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NAHOST/1566: Mini-Putsch in Riad läßt Krieg im Jemen eskalieren (SB)


Mini-Putsch in Riad läßt Krieg im Jemen eskalieren

Interimspräsident Hadi angeblich in Riad unter Hausarrest


Der Mini-Putsch in Riad, bei dem vom 4. auf den 5. November König Salmans designierter Nachfolger, sein 32jähriger Sohn Kronprinz Mohammed, unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung elf Prinzen, vier Minister und Dutzende Ex-Minister kurzerhand verhaften ließ, hat im Nahen Osten heftige politische Erschütterungen ausgelöst. Unmittelbar vor der völlig überraschenden Verhaftungswelle ließ Salman den extra nach Riad beorderten libanesischen Premierminister Saad Hariri, der auch die saudische Staatsbürgerschaft besitzt, seinen Rücktritt im Fernsehen erklären und zur Begründung nicht näher spezifizierte, dunkle Umtriebe der schiitischen Hisb Allah - gegen seine Person - und des Irans - im Katar, Syrien, im Libanon und im Jemen - anführen. Wie es der Zufall so will, wurden die politischen Umwälzungen in der saudischen Hauptstadt von einem militärischen Großereignis begleitet, nämlich vom nächtlichen Angriff mit einer ballistischen Rakete aus dem Jemen.

Was sich hierbei tatsächlich zugetragen hat, ist wegen der sich widersprechenden Meldungen der Nachrichtenagenturen und der offiziellen Verlautbarungen unklar. Die Bewohner von Riad berichten jedenfalls von zwei massiven Explosionen samt Lichtblitzen und Druckwellen. Von saudischer Seite heißt es, die jemenitische Rakete, die auf den internationalen King Khalid Flughafen zugeflogen sein soll, sei von Raketenabwehr abgefangen worden. Ob dies stimmt oder ob die Rakete einfach irgendwo auf dem Flughafengelände, ohne allzu viel Schaden einzurichten, einschlug, während die Abwehrrakete(n) einfach in der Luft explodierte(n), ohne ihr Ziel zu treffen, kann der Außenstehende nicht beurteilen. Fest steht, daß relativ bald nach den Explosionen die saudischen Behörden angaben, Restteile einer jemenitischen Burkan-2-Rakete gefunden zu haben. Das würde sich mit den Angaben des jemenitischen Verteidigungsministeriums decken, das in derselben Nacht seinerseits bekanntgab, vom Nordjemen aus, nahe der saudischen Südgrenze, eine Burkan-2-Rakete aus eigener Herstellung auf Riad abgefeuert zu haben. Ohne den genauen Ort des Abschusses zu kennen, kann man schätzen, daß die Strecke, welche die Rakete zurücklegt hat, rund 1000 Kilometer beträgt.

Seit März 2015 versuchen die Streitkräfte Saudi-Arabiens zusammen mit denjenigen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) vergeblich den gestürzten Interimspräsidenten des Jemens, Abd Rabbu Mansur Hadi, wieder an die Macht zu bringen. Mit der Hilfe südjemenitischer Separatisten sowie von Al Kaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) haben sie den Osten und Süden des Jemens, einschließlich der strategisch wichtigen Hafenstadt Aden, unter ihre Kontrolle bringen können. Doch nach wie vor haben im Norden und Westen einschließlich der Hauptstadt Sanaa die schiitischen Huthi-Rebellen und die jemenitischen Streitkräfte, die dem früheren langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh und dessen Klan weiterhin die Treue halten, das Sagen.

Ungeachtet der Tatsache, daß beim Ausbruch des Krieges im Jemen die Saleh-Leute im Besitz der staatlichen Waffenarsenale blieben, behaupten die Saudis, die ungebrochene Kampfkraft der Huthis und ihrer Verbündeten ginge auf laufende Rüstungslieferungen aus dem Iran zurück. Bisher haben weder Riad noch Abu Dhabi glaubhafte Beweise für diese These, mit der sie lediglich vom eigenen militärischen Unvermögen ablenken wollen, vorgelegt. Dessen ungeachtet dauerte es nicht lange, da fingen die ersten Vertreter der neuen saudischen Diktatur an zu behaupten, die auf Riad abgefeuerte Rakete stamme ursprünglich aus dem Iran bzw. zu der Aktion hätte das "Mullah-Regime" in Teheran die Huthis angestiftet, um das Königshaus Saud zu provozieren.

Während US-Präsident Donald Trump am 6. November von Peking aus per Twitter die wundervolle Raketenabwehrtechnologie Amerikas, die Riad angeblich vor dem Schlimmsten bewahrt habe, rühmte, griff am 7. November Kronprinz Salman zu noch drastischeren Worten. Obwohl immer noch keine Beweise für eine iranische Urheberschaft vorliegen, bauschte der saudische Verteidigungsminister den Raketenangriff zu einer "Kriegserklärung" Teherans auf, auf die Riad nach eigenem Ermessen und zu einem Zeitpunkt seiner Wahl reagieren werde. In eine ähnliche Kerbe schlug am darauffolgenden Tag Nikki Haley, Trumps notorisch pro-israelische Botschafterin bei den Vereinten Nationen in New York. Die ehemalige Gouverneurin von South Carolina, die vor Januar dieses Jahres keinerlei außenpolitische Erfahrungen vorzuweisen hatte, warf Iran vor, mit dem Raketenangriff seine Verpflichtungen gemäß des Atomabkommens von 2015 nicht eingehalten zu haben, und verlangte vom Sicherheitsrat harte Konsequenzen. Haleys durchsichtige Propaganda ist Wasser auf die Mühlen ihres großmäuligen Chefs, für den bekanntlich der von Obama erzielte Atomvertrag mit dem Iran der "schlechteste Deal aller Zeiten" ist.

Der Einsatz der Burkan-2-Rakete hat aller Wahrscheinlichkeit nach nichts mit dem Iran zu tun, sondern ist eher als Vergeltung der Huthi-Saleh-Allianz auf die schweren Luftangriffe der Saudis und der Emirater zu verstehen, die weite Teile der zivilen Infrastruktur des Jemens zerstört und die Mehrheit der 28 Millionen Menschen dort in eine schwere Hungersnot samt Cholera-Epidemie gestürzt haben. Wenige Tage vor dem Raketenangriff auf Riad, nämlich am 31. Oktober, hatten saudische Kampfjets beim Luftangriff auf ein Ausbildungslager der Huthis mindestens 40 Menschen getötet. Am 1. November haben sie Bomben und Raketen auf einen belebten Marktplatz im Bezirk Sahar im nördlichen Gouvernement Saada abgeworfen und mindestens 28 Menschen, darunter zahlreiche Kinder, ums Leben gebracht. Am gestrigen 7. November haben sie ein Wohnhaus im Gouvernement Hadsch und das Leben von 30 Mitgliedern einer Großfamilie ausgelöscht. Von einer Verurteilung dieses Verbrechens durch Moralapostel Nikki Haley ist nichts bekannt - zu gut verdienen die amerikanischen und britischen Rüstungsindustrien an dem Gemetzel im Jemen mit.

Auch wenn sich der Krieg im Jemen vom territorialen Verlauf her weiterhin in einer Pattsituation befindet, so nehmen in den letzten Tagen die Kämpfe wieder zu. Nahe der Stadt Taizz, die auf der Hauptverbindungsstraße zwischen Aden und Sanaa liegt und um die seit Monaten erbittert wie ergebnislos gekämpft wird, kam es vor kurzem zu einer größeren Schlacht. Am 4. November meldeten die hadi-treuen Truppen, sie hätten in den zurückliegenden 24 Stunden 35 Huthi-Rebellen getötet. Über eigene Verluste machten sie keine Angaben. Am 5. November explodierte in Aden eine Autobombe, die fünf Soldaten und zehn Zivilisten in den Tod riß und mindestens weitere 20 Menschen schwer verletzte. Zu dem Anschlag bekannte sich die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS).

Währenddessen meldete die Nachrichtenagentur Associated Press am 8. Oktober, daß sich Hadi, seine Söhne und seine Minister seit Februar im Riad quasi unter Hausarrest befinden; Dies habe Hadi spätestens im August erfahren, als er nach Aden zurückfliegen wollte und ihm am Flughafen von Riad die Ausreise verwehrt wurde. AP will das von Vertrauensleuten Hadis in Aden erfahren haben. Ihnen zufolge hat der frühere Stellvertreter Salehs die Saudis vor Monaten mit seiner Kritik an den VAE-Truppen, diese wollten den Jemen gar nicht "befreien", sondern verfolgten eigene Ziele, gegen sich aufgebracht. Wenn nun Hadi in Riad der Gefangene von König Salman und Kronprinz Mohammed ist, scheint sich der Verdacht, der ohnehin seit mehr als zwei Jahren im Raum steht, wonach die Saudis und die Emirater im Jemen vor allem die Konfrontation mit dem Iran suchen und dabei die Drecksarbeit Washingtons und Tel Avivs verrichten, zu bewahrheiten.

8. November 2017


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