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NAHOST/1633: Palästina - wachsende Schmerzen ... (SB)


Palästina - wachsende Schmerzen ...


Die palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) will Israel wegen seiner Nicht-Erfüllung der vor einem Vierteljahrhundert geschlossenen Osloer Verträge ihrerseits alle damals mit Tel Aviv gemachten Vereinbarungen aufkündigen. Zu diesem Entschluß ist der Zentralrat der PLO am 29. Oktober nach zweitägiger Beratung in Ramallah im Westjordanland gekommen. Da auch Präsident Mahmud Abbas an der Sitzung aktiv teilnahm, gehen Beobachter davon aus, daß er und der Nationalrat der PLO die Entscheidung des Zentralrats in den nächsten Tagen bestätigen werden. Nach eigenen Angaben werde die PLO Israel erst dann wieder anerkennen, wenn die Regierung in Tel Aviv ihrerseits endlich einen palästinensischen Staat in den Grenzen vor dem Sechstagekrieg 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt formal erkennt.

Die Abkehr der PLO von den Osloer Verträgen ist Ausdruck einer tiefen Verzweiflung. Seit Mitte der neunziger Jahre ist die Zahl der jüdischen Siedlungen im Westjordanland, deren Bau von der israelischen Regierung und reichen zionistischen Organisationen in den USA politisch und finanziell unterstützt wird, drastisch gestiegen, sind die Entfaltungsmöglichkeiten der Palästinenser im Gegenzug entsprechend eingeschränkt worden. Quasi straffrei dürfen jüdische Siedler palästinensische Wohnungen und Grundstücke beschlagnahmen, ihre eigentlichen Eigentümer verjagen. Das Zentrum von Hebron, dessen Gebäude die radikalsten Siedler unter dem Schutz der israelischen Streitkräfte besetzt halten, betreten arabische Fußgänger unter höchster Lebensgefahr.

Haben Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama jahrelang zumindest versucht, zwischen beiden Seiten zu vermitteln, hat sich Donald Trump seit seinem Antritt als US-Präsident im Januar 2017 demonstrativ die Position der rechtsgerichteten israelischen Regierung Benjamin Netanjahus zu eigen gemacht. Trump hat einseitig die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen lassen und die PLO-Führung wegen ihrer Proteste dagegen mit der Streichung jeglicher Hilfsgelder für die Palästinenser bestraft. Abbas hat den Brief, in dem der windige New Yorker Immobilienhai seinen "Deal des Jahrhunderts" zur Lösung des Nahost-Konflikts erläutern wollte, ungeöffnet an das Weiße Haus zurückgeschickt. Nach der Entscheidung, die Osloer Verträge aufzukündigen, könnte die PLO die Mitgliedschaft in mehreren UN-Unterorganisationen beantragen. Lange Zeit hatte Washington durch die Drohung, Hilfsgelder zu entziehen, Ramallah von solchen Schritten abgehalten.

Eine Übernahme des Entschlusses des PLO-Zentralrats durch Nationalrat und Abbas liefe auch auf die Aufkündigung jeglicher Zusammenarbeit der palästinensischen Behörden mit Israel in Fragen der Sicherheit hinaus. Als Besatzungsmacht wäre Israel wieder allein für die öffentliche Sicherheit im gesamten Westjordanland zuständig, was sehr kostspielig werden könnte. Ohnehin haben die israelischen Streitkräfte am Grenzzaun zum palästinensischen Gazastreifen, der seit 1996 von der islamischen Hamas-Bewegung regiert wird, alle Hände voll zu tun. Seit März finden dort jeden Freitag große Demonstrationen für das Recht der Palästinenser auf Rückkehr statt. Israelische Scharfschützen haben seit Beginn der Protestwelle 217 Palästinenser erschossen und weitere 22.897 mittels Splittermunition schwer verletzt (Die Zahlen stammen vom Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten bei den Vereinten Nationen). Nicht auszudenken, spränge die Protestfunke vom Gazastreifen auf die Westbank über.

In Israel sieht man das Aufbegehren der palästinensischen Zivilgesellschaft in Gaza und der PLO-Führung in Ramallah mit Gelassenheit. Netanjahu und seine Minister wähnen nicht nur Trump und dessen zionistischen Schwiegersohn und Nahost-Sonderberater Jared Kushner im Rücken, sondern haben durch gezieltes Schüren der konfessionellen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten Saudi-Arabien und die anderen Monarchien am Persischen Golf in eine Frontstellung gegenüber Israels vermeintlichem Erzfeind Iran gebracht. In der Folge entwickelt sich Israel langsam, aber sicher zur heimlichen Schutzmacht der sunnitischen Königshäuser. Da lassen die offizielle Anerkennung und die Aufnahme voller diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen nicht mehr lange auf sich warten.

Bisher haben unter den arabischen Staaten lediglich Ägypten - 1978 - und Jordanien - 1994 - das Existenzrecht Israels anerkannt. In den letzten Monaten ist es jedoch vor dem Hintergrund der intensiven Gespräche zwischen Kushner und Kronprinz Mohammed Bin Salman, dem De-facto-Herrscher Saudi-Arabiens, zu einer Reihe inoffizieller israelisch-arabischer Begegnungen gekommen. Letzte Woche war Netanjahu für drei Tage in Muskat, der Hauptstadt Omans, wo er Gespräche mit Sultan Qabus ibn Said führte. Qabus gilt als arabischer Vermittler zum Iran. Die geheimen Vorgespräche, die dem Atomabkommen mit dem Iran 2015 den Weg ebneten, fanden 2013 zwischen amerikanischen und iranischen Diplomaten in Muskat statt. Vergeblich versucht Qabus seit drei Jahren, den Krieg im Jemen, der als Stellvertreterkonflikt zwischen Riad und Teheran gilt, zu beenden.

Auf einer Sicherheitskonferenz in Bahrain erklärte am 27. Oktober der omanische Außenminister Jussuf Bin Alawi bin Abdullah, es sei vielleicht endlich an der Zeit, daß Israel im Nahen Osten als Nachbarstaat akzeptiert wird, wofür es im Gegenzug seinen Beitrag zum regionalen Frieden leisten soll. Die Äußerung ist von nicht geringer Bedeutung. Schließlich unterhält Muskat nicht nur ausgezeichnete Beziehungen zum Iran, sondern auch zur Hamas und der schiitischen Hisb-Allah-Bewegung im Libanon. Israel setzt jedoch nach wie vor auf eine Politik der militärischen Überlegenheit und hat damit Erfolg. Am 28. Oktober berichtete die angesehene arabische Tageszeitung Al Khaleej, die in Schardschah in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheint, Israel habe Überwachungs- und Spionagetechnologie im Wert von 250 Millionen Dollar an Saudi-Arabien geliefert. Bereits im September wartete Al Khaleej mit der Exklusivmeldung auf, Tel Aviv habe das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome an die Saudis verkauft, damit sie wichtige Anlagen wie Paläste, Raffinerien und Flughäfen vor Geschossen der schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen schützen können.

Am selben Wochenende, an dem der Besuch Netanjahus im Oman bekannt wurde, wohnte seine Kulturministerin Miri Regev dem Abu Dhabi Grand Slam Judo Tournament bei. Bei dem Kampfkunstturnier hat ein israelischer Sportler Gold in seiner Gewichtsklasse gewonnen, weshalb erstmals die Klänge der israelischen Nationalhymne in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu hören waren. In den kommenden Tagen könnte die Hatikvah auch erstmals in Katar gespielt werden, sollte ein Mitglied der israelischen Mannschaft bei der Weltmeisterschaft im Geräteturnen in Doha in seiner Disziplin den ersten Platz erringen. Währenddessen hat an der vorhin erwähnten Sicherheitskonferenz, dem vom International Institute for Strategic Studies veranstalteten Manama Dialogue, wo auch die Verteidigungsminister der USA und Deutschlands, James Mattis und Ursula von der Leyen, zugegen waren, Bahrains Außenminister Khalid bin Ahmed Al Khalifa für das kommende Jahr die Gründung eines arabischen Pendants zur NATO angekündigt. Laut Al Khalifa soll auch Ägypten der neuen Allianz angehören. Man kann davon ausgehen, daß auch Israel durch das neue Gebilde seine Interessen gewahrt sehen wird.

30. Oktober 2018


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