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USA/1270: Republikaner torpedieren Obamas Atomabrüstungspläne (SB)


Republikaner torpedieren Obamas Atomabrüstungspläne

Bolton und Yoo stärken der republikanischen Opposition den Rücken


Ist eine Woche "eine lange Zeit in der Politik", wie der frühere britische Premierminister Harold Wilson einst feststellte, dann sind eineinhalb Jahre eine halbe Ewigkeit - so jedenfalls dürfte die Zeit dieser Tage auf dem NATO-Gipfel in Lissabon Barack Obama vorkommen. Beim letzten NATO-Gipfel im März 2009 in Strasbourg galt der damals wenige Wochen im Amt befindliche, erste schwarze Präsident der USA als Hoffnungsträger und shooting star. Seine Verfügung, das Sonderinternierungslager in Guantánamo Bay auf Kuba zu schließen, seine Ankündigung, die US-Streitkräfte aus dem Irak abzuziehen und sein erklärtes Streben nach einem Neuanfang in den Beziehungen der USA und der NATO zu Rußland wurden nach den düsteren Jahren des amerikanischen Unilateralismus à la George W. Bush und Dick Cheney von Milliarden von Menschen positiv aufgenommen. Als sich der US-Demokrat anläßlich des Antrittsbesuchs in Europa und des NATO-Gipfels in Strasbourg auch noch zum Ziel einer Welt ohne Atomwaffen bekannte, keimte die Hoffnung auf, Amerika kehre dem Militarismus den Rücken und sei bereit mit den anderen Nationen eine friedlichere Welt aufzubauen.

18 Monate später sieht es mit der Verwirklichung von Obamas Vision trübe aus. Vom versprochenen "Wandel, an den man glauben kann", ist nicht viel übriggeblieben. Lediglich die "Kampftruppen" der USA wurden aus dem Irak abgezogen; 50.000 Soldaten sind geblieben, um die Regierung Nuri Al Malikis gegen äußere und innere Feinden zu stützen, während das Pentagon hinter den Kulissen mit Bagdad über eine dauerhafte US-Militärpräsenz verhandelt. In Afghanistan hat sich Obama vom Verteidigungsminister Robert Gates, den er von Bush übernommen hatte, Generalstabschef Admiral Michael Mullen und dem ISAF-Oberkommandeur General David Petraeus über den Tisch ziehen lassen. Das Triumvirat hat einerseits die von ihm erwünschte Aufstockung der US-Streitkräfte am Hindukusch auf mehr als 100.000 Mann durchgesetzt, während die im Gegenzug von Obama gesetzte Frist zum Auftakt des Truppenabzugs - Juli 2011 - längst zur Fata Morgana geworden ist. In den letzten Tagen vor dem NATO-Gipfel in der portugiesischen Hauptstadt macht sich die Erkenntnis breit, die westlichen Truppen würden auch lange nach der offiziell für 2014 geplanten Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan an die neue Armee und Polizei dort in Kämpfen verwickelt sein. Anders sind zum Beispiel die Äußerungen des britischen Generalstabschefs Sir David Richards und Mark Sedwills, des höchsten zivilen Vertreters der NATO in Kabul, nicht zu deuten.

Doch die peinlichste Niederlage droht Obama auf dem Feld der nuklearen Abrüstung - deretwegen er gerade vor einem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war. Die oppositionellen Republikaner im Kongreß, die mit haarsträubenden Argumenten bezüglich der möglichen Gefährdung der nationalen Sicherheit der USA bereits Obamas Plan zur Verlegung der Guantanamo-Häftlinge auf das amerikanische Festland vereitelt haben, stehen kurz davor, den vom Weißen Haus ausgehandelten, neuen strategischen Abrüstungsvertrag mit Rußland, den Obama und Dmitri Medwedew im vergangen April unterzeichnet haben und der eine neue Ära in den Beziehungen zwischen Moskau und Washington einleiten sollte, zum Scheitern zu bringen.

Um von den USA ratifiziert zu werden, müssen 67 der 100 Senatoren dem Vertrag zustimmen. Bei den Zwischenwahlen zum Kongreß Anfang November ist die Mehrheit der Demokraten im Senat von 59 auf 53 geschrumpft. Deswegen wollten Obama und seine Partei noch vor Beginn der neuen Legislaturperiode Ende Januar das Abkommen im Senat durchbringen, weil sie bis dahin nur acht Republikaner auf ihre Seite ziehen müßten und keine 14. In diesem Zusammenhang hatte das Weiße Haus John Kyl aus Arizona, der innerhalb der republikanischen Fraktion als Rüstungsexperte gilt und der deshalb genügend Parteifreunde zu einem Ja für den New-START-Vertrag hätte bewegen können, umworben. Doch das Bemühen scheint vergeblich gewesen zu sein. Am 16. November hat Kyl sich gegen eine Abstimmung über den Vertrag noch vor dem Ende der auslaufenden Legislaturperiode ausgesprochen und sich unter den republikanischen Nein-Sagern eingereiht.

Mit der Sorge um die Sicherheit des amerikanischen Volkes ist die Haltung der Republikaner in Bezug auf New START nicht zu erklären - eher mit Parteipolitik und einer grundlegenden Abneigung gegen alles, was das US-Militär auf irgendeine Art in seiner Handlungsfreiheit einschränken könnte. Nach dem neuen Vertrag würden die USA und Rußland die Anzahl ihrer strategischen Atomsprengköpfe von derzeit 2200 respektive 2780 auf jeweils 1500 verringern. Darüber hinaus würden die Amerikaner und Russen gegenseitig die Atomwaffenarsenale kontrollieren - was Vertrauen schafft, die Gefahr unüberlegten Handelns reduziert und leider seit dem Auslaufen des START-II-Vertrags im vergangenen Dezember nicht mehr der Fall ist.

Als Kyl erkennen ließ, daß er für eine Abstimmung über das Abkommen vor Ende der derzeitigen Legislaturperiode nicht mehr zu haben war, führte er mehrere Argumente ins Feld, von denen keines besonders stichhaltig ist. Er behauptete, das amerikanische Volk habe sich bei den Zwischenwahlen für einen anderen Kurs entschieden, es müsse den frischgewählten Senatoren erlaubt sein, sich über das Abkommen zu informieren und mit abzustimmen. Darüber hinaus reklamierte er, das Vertragswerk schränke die Entfaltung des US-Raketenabwehrprojekts ein. Obama unterstellte er zudem, nicht genug für die Modernisierung des vorhandenen US-Atomwaffenarsenals zu tun - ungeachtet der Tatsache, daß das Weiße Haus gerade hierfür mehr als 80 Milliarden Dollar über die nächsten zehn Jahren bereitgestellt hat.

Bezeichnenderweise waren die von Kyl verwendeten Argumente praktisch die gleichen, die John Bolton, der frühere US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, und John Yoo, der ehemalige Rechtsberater Bushs vor allem in Sachen Folter, am 10. November in einem aufsehenerregenden Gastkommentar "Why Rush to Cut Nukes?" ("Warum die Anzahl der Atomwaffen so schnell reduzieren?") in der New York Times veröffentlicht hatten. Der offensichtliche Erfolg der beiden rechten Hardliner Bolton und Yoo bei der Disziplinierung möglicher Abtrünniger in den republikanischen Reihen läßt erkennen, daß in der US-Außen- und Sicherheitspolitik die Neokonservativen immer noch die entscheidende Kraft sind.

18. November 2010