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USA/1250: Massenkundgebung der neokonservativen Sammlungsbewegung in Washington (SB)


Hunderttausende folgen dem Aufruf der Tea Party


Die neokonservativen Rechten in den USA bedienen die Klaviatur sozialer Existenzängste dramatisch wachsender Teile der Bevölkerung und tief verwurzelter Fremdenfeindlichkeit, um ihre rassistischen Ausfälle gegen Barack Obama voranzutreiben und auf die Schiene der von ihnen angestrebten Rückgewinnung der politischen Vormachtstellung zu zwingen. Gut zwei Monate vor der Zwischenwahl des Kongresses, bei der sich entscheidet, ob der Präsident seine Parlamentsmehrheit verliert, unterstrich die Tea-Party-Bewegung mit einer Großdemonstration in Washington ihren Einfluß in der reaktionären Sammlungsbewegung. Initiator war der berüchtigte Fernseh- und Radiomoderator Glenn Beck, der mit seinen Sendungen Millionen erreicht und seit Tagen zur Teilnahme aufgerufen hatte. Rechnete er zuvor mit 100.000 Teilnehmern, so übertraf das Ergebnis bei weitem die Erwartungen der Veranstalter, die hinterher von 300.000 bis 500.000 Menschen sprachen, die nicht selten von weither in die Hauptstadt gereist waren.

Augenblicklich avancierte die schiere Teilnehmerzahl zu einem zentralen Streitpunkt in der Kontroverse um diese Machtdemonstration. In Konkurrenz zu der halben Million, die Barack Obama zwei Tage vor seiner mit Erwartungen überfrachteten Inauguration am selben Ort bejubelten, mehr noch aber unter Verweis auf die gewaltige Menschenmenge, vor der Martin Luther King am 28. August 1963 vor dem Lincoln Memorial seine berühmte "I have a dream"-Rede gehalten hatte, in der er das Ende der Rassendiskriminierung forderte, erhob man die Zahl zum Politikum. So verkündete die erzkonservative Abgeordnete Michelle Bachmann aus Minnesota, man werde es "niemandem durchgehen lassen, zu behaupten, es seien weniger als eine Million dagewesen". Offizielle Angaben über die Größe der Kundgebung gab es nicht, wobei der Fernsehsender NBC mit seiner Schätzung von 300.000 Menschen nicht falsch gelegen haben dürfte. [1] Polizei und Parkverwaltung bezeichneten es als schwierig, Menschen auf den breiten, mit Bäumen durchsetzten Grünflächen der National Mall zu zählen. Luftaufnahmen zeigten, daß die Menge zwischen dem Lincoln-Memorial und der Gedenkstätte zur Erinnerung an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen US-Soldaten dicht an dicht stand, woran sich eine lockere Formation zwischen dem Weltkriegsmemorial und dem Washington Monument, dem Obelisken in der Mitte der 2,5 Kilometer langen National Mall, anschloß. [2]

Kritiker verurteilten es als Provokation, daß rechtsgerichtete Kräfte mit ihrem Demonstrationsantrag für diesen Tag und Ort versuchten, sich selbst in die Tradition Martin Luther Kings zu stellen. Beck hatte im Vorfeld scheinheilig versichert, er sei sich des Jahrestags bei der Planung nicht bewußt gewesen. Offenbar handle es sich um "göttliche Vorsehung", damit auch er seinen Traum erläutern könne. Wie die skrupellose Inanspruchnahme der Bürgerrechtsbewegung zeigte, konnte von einem Zufall natürlich keine Rede sein. Auf großen Videoleinwänden waren Wochenschauaufnahmen des 1968 ermordeten Baptistenpastors und Friedensnobelpreisträgers zu sehen, und Sarah Palin spürte an diesem Ort "den Geist Martin Luther Kings" wehen. Die Nichte des Bürgerrechtlers, Alveda King, war sich nicht zu schade, ihren "Onkel Martin" mit den Worten zu zitieren: "Unrecht irgendwo ist eine Bedrohung des Rechts überall", wobei sie als konservative Lebensrechtlerin vor allem Abtreibungen im Sinn gehabt haben dürfte.

Der sendungsbewußte Fernsehmoderator Beck nahm kein Blatt vor den Mund und reklamierte die Nachfolge der Bürgerrechtsbewegung für die neue Massenbewegung der Rechten. Martin Luther Kings Vision sei "massiv pervertiert" worden, hatte er schon am Vortag verkündet. "Wir sind die Erben und Beschützer der Bürgerrechtsbewegung. Wir müssen für Bürgerrechte und gleiche Rechte für alle einstehen." Wie er dabei betonte, gehe es nicht um Gerechtigkeit für eine spezielle Bevölkerungsgruppe, sondern um gleiche Rechte für alle. Es gehe nicht um soziale Gerechtigkeit, da es denselben Wohlstand für alle nicht gebe. Setzte sich die traditionelle Bürgerrechtsbewegung für das Ende der Diskriminierung und Benachteiligung der schwarzen Minderheit ein, so besteht die neokonservative Rechte ausdrücklich auf der bestehenden sozialen Ungleichheit und nennt es gerecht für alle, wenn daran nicht gerührt wird. [3]

Der 46jährige Beck pflegt regelmäßig gegen den "Sozialismus" zu wettern, in den der Präsident das Land führe. Im Kabelsender Fox News gibt er den Volkstribun und entlarvt an seiner Kreidetafel mit Vorliebe angebliche linke Verschwörungen gegen Amerika, in denen nicht selten Obama eine prominente Rolle spielt. Beck wirft dem schwarzen Präsidenten vor, er hege einen "tiefsitzenden Haß auf weiße Menschen", womit der Moderator seine eigene offen rassistische Gesinnung auf das bevorzugte Objekt seiner Anwürfe projeziert.

Bei der Großkundgebung in Washington hatten Beck und Konsorten jedoch vordergründig Kreide gefressen. Sämtliche Redner hielten sich an die Marschroute, es solle ein Treffen gleichgesinnter Patrioten und "keine politische Demonstration werden", und nannten den Namen Barack Obama, dessen einvernehmliche Ablehnung das einigende Band der versammelten Menschenmenge war, kein einziges Mal. [4] Auch hatte man keine amtierenden Politiker als Redner eingeladen, wobei Sarah Palin ja seit ihrem Rücktritt als Gouverneurin von Alaska vor einem Jahr kein Amt mehr bekleidet. Überdies stellte man offiziell keine politischen Abzeichen zur Schau, wovon freilich nicht nur ein Meer von Sternenbannern, sondern auch zahllose gelben Fahnen der Tea-Party-Bewegung ausgenommen waren. Auf letzteren ist eine stoßbereit aufgerichtete Klapperschlange samt dem Schlachtruf "Tritt nicht auf mich!" zu sehen. Die üblichen Tea-Party-Poster, die Obama mit Hitler-Schnurrbart zeigen, fehlten diesmal, doch machten viele Teilnehmer aus ihrer politischen Gesinnung keinen Hehl, indem sie Buttons mit der Aufschrift "Buck Ofama" trugen, was man zweifelsfrei als offene Beschimpfung des Präsidenten ausmachen kann. Auch trugen viele T-Shirts mit der Aufschrift: "Rezession: Wenn Ihr Nachbar seinen Job verliert. Depression: Wenn Sie den Job verlieren. Aufschwung: Wenn Obama seinen Job verliert." [5]

Beck selbst präsentierte sich in der Rolle eines Erweckungspredigers, der das Land zur religiösen Umkehr und Rückkehr zu konservativen Werten aufruft. "Hier geschieht etwas jenseits der Vorstellungskraft", schwadronierte er. "Amerika wendet sich heute wieder Gott zu". Seine Rolle sei es, Amerika wachzurütteln und auf den schleichenden Verlust von Prinzipien und Werten hinzuweisen, rief er der Menge zu. "Viel zu lange ist dieses Land in Dunkelheit gewandert", was die Kundgebungsteilnehmer natürlich als Hinweis auf die Herrschaft der Demokraten in Washington einzuordnen wußten. Beck beschwor den "Glauben an den Herrn" und animierte zu Gebeten "in Kirchen, Synagogen und Moscheen", überall dort, wo nicht das Töten von Menschen gepredigt werde.

Neben der kollektiven Rückbesinnung auf christliche Werte feierte man patriotische Gesinnung und das amerikanische Militär, allen voran Sarah Palin: "Ich bin stolz auf diese Auszeichnung. Sie können über mich sagen, was sie wollen, aber niemand kann mir nehmen, daß ich einen ehemaligen Frontkämpfer aufgezogen habe", erklärte sie unter tosendem Beifall der Menge. Die US-Soldaten seien "eine Kraft des Guten". Palins Sohn Track hatte im vergangenen Jahr im Irak gedient. Unter Hinweis auf die Reformen der Demokraten und Barack Obamas Versprechen, Amerika umzugestalten, sagte Palin: "Wir müssen Amerika nicht umgestalten, wir müssen Amerika wiederherstellen, wir müssen die Ehre des Landes wiederherstellen. Ihr habt dasselbe stählerne Rückgrat und den moralischen Mut wie Washington, Lincoln und Martin Luther King. Ihr habt es in euch. Es wird euch stützen, so wie es sie gestützt hat", heizte Palin die Menschenmenge an. "Also laßt uns mit Stolz auf Rot, Weiß und Blau und in Dankbarkeit an unsere Männer und Frauen in Uniform zusammenstehen. Laßt uns Ehre zeigen. Laßt uns Amerika wiederherstellen!"

Vor der symbolträchtigen Kulisse des Lincoln Memorial unweit des Weißen Hauses beschwor die ehemalige Vize-Präsidentschaftskandidatin der Republikaner den politischen Umschwung: "Möge dieser Tag den Wandel markieren. Seht euch um. Ihr seid nicht allein. Ihr seid Amerikaner!" Unter dem Motto "Wiederherstellung der Ehre" hagelte es Phrasen und Parolen, die absichtlich so vage gehalten waren, daß sie von der Menschenmenge assoziativ mit einem breiten Spektrum unterschiedlicher Inhalte gefüllt werden konnten. Es ging um Herz und Seele der Nation, Entehrung und Erniedrigung im eigenen Land, die Wiedergewinnung von Glaube und Hoffnung im religiös-konservativen Fahrwasser. "Gestern ist gewesen, morgen mag niemals kommen, es ist heute, was zählt", krönte Beck in der Pose eines evangelikalen Fernsehpredigers die Präsentation inhaltsleerer Versatzstücke.

Wortführer der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wehrten sich gegen die Vereinnahmung der Botschaft Martin Luther Kings durch Beck und Palin. Der schwarze Geistliche und Politiker Al Sharpton hatte unweit des Memorial eine Gegenkundgebung organisiert, deren Teilnehmerzahl jedoch nur wenige tausend betrug. Dort sprachen unter anderem der älteste Sohn Kings und Bildungsminister Arne Duncan. In diesem Zug marschierten fast ausschließlich Schwarze mit, während in Sichtweite Hunderttausende konservative Weiße ihre Vorherrschaft feierten. Für die Demokratische Partei mußte es eine niederschmetternde Erfahrung sein, daß sie ihre Anhänger im Gegensatz zur Rechten kaum mobilisieren konnte. Bei der Gegendemonstration kritisierte die Demokratin Eleanor Holmes Norton die Vereinnahmung des Bürgerrechtlers. Kings Rede 1963 habe "die Nation verändert" und geholfen, "den Tiefpunkt des Rassismus in unserer Geschichte zu überwinden". Becks Marsch hingegen werde "nichts verändern".

Daß die Neokonservativen der Tea Party nichts verändern können, muß zumindest in parteipolitischer Hinsicht und darüber hinaus mit Blick auf eine Trendwende der US-Politik jedoch bezweifelt werden. Zwar haben Umfragen ergeben, daß nur 22 Prozent der Befragten es als Vorteil sehen, wenn ein Kandidat der Tea Party nahesteht, und eine Wahlempfehlung Sarah Palins überwiegend skeptisch gesehen wird. Wie die Großkundgebung jedoch gezeigt hat, rückt die Bewegung taktisch vom rechten Rand zur Mitte hin ab und vermeidet gezielt allzu provozierende Äußerungen, die dem gegen sie erhobenen Vorwurf des Rassismus neue Nahrung geben könnten. Beck hat sich sogar einige Schwarze, Juden und Muslime als Statisten auf die Bühne geholt, um eine breite Bewegung von unten vorzutäuschen.

In Washington versammelten sich weit mehr Menschen, als die Tea Party an Anhängern für sich reklamieren kann. Für sich genommen ist sie nicht mehr als ein marginales Phänomen von beschränkter Halbwertzeit, das erst im beständigen Spiegel der Medien Gewicht bekam. Als Instrument, beträchtliche Segmente der enttäuschten Wählerschaft zurück ins konservative Lager zu locken, indem sie eine Gemengelage aus nationalistischen, religiösen und rassistischen Parolen anrührt, kann sie jedoch durchaus dazu beitragen, den ersten schwarzen Präsidenten der USA samt allen mit dessen Amtszeit verknüpften Illusionen zum historischen Fehlgriff des weißen Amerika zu erklären und zu entsorgen.

Anmerkungen:

[1] Feier zur konservativen Erweckung (30.08.10)
http://www.sueddeutsche.de/m5138K/3547515/Feier-zur-konservativen-Erweckung.html

[2] Böses Omen für Obama (29.08.10)
http://www.tagesspiegel.de/politik/boeses-omen-fuer-obama/1913832.html

[3] Rechte demonstrieren für Amerikas Ehre (29.08.10)
http://www.fr-online.de/politik/rechte-demonstrieren-fuer-amerikas-ehre/-/1472596/4598438/-/index.html

[4] Der Kampf um den amerikanischen Traum (30.08.10)
http://www.welt.de/die-welt/politik/article9279905/Der-Kampf-um-den-amerikanischen-Traum.html

[5] Die Rechte macht mobil (29.08.10)
http://www.suedkurier.de/news/brennpunkte/politik/art410924,4454055

30. August 2010