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NAHOST/1675: Iran - Kriegsgründe zunehmend ... (SB)


Iran - Kriegsgründe zunehmend ...


Nur durch die überraschende Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, am Abend des 20. Juni doch keine militärische Vergeltungsmaßnahmen gegen den Iran wegen des Abschusses einer 130 Millionen Dollar teueren Drohne vom Typ RQ-4A Global Hawk am Tag davor über die Straße von Hormus durchzuführen, ist der Menschheit ein verheerender Krieg am Persischen Golf mit globalen Auswirkungen erspart geblieben - vorerst, muß man sagen, denn die Kriegsgefahr ist nicht gebannt, sie nimmt wieder zu. Trump reagiert inzwischen auf Kritik republikanischer Hardliner wie Senator Lindsey Graham und der Kongreßabgeordneten Liz Cheney, er habe gegenüber dem "Mullah-Regime" in Teheran den Schwanz eingezogen und sei genau so ein Zauderer wie Vorgänger Barack Obama, empfindlich. Nachdem die Regierung in Teheran Trumps gestrige Verhängung von Sanktionen gegen Großajatollah Ali Khamenei und Außenminister Javad als "endgültiges Aus für die Diplomatie" bezeichnet hat, twitterte der New Yorker Baulöwe zurück, die Iraner könnten sich bei "jedwedem Angriff auf irgendein amerikanisches Ziel" auf die "Ausradierung" gefaßt machen.

Seit Trump im Frühjahr 2018 die Teilnahme der USA an dem mühsam von Obama ausgehandelten, 2015 mit dem Iran vereinbarten Atomabkommen aufgekündigt, die Wirtschaftssanktionen gegen Teheran verhängt und Mike Pompeo und John Bolton zu seinem Außenminister und Nationalen Sicherheitsberater gemacht hat, befinden sich die beiden Länder auf Kollisionskurs. Bolton und Pompeo gelten als Befürworter eines "Regimewechsels" in Teheran als einzigem Weg, die angeblich von der Islamischen Republik für Israel ausgehende "existentielle Bedrohung" zu beseitigen. Mit einer Politik des "maximalen Drucks" sollen die iranischen Ölexporte "auf Null" gedrosselt und die Iraner zum Aufstand gegen die eigene Führung angestachelt werden. Ihrerseits hat die Regierung in Teheran mit einer Schließung der Straße von Hormus gedroht, sollte der für den Iran lebensnotwendigen Export von Öl und Gas blockiert werden.

Mitte Mai und Anfang Juni ist es zu einer Reihe mysteriöser Anschläge auf mehrere Öltanker gekommen, die entweder auf Reede im Golf von Oman vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) lagen oder gerade die Straße von Hormus in Richtung Pazifik verlassen hatten. Eindeutige Belege für die Urheberschaft der Explosionen liegen bis heute nicht vor. Dies hat die USA nicht daran gehindert, die Iraner der terroristischen Gefährdung der internationalen Handelsschiffahrt zu bezichtigen. Dies paßt zu der im April von Bolton veranlaßten Deklarierung der iranischen Revolutionsgarde als eine "Terrororganisation". Kurz darauf war Pompeo wiederholt in der Öffentlichkeit mit dem Argument aufgetreten, die Trump-Regierung bräuchte, um einen Krieg gegen den Iran vom Zaun zu brechen, keinerlei Zustimmung des Kongresses, da Teheran mit dem Al-Kaida-"Netzwerk", dessen Bekämpfung samt seiner Verbündeten durch die Ermächtigung infolge der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 freigegeben wurde, unter einer Decke stecke. Rechtsexperten halten das Konstrukt des ehemaligen CIA-Direktors für hochgradig suspekt, Geheimdienstler die Theorie von einer Zusammenarbeit des sunnitischen Dschihadistenverbands mit dem wichtigsten schiitischen Staat für gänzlich abwegig.

Was den genauen Ablauf der Ereignisse um den Abschuß des Global Hawk betrifft, liefern in den letzten Tagen iranische und amerikanische Medien die unterschiedlichsten Versionen. Bereits am 17. Juni behauptete Pompeo, die USA erwögen militärische Strafmaßnahmen gegen den Iran wegen der Anschläge auf die Öltanker. Am selben Tag meldete die Regierung in Teheran, ein Cyberspionagenetzwerk der CIA im Iran zerschlagen und mehrere Verdächtige festgenommen zu haben. In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni wollten die Amerikaner angeblich einen Angriff gegen drei militärische Ziele im Iran - eine Aktion, die man dem Publikum in den USA als Beweis für die eigene Standfestigkeit verkaufen könnte, ohne jedoch zuviel Schaden bei den Iranern anzurichten - durchführen. Auf eine entsprechende Bitte der amerikanischen Militärführung am Persischen Golf soll die iranische Seite mit Nein geantwortet und statt dessen ihrerseits mit sofortigen Vergeltungsmaßnahmen gedroht haben.

Vor diesem sonderbaren Hintergrund erfolgte spät in der Nacht der Abschuß der superteueren Drohne der USA. Nach Angaben der iranischen Revolutionsgarde wurde per Radar der komplette Flug des Global Hawk von einem Stützpunkt in den VAE verfolgt. Als das Flugzeug über die Straße von Hormus, die bekanntlich an ihrer engsten Stelle lediglich 21 Seemeilen breit ist, flog, soll es in den iranischen Luftraum eingedrungen sein. Daraufhin wollen die Iraner mehrmals an die Drohne per Funk ein Warnsignal geschickt haben. Als das unbemannte Objekt keine Anstalten machte, den Kurs in Richtung des internationalen Luftraums zu ändern, wurde sie von einer Boden-Luft-Rakete vom Typ "3. Hordad", einer iranischen Weiterentwicklung der russischen SAM-6-Rakete, abgeschossen. Die Iraner behaupten zudem, im selben Luftraum, sozusagen als Begleitung, sei auch ein Spionageflugzeug vom Typ P-8 Poseidon der US-Marine mit 35 Personen am Bord gewesen, das man aufgrund der Verletzung der terroritorialen Souveränität der Islamischen Republik hätte abschießen können; doch habe man sich aus Gründen der Rücksicht und Deeskalation mit der Zerstörung des Global Hawk begnügt.

Sollte letztere Angabe stimmen, drängt sich der Verdacht auf, die Bolton-Pompeo-Kamarilla habe absichtlich mehr als zwei Dutzend eigener Militärangehörigen in Lebensgefahr gebracht und sei bereit gewesen, diese zu opfern, um sich den Vorwand für einen Krieg gegen den Iran zu beschaffen. Das Szenario einer gescheiterten Falle, in die, weil zu offensichtlich, Irans Revolutionsgarde nicht getappt ist, macht die sonderbare Entscheidungsfindung am nächsten Tag in Washington erklärlich. Am Nachmittag des 20. Juni, als Trump im Oval Office die Führung von Demokraten und Republikanern aus Repräsentantenhaus und Senat zu einer Geheimsitzung empfing, schienen die Würfel für den großen "Vergeltungsschlag" bereits gefallen zu sein. Als Trump später doch noch die ganze Aktion abblies, tat er dies mit dem Argument, die mögliche Opferzahl von 150 iranischen Militärs wäre als Ausgleich für den Verlust einer Drohne "unverhältnismäßig" gewesen. Bei seinem Nein zum Angriff soll Trump vor allem von den Militärs, allen voran Generalstabschef Joseph Dunford, Unterstützung erfahren haben. Es sollen sogar Rechtsexperten des Pentagons gewesen sein, die an Bolton, Pompeo und CIA-Direktorin Gina Haspel vorbei Trump sozusagen in letzter Minute mit der Schätzung der zu erwartenden Opferzahl versorgt haben.

Doch inzwischen bereisen die amerikanischen Kriegsfalken die Nahost-Region - Bolton Israel, Pompeo Saudi-Arabien und die VAE und Iran-Sonderbeauftragter Brian Hook * - um die Trommeln für den großen Showdown der USA mit dem Iran zu rühren. In wenigen Tagen dürften die Iraner, die vor wenigen Wochen als Antwort auf den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen die Urananreicherung angekurbelt haben, die in dem Vertrag festgelegte Menge an Spaltmaterial für die zivile Kernenergie überschritten haben. Mit diesem Schritt wollen sie die Mitunterzeichner des Abkommens, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Rußland, dazu bringen, auf die USA einzuwirken und für eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen zu sorgen. Derzeit sieht es leider nicht danach aus, als würde die Rechnung Teherans aufgehen. Eher dürfte die Verzweiflungsmaßnahme der Iraner den Feinden der "Mullahkratie" in Washington, Tel Aviv, Riad und Abu Dhabi als Anlaß zum endgültigen Angriff ausreichen.

26. Juni 2019


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