Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1572: Der Jemenkrieg kostet Ex-Präsident Saleh das Leben (SB)


Der Jemenkrieg kostet Ex-Präsident Saleh das Leben

Riad und Abu Dhabi nach gescheitertem Putschversuch in Sanaa blamiert


Am 4. Dezember ist nahe Sanaa Ali Abdullah Saleh gewaltsam ums Leben gekommen. Der jemenitische Ex-Präsident war 75 Jahre alt. Damit geht für den Jemen eine historische Ära zu Ende. Da Saleh seit rund 40 Jahren die mit Abstand wichtigste politische Figur seines Landes gewesen ist, fragen sich nun alle, wie sich sein Ableben auf den mörderischen Krieg auswirken wird. Seit März 2015 versuchen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) vergeblich, dem gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi wieder zur Macht zu verhelfen. Ihre militärische Intervention scheitert bislang am Widerstand schiitischer Huthi-Rebellen, die eine Allianz mit Saleh und dessen Anhängern eingegangen waren. Anfang Dezember hat der gewiefte Taktiker Saleh die Seiten gewechselt und damit das eigene Leben verspielt.

Der aus bitterarmen Verhältnissen stammende Saleh putschte sich 1978 als Armeeoberst zum Präsidenten Nordjemens. Die Position als Staatsoberhaupt behielt er, als sich 1990 der konservative Nordjemen mit dem bis dahin sozialistischen Südjemen vereinigte. 1994 kam es zum Bürgerkrieg, da sich die Südjemeniten im Rahmen des Vereinigungsprozesses durch den schiitisch geprägten Norden benachteiligt fühlten. Saleh ließ den Aufstand der südlichen Separatisten brutal niederschlagen, unter anderem mit Hilfe der Saudis sowie ehemaliger Mudschaheddin des Afghanistankrieges. Während danach eine von Saudi-Arabien ausgehende Missionierungskampagne bei der meist sunnitischen Bevölkerung im einst sozialistischen Süden Anklang fand, stieß sie im Norden auf Ablehnung. Als Reaktion darauf entstand eine schiitische Erneuerungsbewegung unter der Führung von Hussein Badreddin Al Huthi. Mehrmals in den Nullerjahren hat Saleh durch den Einsatz der jemenitischen Streitkräften versucht, die sogenannten Huthis, die sich selbst als Ansarullah - Armee Gottes - bezeichnen, zu unterdrücken, was ihm nicht gelang. Lediglich der gerade erwähnte Gründer der Huthi-Bewegung starb 2004 bei einer Schießerei mit der Armee.

2011 kam es im Zuge des Arabischen Frühlings auch im Jemen zu Massenprotesten gegen Saleh wegen des Vorwurfs des Machtmißbrauchs und der Vetternwirtschaft. Bei einer Großdemonstration im März jenes Jahres in der Hauptstadt Sanaa starben mindestens 52 Menschen, als die von Salehs Sohn Ahmed angeführte Nationalgarde das Feuer auf unbewaffnete Zivilisten eröffnete. 2012 trat der unpopulär gewordene Saleh auf Druck der USA und Saudi-Arabiens zurück und übergab die Präsidentschaft an seinen Stellvertreter Hadi. Als Interimspräsident sollte dieser eine neue demokratische Verfassung ausarbeiten und mittels einer Volksabstimmung absegnen lassen. Doch Hadi zog den Prozeß unendlich in die Länge und machte keine Anstalten, seinen Platz zu räumen. Aus Unzufriedenheit über die Verschleppung der demokratischen Reformen erstürmten Ende 2014 die Huthis - mit der Duldung des Militärs, das von Saleh-Anhängern durchsetzt war - Sanaa und setzten Hadi Anfang 2015 unter Hausarrest. Dessen Flucht nach Aden war im März jenen Jahres für die Saudis und die Emirater der Vorwand, selbst in den innenpolitischen Machtkampf im Jemen einzugreifen.

Doch der Jemenkrieg, mit dem der neue saudische König Salman und sein ehrgeiziger Lieblingssohn Mohammed die Machtansprüche Riads demonstrieren wollten, ist für das Haus Saud zum Fiasko geworden. Mit Hilfe südlicher Separatisten sowie Al Kaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) konnten die Truppen Saudi-Arabiens und der VAE den Süden und Osten des Jemens einschließlich der Hafenmetropole Aden unter ihre Kontrolle bringen. Doch die Huthis und die Saleh-Truppen haben im Westen und Norden - trotz massivster Luftangriffe sowie einer drakonischen Blockade aller See- und Flughäfen - nach wie vor das Sagen. Zwischen Hadi und den Emiratern ist es vor einiger Zeit zum Bruch gekommen. Medienberichten zufolge, darunter der Nachrichtenagentur Associated Press, befindet sich der ehemalige Interimspräsident faktisch unter Hausarrest in der saudischen Hauptstadt.

Um den enorm kostspieligen Krieg im Jemen beenden zu können, sollen Riad und Abu Dhabi Ende letzten Jahres Kontakt zu Saleh aufgenommen haben. Nach Angaben des in Katar ansässigen Nachrichtensenders Al Jazeera haben die Emirater auf Anweisung von Prinz Mohammed Bin Zayed in den letzten Monaten im Südjemen rund 6000 Saleh-Anhänger zum Zwecke eines Putsches gegen die Huthis ausgebildet. An Saleh und seine Verwandten soll Abu Dhabi rund 400 Millionen Dollar überwiesen haben, um im Vorfeld der Aktion die richtigen Stammesführer zu schmieren. Die Vorbereitungen für den Kurswechsel scheinen den Huthis nicht verborgen geblieben zu sein. Dies erklärt vielleicht, warum es in den letzten Monaten in Sanaa und Umgebung immer wieder zu vereinzelten Scharmützeln zwischen Huthi- und Saleh-Anhängern gekommen ist.

Ausgerechnet am Geburtstag des Propheten Mohammed, dem 29. November, eskalierte die Lage, als sich vor der Großmoschee im Zentrum Sanaas beide Seiten ein heftiges Feuergefecht lieferten, in dessen Verlauf mindestens vierzehn der Beteiligten getötet wurden. Die Kämpfe ebbten nicht ab, sondern weiteten sich auf die ganze Stadt aus. Am 2. Dezember erklärte Saleh, der sich in seiner Residenz im Süden Sanaas aufhielt, in einer Rundfunkansprache das Bündnis mit den Huthis für beendet. Er rief die "Brüder in den Nachbarstaaten" dazu auf, ihre "Aggression" zu beenden und die Wirtschaftsblockade aufzuheben; man wolle miteinander "eine neue Seite aufschlagen", so Saleh, dessen Stellungnahme von Riad und Abu Dhabi umgehend begrüßt wurde. Zugleich wurden die Luftangriffe auf Huthi-Position in und um Sanaa verstärkt.

Warum der Putsch nicht glückte, ist bislang nicht ganz klar. In einem Artikel, der am 6. Dezember bei der Zeitschrift The American Conservative unter der Überschrift "The Poetic Demise of Yemen's Most Powerful Man" erschienen ist, vertritt der Arabist und Militärexperte Michael Horton die These, die Huthis hätten vor dem Hintergrund des gemeinsamen Kampfs gegen die ausländischen Aggressoren zahlreiche Mitglieder der jemenitischen Streitkräfte auf ihre Seite ziehen können, der frühere Rückhalt für Saleh sei nicht mehr vorhanden gewesen; deswegen hätten diese Einheiten nicht eingegriffen, als es in Sanaa am vergangenen Wochenende zur Entscheidungsschlacht zwischen der Ansarullah und bewaffneten Mitgliedern von Salehs Partei, dem Allgemeinen Volkskongreß (General People's Congress - GPC) gekommen ist. Beim Versuch, sich am 4. Dezember mit einem Autokonvoi nach Saudi-Arabien abzusetzen, ist Saleh ums Leben gekommen - angeblich durch einen von einem Huthi abgegebenen Kopfschuß.

Damit sieht es für eine Realisierung der Pläne Riads und Abu Dhabis, mit Hilfe des Saleh-Clans die angeblich iran-nahen Huthis endlich in ihre Schranken zu weisen, nicht gut aus. Die Saudis und Emirater wollen Salehs Sohn Ahmed, den Hadi 2013 als Oberkommandierenden der Nationalgarde entlassen und als jemenitischen Botschafter nach Abu Dhabi entsandt hatte und der sich dort seit 2015 unter Hausarrest befindet, zum Anführer der Anti-Huthi-Fraktion aufbauen. Daß Saleh jun. die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann, ist zu bezweifeln. Die frühere Armee seines Vaters gibt es offenbar nicht mehr, während sich die GPC von der Abreibung durch die Huthis erholen muß. Nach dem Tod von Saleh sen. ist die Verschärfung des Konflikts praktisch vorprogrammiert.

8. Dezember 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang