donald Trumps die US-Botschaft in Tripolis, die seit der Ermordung des US-Botschafters Christopher Stevens und drei seiner Mitarbeiter im September 2012 in Benghazi leer steht, wieder eröffnen. Das gleiche gilt für das US-Konsulat im östlichen Benghazi, das damals beim tödlichen Überfall radikalislamischer Milizionäre in Flammen aufging. Wenn alles nach Plan läuft, soll in den nächsten Wochen eine Abordnung von US-Marines zum Schutz der Botschaft und des Konsulats nach Libyen entsandt werden. Darüber hinaus sollen 50 US-Militärberater in Rotation dauerhaft in Libyen stationiert werden. Aktuell ist eine unbekannte Anzahl von US-Spezialstreitkräften in dem nordafrikanischen Land zugegen, die einerseits die international anerkannte Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) in Tripoli, andererseits die rivalisierende Libysche National Armee (LNA) von "Feldmarschall" Khalifa Hifter beraten.

Trotz mannigfaltiger Bemühungen seitens des einstigen UN-Sondergesandten, des deutschen Diplomaten Martin Kobler, der EU, der USA und der arabischen Nachbarstaaten läßt die Versöhnung zwischen dem GNA und Hifters LNA, die im Auftrag der im östlichen Tobruk ansässigen House of Representatives (HoR) operiert, immer noch auf sich warten. Ungeachtet des mit Spannung erwarteten Treffens zwischen Hifter und Premierminister Fayiz Al Sarradsch Mitte Mai unter der Schirmherrschaft der Vereinigten Arabischen Emirate in Abu Dhabi sind im Juni im Süden Libyens heftige Kämpfe zwischen der LNA und GNA-treuen Milizen entbrannt. Man kann davon ausgehen, daß die Amerikaner durch die Einrichtung einer eigenen diplomatischen und militärischen Präsenz in Libyen eine Annäherung zwischen den verfeindeten Kräften um Hifter und Al Sarradsch forcieren wollen.

Für einen Neuanfang in der libyschen Innenpolitik stehen die Zeichen nicht schlecht. Am 10. Juni haben auf Anordnung des HoR Milizionäre in Zintan Saif Al Gaddhafi nach mehr als fünf Jahren Gefangenschaft überraschend freigelassen. Der Sohn und einst designierte Nachfolger Muammar Gaddhafis hält sich seitdem in der östlichen Stadt Baida auf, wo er hinter verschlossenen Türen politische Gespräche mit Mitgliedern des eigenen Klans und Vertretern anderer Stämme und Kräfte führt. Am 20. Juni hat der UN-Sicherheitsrat den ehemaligen libanesischen Kulturminister Ghassan Salame zum neuen Sondergesandten für Libyen ernannt. Am 1. Juli hat Salame, der zuletzt an der Universität in Paris als Professor für internationale Beziehungen und Konfliktresolutionen gearbeitet hatte, Martin Kobler abgelöst.

Zwar machen Stromausfälle und Scharmützel vereinzelter Milizen den Menschen in Tripolis und Umgebung zu schaffen, doch es gibt auch positive Anzeichen. Am 19. Juni haben Vertreter der beiden Städte Misurata und Tawergha, die sich 2011 während des von der NATO unterstützten Aufstands bekriegt haben, eine Art Waffenstillstand unterzeichnet. Dadurch können die Einwohner Tawerghas, die wegen ihrer Treue zu Gaddhafi vertrieben wurden und seitdem in Flüchtlingslagern lebten, in ihre alte Heimat zurückkehren. Am 5. Juli erklärte Hifter, die LNA hätte nach mehrjähriger blutiger Offensive endlich die Islamistentruppe Ansar Al Scharia aus ihrer letzten Bastion in Benghazi vertrieben.

Bereits am 21. Juni berichtete die New York Times, daß vor kurzem der Export von libyschem Öl enorm gestiegen ist: Mit 855.000 Faß täglich auf das Dreifache der Menge von vor einem Jahr. Für diese positive Entwicklung, welche dem libyschen Staatshaushalt zugute kommt, ist vor allem Hifter verantwortlich. Im letzten Sommer haben seine Männer die wichtigsten Ölraffinerien und -verladeterminals Libyens, die von der hauseigenen Wachtruppe wegen eines Streits um die Aufteilung der Einnahmen besetzt und lahmgelegt worden waren, mit militärischer Gewalt erobert und den Betrieb wieder hochgefahren. Wenn es nach Libyens staatlichem National Oil Corporation (NOC) geht, soll die Ausfuhr libyschen Öls bis Ende 2017 1,3 Millionen, bis Ende 2018 1,5 Millionen und bis Ende 2023 2,2 Millionen Faß erreichen, so die New York Times.

Dem ehrgeizigen Plan des NOC stehen nicht nur Querelen zwischen GNA, Hifters LNA und anderen bewaffneten Gruppen, sondern auch der Konflikt innerhalb des Golf Kooperationsrats (Gulf Cooperation Council - GCC) eventuell im Weg. Anfang Juni haben Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Katar abgebrochen. Anlaß des Streits ist nicht nur der Ärger in Riad, Abu Dhabi, Manama und Kairo über die kritische Berichterstattung Al Jazeeras, sondern auch, daß Doha der Moslembruderschaft in Ägypten Hilfe gewährt und in den palästinensischen Gebieten - speziell der Hamas-Bewegung im Gaza-Streifen - sowie Libyen Unterstützung leistet.

Am 9. Juni haben die Vereinten Nationen den VAE wiederholte Verstöße gegen das internationale Waffenembargo für Libyen in Form von umfangreicher Waffenhilfe für Hifter angelastet. Dafür erklärte am 5. Juli gegenüber der in Abu Dhabi erscheinenden, englischsprachigen Zeitung The National Oberst Ahmed Al Mesmari von der LNA, Katar sei für den ganzen "Terrorismus" in Libyen deshalb verantwortlich, weil Doha seit Jahren islamistische Gruppen mit Waffen beliefere und dem libyschen "Radikalprediger" Ali Sallabi, dem eine Nähe zu Al Kaida nachgesagt wird, Asyl gewähre. Sollten die USA in Libyen demnächst in friedensstiftender Funktion agieren wollen, wären sie gut beraten, parallel dazu für eine Beilegung des Streits der Saudis, Emirater, Bahrainis und Ägypter mit den Kataris zu sorgen.

14. Juli 2017


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