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USA/1260: "Al-Kaida-Braut" zu 86 Jahren Gefängnis verurteilt (SB)


"Al-Kaida-Braut" zu 86 Jahren Gefängnis verurteilt

Urteil gegen Aafia Siddiqui löst in Pakistan Proteste aus


In mehreren Städten Pakistans hat die Verurteilung der 38jährigen Dr. Aafia Siddiqui durch ein Bundesgericht in New York zu 86 Jahren Freiheitsstrafe zu spontanen Straßenprotesten geführt. Bereits am 3. Februar war die promovierte Neurowissenschaftlerin und dreifache Mutter, die seit 2003 vom FBI als einziges weibliches Führungsmitglied des Al-Kaida-"Netzwerkes" Osama Bin Ladens geführt wird, des versuchten Mordes an mehreren Beamten und Soldaten der USA im Juli 2008 in Afghanistan schuldig gesprochen worden. Siddiqui hat alle Vorwürfe von sich gewiesen und behauptet, seit 2003 in US-Gefangenschaft schwer gefoltert worden zu sein. Während in den westlichen Medien Siddiqui als "Al-Kaida-Braut" behandelt wird, sorgt ihr Fall in Pakistan und der islamischen Welt für große öffentliche Empörung.

1990 war Siddiqui in die USA gereist, um an der University of Texas in Houston und danach am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu studieren. 2001 promovierte sie an der Brandeis-Universität Neurowissenschaft. Während ihrer Zeit in den USA hat Siddiqui sich nachweislich bei mehreren islamischen Wohltätigkeitsvereinigungen engagiert, die nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 ins Blickfeld der US-Justizbehörden gerieten. Ende 2001, Anfang 2002 kehrte Siddiqui mit ihrem Ehemann Amjad Khan - von dem sie sich kurze Zeit danach trennte - und zwei Kindern nach Pakistan zurück. Am 18. März 2003 erklärte das FBI in Washington sie zu einer verdächtigen Person. Am 29. März berichtete die Nachrichtenagentur United Press International, die US-Bundespolizei halte Siddiqui für eine "Handlangerin" des Al-Kaida-"Netzwerkes", die "terroristische" Operationen finanziell unterstütze. Nach Angaben von Siddiquis Familie verschwand sie gleich am Tag nach Erscheinen dieser Meldung bei einer Fahrt nach Rawalpindhi mit ihren inzwischen drei Kindern.

Danach gilt Siddiqui als verschollen. Im April 2003 meldet die Times of India die Festnahme Siddiquis durch die pakistanische Polizei und ihre Übergabe an die amerikanischen Behörden, was wiederum vom FBI bestritten wird. Erst am 28. Mai 2004 gibt das Innenministerium in Islamabad zu, die pakistanischen Behörden hätten ein Jahr zuvor Siddiqui an die Amerikaner übergeben, nachdem man es selbst nicht geschafft habe, ihr irgendwelche Kontakte zu Al Kaida nachzuweisen. 2006 listet Amnesty International Siddiqui als Opfer des CIA-Programms der "außergewöhnlichen Überstellungen" auf. Es kursieren unbestätigte Berichte ehemaliger Gefangener, daß Siddiqui in jenem berüchtigten US-Sondergefängnis auf dem Gelände des Militärflughafens Bagram in Afghanistan gehalten und gefoltert wird. Inzwischen hält das FBI sie für eine "Topterroristin". Dies will man von Khalid Scheich Mohammed (KSM), den 2003 verhafteten "Chefplaner" der Flugzeuganschläge vom 11. September erfahren haben, mit dessen Neffen Ammar al Baluchi Frau Siddiqui zuletzt verheiratet gewesen ist. Al Baluchi sitzt derzeit im Gefängnis in Guantánamo Bay auf Kuba, wo er zusammen mit KSM und anderen auf einen Prozeß wartet.

Am 7. Juli 2008 identifiziert die britische Journalistin Yvonne Ridley Siddiqui als die geheimnisvolle "Gefangene 650" in Bagram. Zusammen mit dem Politiker und früheren pakistanischen Cricketidol Imran Khan will Ridley publizistisch großen Wind um den Fall Siddiqui machen. Am 4. August meldet plötzlich das Justizministerium in Washington die Ankunft Siddiquis in den USA. Sie soll von der Afghanischen Nationalpolizei (ANP) am 17. Juli festgenommen und am nächsten Tag bei der Übergabe an US-Behördenvertreter angeschossen worden sein. Über die Umstände der Festnahme gibt es die widersprüchlichsten Angaben.

Angeblich hat die afghanische Polizei Siddiqui in der Nähe des Amtssitzes des Gouverneurs der Provinz Ghazni zusammen mit ihrem 11jährigen Sohn Ahmed verhaftet. Sie soll eine Straßenkarte von New York und irgendwelche Chemikalien bei sich gehabt haben - ganz als plane sie einen Mini-Giftgas-Anschlag in der Hudsonmetropole. Wie sie nach Ghazni gekommen ist, weiß niemand. Die US-Behörden, die bestreiten, daß Siddiqui jemals vorher im Gefängnis war, behaupten, von 2003 bis 2008 hätte sie sich im "terroristischen" Untergrund aufgehalten.

Wie dem auch sei. Eine Bürgerin Pakistans nach New York zu fliegen, um sie dort wegen in Afghanistan abgegebener Schüsse auf Soldaten und FBI-Agenten zu Verantwortung zu ziehen, ist, gelinde gesagt, ungewöhnlich. Beim Prozeß wurden Siddiqui keine Vorwürfe in Verbindung mit ihrer angeblichen Mitgliedschaft in Al Kaida gemacht, vermutlich weil die Beweise dafür zu dürftig sind. Obwohl Siddiqui ein Wrack ist, die von dem, was auch immer sie in den letzten Jahren durchgemacht hat, schwer gezeichnet ist, hat Richter Richard Berman einen Antrag der Verteidigung auf geistige Unzurechnungsfähigkeit abgelehnt. Gleichwohl hat er ihr aufgrund ihres labilen geistigen Zustands nicht erlaubt, die Anwälte ihrer Wahl beziehungsweise der ihrer Familie zu engagieren. Dafür mußte sich Siddiqui gefallen lassen, von Anwälten vertreten zu lassen, welche der pakistanische Staat mit dem Fall betraut hat. Dabei waren es die pakistanischen Behörden selbst, die nach eigenen Angaben Siddiqui damals verhafteten und an die Amerikaner übergaben.

An der Vertuschung dieser gräßlichen Affäre haben sowohl Islamabad und Washington großes Interesse. Nach Angaben von Siddiquis Sohn Ahmad, soll bei der Verhaftung im März 2003, bei der mehrere Schüsse fielen, das dritte Kind, der nur mehrere Monate alte Suleiman, dermaßen schwer verletzt worden sein, daß er später starb. Dies berichtete am 21. September die in Abu Dhabi erscheinende Tageszeitung The National. Ahmads Schwester Mariam, die ebenfalls jahrelang verschwunden war, wurde vom pakistanischen Innenminister Rehman Malik an Siddiquis Schwester Fowzia in diesem Frühjahr übergeben. Bei der Tante in Karatschi wohnen nun beide Kinder, während ihre Mutter ihr Leben bis zu seinem Ende hinter Gitter in einem Hochsicherheitstrakt in den USA verbringen soll.

25. September 2010