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USA/1237: Der seltsame Fall des Times-Square-Bombenlegers Shahzad (SB)


Der seltsame Fall des Times-Square-Bombenlegers Shahzad

Mainstream-Medien müllen Terrordiskurs mit Nonsensegeschichten voll


Als wenige Stunden nach dem mißlungenen Autobombenschlag am Abend des 1. Mai auf dem belebten Times Square im Herzen Manhattans eine Bekennerbotschaft im Internet erschien, in der angeblich zu hören war, wie Kari Hussein Ahmad Mehsud die Aktion für die pakistanischen Taliban als Vergeltung für die US-Drohnenangriffe im Grenzgebiet zu Afghanistan reklamierte, reagierten Medien und Politik in den USA quasi mit einer Stimme. Die pakistanischen Taliban wollten sich nur wichtig machen, man dürfe auf deren Behauptungen bloß nichts geben, so das einhellige Dementi. Eine Woche danach sieht die Welt radikal anders aus. Seit der Festnahme des 30jährigen Faisal Shahzad am 3. Mai auf dem New Yorker Flughafen JFK, kurz bevor er mit einer Maschine der Emirates Airways nach Dubai fliegen konnte, gilt das gescheiterte Attentat vom Times Square inzwischen als Beweis für die "globale Reichweite" aller pakistanischen "Terrorgruppen", von denen der mutmaßliche Bombenleger militärisch ausgebildet worden sein könnte (Dazu gehören neben der Tehreek-e-Taliban (TTP) die Jaish-e-Muhammed (J-e-T) und die Lashkar-e-Taiba (L-e-T), die sich in der Vergangenheit hauptsächlich mit der Unterstützung des muslimischen Separatismus im indischen Teil Kaschmirs hervorgetan haben).

Obwohl die TTP offiziell jede Beteiligung am Times-Square-Anschlag inzwischen bestreitet, hat die These von Shahzad als Handlanger pakistanischer "Terrornetzwerke" die Diskussion um Präsident Barack Obamas AfPak-Strategie enorm belebt. Während Außenministerin Hillary Clinton Islamabad Vorhaltungen wegen angeblich mangelnden Einsatzes gegen TTP und Konsorten machte, hieß es am 8. Mai in dem Artikel "Debate on Expanded Presence in Pakistan" von Mark Mazzetti und Mark Landler in der New York Times unter Verweis auf nicht namentlich genannte Regierungsbeamte, in Washington setze "sich allmählich die Erkenntnis durch", daß die USA, um die afghanischen Taliban und ihre paschtunischen Kampfgefährten auf der anderen Seite der Durand-Linie besiegen zu können, in Pakistan mehr "boots on the ground", will heißen nicht nur CIA-Agenten und Blackwater-Mitarbeiter, welche auf geheimen Lufstützpunkten die amerikanischen Drohnen Predator und Reaper mit Hellfire-Raketen bestücken, sondern auch Bodenstreitkräfte - Marines, Special Forces et cetera - bräuchten.

Bemerkenswert am NYT-Artikel ist die Begründung für die angebliche Notwendigkeit einer verstärkten US-Truppenpräsenz in Pakistan - dessen Armee nebenbei bemerkt beim Kampf gegen einheimische Islamisten mehr Soldaten als die Amerikaner beim Krieg gegen die afghanischen Taliban verloren hat. Gleich im ersten Satz verweisen Mazzetti und Landler auf "Beweise für Verbindungen zwischen dem Mann, dem vorgeworfen wird, der Bombenleger von Times Square zu sein, und pakistanischen Militanten". Die Formulierung ist deshalb bemerkenswert, weil es für jene Verbindung bisher überhaupt keine stichhaltigen Beweise gibt. Was es gibt, sind unzählige lancierte Geschichten, welche die großen, einflußreichen Zeitungen wie die New York Times, die Washington Post, das Wall Street Journal und die Los Angeles Times sowie die Fernsehsender ABC, CBS, NBC, CNN und Fox News seit Tagen unter Verweis auf ihre "anonymen Quellen" im US-Justizministerium, Weißen Haus und anderswo in der Obama-Administration in die Welt setzen und bei denen es sich hauptsächlich um Mutmaßungen und Spekulationen zu handeln scheint.

Dieses Urteil mag überzogen klingen angesichts der Fernsehauftritte Eric Holders am 9. Mai in zwei der allsonntäglichen Politsendungen Amerikas, nämlich "This Week" von ABC und "Meet the Press" von NBC, bei welchem Anlaß Obamas Justizminister erklärte, die US-Behörden verfügten inzwischen über Beweise dafür, daß die pakistanischen Taliban hinter dem Angriff stünden. "Wir wissen, daß sie dabei mitgeholfen haben. Wir wissen, daß sie ihn [den Anschlag] vermutlich finanziert haben und daß er [Shahzad] unter deren Regie arbeitete", so Holder. Um welche "Beweise" es sich hierbei handeln soll, erfährt nicht nur der Normalbürger nicht, sondern wissen nicht einmal die zuständigen Mitglieder der Geheimdienstauschüsse im US-Kongreß. Bereits am 8. Mai hatte Kit Bond, ranghöchster Republikaner im Geheimdienstausschuß des Senats, Holder wegen seiner Informationenspolitik heftig kritisiert und ihn bezichtigt, mehr daran interessiert zu sein, "im Fernsehen den harten Antiterrorkrieger" zu markieren, als seinen gesetzlichen Pflichten, nämlich den Kongreß über die Umstände und Ergebnisse der Vernehmung Shahzads auf dem Laufenden zu halten, nachzukommen.

Die Informationspolitik der Obama-Regierung im Fall Shahzads arbeitet denjenigen Hardlinern in den USA zu, die für ein energischeres Vorgehen der CIA und des Pentagons gegen "Terroristen" in Pakistan und anderen Teilen der muslimischen Welt und des FBI im Innern eintreten. Aufgrund der zahlreichen Spekulationen, wie sich der einst unauffällige, ganz normale Ehemann, Familienvater und Buchhalter Shahzad "radikalisiert" haben soll, werden Forderungen nach Internetzensur laut, damit westliche Moslems nicht mehr an die Videobotschaften des amerikanischen "Haßpredigers" Anwar al-Awlaki herankommen, der angeblich vom Jemen aus den militanten Kampf des Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens ideologisch unterstützt. Darüber hinaus will die Obama-Regierung laut Holder der Forderung von Erzreaktionären wie dem republikanischen Senator John McCain aus Arizona, dem unabhängigen Senator Joseph Lieberman aus Massachusetts und dem republikanischen Kongreßabgeordneten Peter King aus New York nach Einschränkung des Rechts von "Terrorverdächtigen", nach der Verhaftung erst im Beisein eines Anwalts Fragen der Ermittlungsbeamten beantworten zu müssen, nachkommen.

Bis heute haben die amerikanischen Behörden das große Problem zu erklären, warum Shahzad, Sohn eines ehemaligen Vizemarschalls der pakistanischen Luftwaffe, der 1999 erstmals in die USA zu Studiumzwecken einreiste, seit 2003 mit Huma Mian, die selbst aus einer wohlhabenden Familie stammt und deren Vater in der Ölindustrie arbeitet, verheiratet ist und zwei kleine Töchter hat, Mitte 2009, kurz nachdem er die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten erhielt, seinen gutbezahlten Job beim Kosmetikhersteller Elizabeth Arden kündigte und mit seiner Familie zurück nach Pakistan ging. Ob er zu diesem Zeitpunkt schon "radikalisiert" war?

In fast allen Presseberichten zum Fall heißt es, Shahzad sei nach der Rückkehr nach Pakistan in die Grenzregion gefahren - von Nord- und Südwaristan, Hochburgen von Al Kaida und Taliban ist in diesem Zusammenhang meistens die Rede -, wo er Unterricht im Bombenbau erhalten hätte. Gegen diese Annahme spricht die Tatsache, daß seine Eltern nahe Peshawar, Hauptstadt der Nordwestfrontierprovinz (NWFP) wohnen. Also könnte es sein, daß Shahzads Fahrt ins "Rebellengebiet" eher familiäre als dschihadistische Gründe hatte. Hinzu kommt eines der größten Probleme in der bisherigen offiziellen Version des Tathergangs. Wenn Shahzad von den pakistanischen Taliban, Al Kaida, J-e-T, J-e-M oder wem auch immer eine "terroristische Ausbildung" genossen hat, warum war die Autobombe, eine lose Zusammenstellung von Gasflaschen, Benzinkanistern, Feuerwerkskörper, garniert von einer kleinen Prise Düngemittel, so amateurhaft?

Die Bombenkonstruktion und das Verhalten Shahzads - die Tatsachen, daß er bei seiner Einreise in die USA seine Mobiltelefonnummer angab, daß er zwei Tage wartete, bevor er versuchte die Vereinigten Staaten zu verlassen, statt sich gleich nach Abstellen des Wagens in einem Halteverbot vom Times Square aus mit der Bahn zum JFK zu begeben und auszureisen, und daß er seit seiner Verhaftung nicht den auf Ungläubigen pfeifenden Krieger Allahs heraushängen läßt, sondern sich gegenüber den Behörden mehr als kooperativ verhält, indem er zum Beispiel auf die vorgeschriebene Vorführung vor einem Haftrichter innerhalb von 48 Stunden verzichtet hat, läßt einen naheliegenden Verdacht aufkommen.

Dieser Verdacht lautet, daß Shahzad kein fanatisierter Moslem ist, der sich an den USA für die CIA-Drohnenangriffe in seinem Heimatland rächen wollte, sondern aufgrund von Drohungen gegenüber seiner Familie zur Teilnahme an einer Geheimdienstoperation gezwungen wurde, in der er die Rolle des Bauernopfers übernehmen sollte. Dies würde das plötzliche Ende seiner Karriere und seines ganz gewöhnlichen Mittelschichtlebens erklären. Das gilt auch für die funktionsuntüchtige Bombe, die niemandem schaden und in erster Linie symbolischen Charakter haben sollte, sowie für Shahzads nicht besonders ausgeprägte Fluchtbemühungen nach der Tat. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier jemand tätig war, der sich in einer auswegslosen Situation befand und der, nachdem er seine Frau und Töchter einigermaßen in Sicherheit gebracht hatte, das Minimum dessen erledigte, was von ihm verlangt wurde.

Für den Verdacht, daß hinter den sonderbaren Tathandlungen von Shahzad weit mächtigere Kräfte am Werk waren, spricht eine kleine Kontroverse um seine Verhaftung. Den meisten Presseberichten zufolge hieß es, die FBI-Ermittler hätten die Verbindungsdaten von dem Gespräch, als Shahzad mit dem Emirates-Büro am JFK einen Platz für den Flug nach Dubai buchte, mitbekommen, seien zum Flughafen geeilt und hätten den Verdächtigen rechtzeitig vor dem Start verhaften können. Am 4. Mai berichtete jedoch ein New Yorker Lokalableger des Senders CBS, Shahzads Aufenthaltsort sei am Tag der Verhaftung von Spionageflugzeugen des US-Militärs ermittelt worden, die über der Stadt am Hudson kreisten und das Mobiltelefon des Gesuchten angepeilt hätten. In weniger als einer Stunde wurde die CBS-Meldung redigiert, und es wurde daraus jeder Hinweis auf eine Beteiligung des Militärs an der Verhaftung Shahzads gestrichen. Inzwischen hat das Weiße Haus den sensationellen Inhalt des ursprünglichen Berichts kategorisch bestritten. In einem Beitrag für seinen Blog auf der Website der linken US-Zeitschrift The Nation behauptete am 5. Mai Jeremy Scahill, Autor des angesehenen Buchs über das US-Sölnderunternehmen Blackwater, die fraglichen Flugzeuge vom Typ RC-12 seien im Auftrag des U. S. Special Operations Command (SOCOM) unterwegs. Das würde passen. Schließlich hat das geheimnisumwitterte SOCOM unter seinem früheren Kommandeur General Stanley McChrystal die führende Rolle im Kampf gegen die Gegner Amerikas im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet inne.

10. Mai 2010