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USA/1253: Koranverbrennung geplant - Petraeus vergießt Krokodilstränen (SB)


Christliche Fundamentalisten verteufeln den Islam


Das Vorhaben einer evangelikalen Splittergruppe in Florida, ausgerechnet am 11. September, dem neunten Jahrestag der Anschläge in New York und Washington, Exemplare des Korans öffentlich zu verbrennen, um "radikale Elemente des Islam" anzuprangern, stößt vielerorts und aus höchst unterschiedlichen Gründen auf heftige Kritik. Die geplante Bücherverbrennung rief in Indonesien vor einigen Tagen empörte Muslime auf den Plan, die vor die US-Botschaft in Jakarta zogen und mit einem "Heiligen Krieg" drohten, sollte die Provokation nicht verhindert werden. Am Montag protestierten mehrere hundert Demonstranten in Afghanistan gegen die Aktion, wobei sie "Lang lebe der Islam" und "Tod für Amerika" skandierten. Einige Demonstranten warfen mit Steinen und forderten den Tod von US-Präsident Barack Obama sowie den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. [1]

Wie empfindlich Gläubige auf einen herabwürdigenden Umgang mit dem Koran reagieren, zeigte sich bereits im Jahr 2005. Damals berichtete das Magazin "Newsweek", im US-Gefangenenlager Guantánamo sei eine Ausgabe des Korans die Toilette hinuntergespült worden, um auf Insassen Druck auszuüben. Daraufhin war es in Afghanistan zu Unruhen gekommen, in deren Verlauf mehrere Menschen starben. Später wurde dieser Bericht zurückgezogen. Im folgenden Jahr lösten dann die Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung weltweit Proteste empörter Muslime aus.

Die jüngste Provokation geht von der fundamentalistischen Glaubensgemeinschaft Dove World Outreach Center in Gainesville aus, die nicht mehr als 50 Mitglieder zählt und auf ihrer Seite im Online-Netzwerk Facebook mit dem Slogan "Islam kommt vom Teufel" wirbt. Obgleich die Behörden die geplante Aktion verboten haben und sich massive Einwände häufen, will sich die Kirchengemeinde nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Wie der Pastor der Kirche, Terry Jones, im Wall Street Journal erklärte, halte er zwar manche Bedenken für "legitim", doch sei es nötig, "den radikalen Elementen des Islam eine klare Botschaft zu schicken". Die USA dürften sich nicht länger "von ihren Drohungen kontrollieren und dominieren" lassen.

Von den US-amerikanischen und internationalen Medien vielbeachtete Einwände kamen aus Kabul, jedoch nicht nur von afghanischer Seite. So verurteilte die US-Botschaft in einer Erklärung die geplante Bücherverbrennung, und der Oberbefehlshaber der Besatzungsstreitkräfte, General David Petraeus, wies mit Nachdruck darauf hin, daß die geplante Verbrennung des Heiligen Buchs der Muslime das Leben von Soldaten gefährden könne. Derartige Vorhaben spielten der Propaganda der Taliban in die Hände und könnten "schwerwiegende Probleme" nicht nur in Afghanistan hervorrufen: "Bilder von der Verbrennung des Korans würden sicherlich von Extremisten in Afghanistan und rund um die Welt genutzt, um zur Gewalt anzustacheln." [2] Solche Bilder könnten einen ähnlich negativen Effekt für die USA haben, wie die bekannt gewordenen Folterbilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Da schon die Ankündigung der Bücherverbrennung Protest hervorgerufen habe, sei er sehr besorgt, welches Nachspiel diese Aktion im Falle ihrer Ausführung haben könnte. Die Mission in Afghanistan werde dann noch schwieriger.

Daß Muslime in aller Welt eine öffentliche Verbrennung des Korans als Verteufelung ihres Glaubens und zutiefst aggressiven Akt gegen ihre Kultur auffassen, ist nur zu verständlich. Bezeichnenderweise wird die Bücherverbrennung in den westlichen Medien zuerst und vor allem im Kontext der Sicherheitspolitik diskutiert, nicht aber mit Faschismus und Diktatur assoziiert, obgleich dies insbesondere in Deutschland naheliegend sein müßte. Nicht der zutiefst rassistische und reaktionäre Charakter dieser Spielart des christlichen Fundamentalismus steht im Zentrum der Kritik, sondern ein eventueller Nachteil im Kontext der westlichen Kriegsführung.

Während Petraeus zu bedenken gibt, daß die Bilder einer solchen Bücherverbrennung von "Extremisten in Afghanistan und rund um die Welt genutzt" würden, "um zur Gewalt anzustacheln", geht er mit keinem Wort inhaltlicher Kritik auf die Provokation der fundamentalistischen Splittergruppe ein. Und indem er warnt, "Extremisten" könnten daraus ihren Vorteil ziehen, spricht er dem Widerstand gegen eine derartige Herabwürdigung des Islams jede Berechtigung ab und erklärt die Opfer dieses Angriffs kurzerhand zu potentiellen Tätern. Störmanöver kann Petraeus eigentlich nicht brauchen, dem in militärischer Hinsicht die Felle wegschwimmen und nun auch noch an der Propagandafront Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.

Da sich der Militäreinsatz am Hindukusch zusehends verlustreich für die Okkupationsmächte gestaltet, hat der Oberbefehlshaber der internationalen Truppen erst vor wenigen Tagen der NATO seinen Wunsch nach Verstärkung vorgetragen. Derzeit sind rund 115.000 ausländische Soldaten in Afghanistan im Einsatz, um den Widerstand gegen das Besatzungsregime niederzuringen. Nun will Petraeus weitere 2.000 Soldaten haben, von denen 750 für die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte vorgesehen sein sollen. Wie aus Kreisen der Allianz in Brüssel verlautete, seien nun alle Verbündeten und Truppensteller aufgefordert, sich an dieser Aufstockung zu beteiligen. Da in den beteiligten Ländern die Unterstützung des Krieges schwindet, hat sich jedoch noch niemand zu einem verstärkten Engagement bereiterklärt. Von einer zügigen Antwort der angesprochenen Regierungen könne man nicht ausgehen, erklärte ein NATO-Vertreter. Vielmehr werde die Diskussion wohl "Wochen und Monate" dauern. [3]

Nicht auszuschließen ist, daß Sicherheitskreise der westlichen Mächte keineswegs so unglücklich über die geplante Provokation der Koranverbrennung sind, wie sie dies derzeit vorgeben. Zündstoff dürfte von geheimdienstlicher und militärischer Seite im Prinzip nicht unerwünscht sein, da er militante Reaktionen hervorruft und damit weitere Vorwände zur Fortsetzung und Intensivierung der Kriegsführung schafft. Wenngleich in ihrer Aktionsform extrem, schwimmen die christlichen Fundamentalisten doch im breiten Strom jener Kräfte, die nach dem Ende des Kalten Krieges die islamische Welt aus strategischen Gründen zum Feindbild erkoren haben.

Anmerkungen:

[1] Geplante Koran-Verbrennung in den USA. Petraeus warnt vor weltweiten Muslim-Protesten (07.09.10)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,716069,00.html

[2] Koran-Verbrennung in USA könnte Soldaten in Afghanistan gefährden (07.09.10)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/usa-koran-verbrennung-in-usa-koennte-soldaten-in-afghanistan-gefaehrden_aid_549408.html

[3] NATO erwägt weitere Truppenentsendung. 2000 Afghanistan-Soldaten mehr im Gespräch (07.09.10)
Neues Deutschland

7. September 2010