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USA/1268: Bush wird seinen Ruf als Folter-Befürworter nicht los (SB)


Bush wird seinen Ruf als Folter-Befürworter nicht los

Waterboarding laut Bush keine Folter - weil ihm die Anwälte es sagten


Mit der Veröffentlichung der Memoiren "Decision Points", für die er mit verschiedenen Zeitungsinterviews wie zum Beispiel mit der Times of London und Fernsehauftritten, unter anderem in der Oprah Winfrey Show, wirbt, versucht der Republikaner George W. Bush seinen öffentlichen Ruf wiederherzustellen. Ein Gelingen dürfte angesichts der zwei laufenden Kriege im Irak und in Afghanistan und der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem großen Crash 1929 an der New Yorker Börse, die er Barack Obama, seinem demokratischen Nachfolger als US-Präsident, vererbte, sowie der Erinnerungen an das katastrophale Mißmanagement bei der Überflutung von New Orleans im Zuge von Hurricane Katrina 2005 und der Nicht-Einlösung des Versprechens, Osama Bin Laden, den mutmaßlichen Auftraggeber der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, "tot oder lebendig" zur Strecke zu bringen, schwer bis unmöglich werden. Hinzu kommt, daß Bushs Werbetour für seine Memoiren die Diskussion um die "verschärften Vernehmungsmethoden", deren Anwendung er im Kampf gegen Bin Ladens Al-Kaida-"Netzwerk" anordnete, wieder losgetreten hat. Die umstrittenste dieser Methoden ist das sogenannte Waterboarding, das eine moderne Form der klassischen, seit Jahrhunderten bekannten Wasserfolter darstellt, von dem aber Bush behauptet, daß es nicht den Straftatbestand der Folter erfüllt.

Im Buch selbst sowie bei den verschiedenen Medienauftritten wehrt sich Bush gegen den Foltervorwurf mit zwei Hauptargumenten. Erstens, behauptet er, habe er Waterboarding nur angeordnet, nachdem ihm die zuständigen Anwälte im Justizministerium, John Yoo, der heute Jura an der Universität von Kalifornien lehrt, und Jay Bybee, der heute als Richter beim Bundesberufsgericht arbeitet, versichert hätten, daß es sich hier um keine Folter handele, da sie bei der zu vernehmenden Person keine bleibenden Schäden zurücklasse. Wegen der "Torture Memos", in denen Yoo und Bybee ihre Expertise für Bush schriftlich festhielten, wurden beide Männer heftig kritisiert, nicht zuletzt im internen Untersuchungsbericht des Justizministeriums, in dem ihnen "professionelles Fehlverhalten" nachgewiesen wurde. Yoo und Bybee entgingen eine Anklage nur deshalb, weil später David Margolis, der zuständige Anwalt im Justizministerium, ihnen bescheinigte, unter dem Eindruck der Ereignisse des 11. September 2001 und der anschließenden Angst vor weiteren Großanschläge auf die USA "schlechtes Urteilsvermögen" an den Tag gelegt zu haben.

Mit seinem zweiten Argument reklamiert Bush für sich, durch seine Anordnung von Waterboarding habe die CIA unter anderem bei der Vernehmung von Khalid Sheikh Mohammed (KSM), dem mutmaßlichen 9/11-Chefplaner, im Jahre 2003 wichtige Erkenntnisse gewonnen, mittels derer man weitere, in der Vorbereitungsphase befindliche, schwere Al-Kaida-Anschläge auf "diplomatische Vertretungen Amerikas im Ausland, den Flughhafen Heathrow und Canary Wharf in London sowie mehrere Ziele in den Vereinigten Staaten" habe vereiteln können. Dadurch habe man viele Menschen nicht nur in den USA, sondern auch in Großbritannien und anderswo das Leben gerettet, weshalb er sein damaliges Handeln jederzeit wiederholen würde, so Bush. Doch die Behauptung Bushs in diesem Zusammenhang ist in den letzten Tagen von mehreren britischen Politikern, die mit der Materie vertraut sind, entschieden widerlegt worden.

In einem Interview in der allmorgentlichen Radiosendung Today von BBC 4 erklärte am 9. November Kim Howells, der während der Ära der Labour-Regierung Tony Blairs und Gordon Browns in Großbritannien mehrere Ministerposten bekleidete sowie den Vorsitz des Geheimdienstausschusses des britischen Unterhauses innehatte, er sei davon "nicht überzeugt", daß Informationen, welche die Amerikaner durch die Anwendung von Folter gewonnen hätten, zur Vereitelung irgendwelcher Anschläge geführt hätten. In derselben Sendung wies David Davis, der frühere innenpolitische Sprecher der heute regierenden, britischen Konservativen, die Behauptungen Bushs mit dem Argument zurück, der Rückgriff auf Foltermethoden sei nicht nur moralisch inakzeptabel, sondern liefere auch falsche Geständnisse. In diesem Zusammenhang erinnerte Davis an den Fall des Ibn Scheich Al Libi, der, um seiner Folter 2002 ein Ende zu setzen, den CIA-Peinigern das erzählte, was sie hören wollten, nämlich daß der Irak über Massenvernichtungswaffen verfüge und daß die Regierung Saddam Husseins Kontakte zu Al Kaida unterhalte - was beides nicht stimmte.

Als jemanden, der nach der Gefangennahme in Pakistan 2002 und nach dem Durchleben des Waterboardings wichtige Informationen preisgegeben hätte, nennt Bush Abu Zubaidah. Inwieweit dessen Angaben zur Festnahme KSMs im darauffolgenden Jahr wirklich beigetragen haben, ist unklar. Fest steht dagegen, daß Al Zubaidahs Hinweise auf den Plan, die USA mit einer durch radioaktive Partikel angereicherten, "schmutzigen" Bombe anzugreifen, sowie auf Verbindungen Saddam Husseins zu Al Kaida gelogen bzw. ein Ergebnis der Verzweiflung waren. Nichtsdestotrotz bildeten die Angaben Al Libis und Zubaidahs wichtige Säulen des Lügengebäudes, mittels dessen die Bush-Regierung im Frühjahr 2003 den völkerrechtlich illegalen Überfall auf den Irak durch die Truppen der USA, Großbritanniens und Australiens begründete.

Wie es der Zufall so will, wurde die neu entfachte Diskussion um die Zweckmäßigkeit bzw. Vertretbarkeit von Bush Folterbefehlen am 9. November durch die Bekanntgabe von John Durham, Sonderbundesermittler des US-Justizministeriums, angereichert, daß es keine Anklagen wegen der Vernichtung von Videobändern, auf denen 2002 und 2003 Hunderte von Stunden der Vernehmung bzw. Folter mehrerer Al-Kaida-Mitglieder in Geheimgefängnissen der CIA im Ausland festgehalten wurden, geben wird. Wie die New York Times am 10. November berichtete, war die fünfjährige Frist, innerhalb derer man eine Anklage wegen der Vernichtung des brisanten Beweismaterials hätte erheben können, am 9. November abgelaufen (worauf der seit 2008 tätigte Durham gewartet zu haben scheint). Dies bedeutet, daß besagte Videobänder, die zuvor in einem Panzerschrank in einer Außenstelle der CIA in der thailändischen Hauptstadt Bangkok gelegen hatten, in der Tat am 9. November 2005 vernichtet wurden. Der unmittelbare Befehl zu der Vernichtung kam von Jose Rodriguez, damals Leiter der Abteilung Sonderoperationen bei der CIA.

Das Datum der Beseitigung der CIA-Folter-Videobänder ist von keiner geringen Bedeutung. Gerade sechs Tage davor hatte Leonie Brinkema, Richterin am Bundesgericht in Alexandria, Virginia, die US-Behörden um die Aushändigung allen Materials aus den Vernehmungen gefangengenommener, "illegaler Kombattanten" des "Antiterrorkrieges" gebeten, das zur Entlastung von Zacarias Moussaoui, dem mutmaßlichen "20. Highjacker" des 11. September, beitragen könnte. Ausdrücklich hatte Brinkema die Frage gestellt, ob die US-Regierung "Video- oder Audiobänder von diesen Vernehmungen hat". Am 14. November beantwortete das Justizministerium die Frage mit nein - schließlich waren in der Zwischenzeit die fraglichen Bänder auf immer dem Feuer übergeben worden.

Moussaoui, ein Franzose marokkanischer Herkunft, war am 16. August 2001 in Egan, Minnesota, nach seltsamen Verhaltens an einer Flugschule zunächst wegen Verstoßes gegen die US-Einreisebestimmungen festgenommen worden. Die Versuche der Mitarbeiter des FBI-Büros in Minneapolis, die in Moussaoui einen potentiellen Flugzeugattentäter sahen, den Fall zu knacken, wurden von den Vorgesetzten in Washington regelrecht torpediert - selbst nachdem die Ermittler in Minnesota von der Staatspolizei in Paris umfangreiche Hinweise auf Kontakte ihres Verdächtigen zur islamistischen Szene in Frankreich übermittelt bekommen hatten.

Als Ende 2007 der Skandal um die Vernichtung der CIA-Folteraufnahmen losbrach, hatte dies für Moussaoui keine Relevanz mehr. 2006 hatte er sich dazu bekannt, 2001 zum Zwecke der Flugzeugentführung bzw. des Flugzeuganschlags in die USA eingereist zu sein, und wurde von Brinkema zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Ein Jahr später kamen jene Fragen auf, auf die es nach der jüngsten Entscheidung, auf eine Anklageerhebung gegen die unmittelbar Verantwortlichen bei der CIA zu verzichten, niemals eine ausreichende Antwort geben wird: inwieweit Rodriguez vor der Vernichtung der Videobänder Rücksprache mit dem damaligen CIA-Chef Porter Goss, dem damaligen Justizminister John Ashcroft oder dem Weißen Haus gehalten hat.

Ein wichtiger Aspekt des Skandals von 2007 war neben der Vernichtung der Bänder die Tatsache, daß ihre Existenz einschließlich der Abschriften der Aussagen der gefolterten Personen, von denen einige eine führende Rolle bei der Vorbereitung der Flugzeuganschläge gespielt haben sollen, nicht nur dem Moussaoui-Prozeß, sondern auch den Mitgliedern der "unabhängigen" 9/11-Untersuchungskommission vorenthalten wurden, die 2004 ihren Abschlußbericht vorgelegt und den US-Sicherheitsapparat zwar wegen Funktionsuntüchtigkeit kritisiert, jedoch von jeder Verwicklung in die Angriffe auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington freigesprochen hatte.

Vor diesem Hintergrund hat sich am 11. Dezember 2007 Coleen Rowley, die im Sommer 2001 als FBI-Anwältin in Minneapolis an den erfolglosen Ermittlungen gegen Moussaoui beteiligt gewesen ist, mit einem bemerkenswerten Leserbrief in der New York Times zu Wort gemeldet. In dem Schreiben warf Rowley der "Bush-Bande" offen vor, durch die Vernichtung von Beweismaterial, das für die Aufklärung des 11. September höchst relevant wäre, "die Wahrheit zu unterdrücken". Angesichts der Diskussion um Bushs Memoiren und der Entscheidung, daß die Vernichtung der CIA-Folteraufnahmen kein strafrechtliches Nachspiel haben wird, scheint den zuständigen Stellen in Washington die von Rowley angeprangerte Unterdrückung der Wahrheit inzwischen sehr weit gelungen zu sein.

11. November 2010