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USA/1282: Obama wegen Libyenkrieg unter Rechtfertigungsdruck (SB)


Obama wegen Libyenkrieg unter Rechtfertigungsdruck

Friedensnobelpreisträger um den "gerechten Krieg" bemüht


Am Abend des 28. März, ein Tag, nachdem in Brüssel die NATO formal beschlossen hatte, die Leitung der internationalen Militärintervention gegen die Streitkräfte Muammar Gaddhafis zu übernehmen, und ein Tag, bevor im Londoner Lancaster House die große Libyen-Konferenz stattfinden sollte, hat Barack Obama mit einer vor Offizieren in der National Defense University in Washington gehaltenen, im landesweiten Fernsehen ausgestrahlten Ansprache versucht seinen Landsleuten zu vermitteln, warum sich die US-Streitkräfte nach Afghanistan und dem Irak nun in einem dritten Krieg in einem muslimischen Land befinden. Die Fernsehansprache war aus mehreren Gründen erforderlich geworden. Der seit dem 19. März laufende Eingriff der amerikanischen Luftwaffe und Marine an der Seite Frankreichs und Großbritanniens in den libyschen Bürgerkrieg zugunsten der Gegner Gaddhafis ist in den USA umstritten. Laut Umfragen befürchtet die Mehrheit der Bevölkerung, daß die Militärintervention, die gerade begonnen hat, zu einem langwierigen Konflikt werden könnte. Darüberhinaus werfen der rechte Flügel der Republikaner und der linke Flügel der Demokraten Obama vor, durch den Befehl zum Militäreinsatz in Libyen den Kongreß übergangen, die eigene Kompetenz als Präsident überschritten und damit gegen die Verfassung verstoßen zu haben.

Der politisch wichtigste Grund für die Fernsehadresse war die Tatsache, daß in den USA der Kampf um die Präsidentenwahl im November 2012 inoffiziell begonnen hat. 2008 hatte sich Obama gegen seine demokratische Mitbewerberin Hillary Clinton und seinen republikanischen Hauptkonkurrenten John McCain nicht zuletzt wegen seiner frühen und entschiedenen Gegnerschaft zum Irakkrieg George W. Bushs durchsetzen können. Seine Glaubwürdigkeit auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik speiste sich daraus, daß er sich im Herbst 2002, noch als Senator im Kongreß des Bundesstaates Illinois, gegen den Anti-Saddam-Feldzug ausgesprochen hatte, während Clinton, damals Senatorin von New York in Washington, und McCain, damals wie heute Senator des Bundesstaats Arizona in US-Kongreß, beide für das Kriegsermächtigungsgesetz des Weißen Hauses gestimmt hatten. Doch während Bush immerhin den Einmarsch in den Irak mit einer Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA wie windig auch immer - Stichwort Massenvernichtungswaffen und eventuelle Verbindungen zwischen Bagdad und Al Kaida - begründete, sieht sich nun Obama dem Vorwurf ausgesetzt, er habe ohne Not und ohne vorher die Zustimmung des Kongresses eingeholt zu haben, das Land in ein Militärabenteuer gestürzt, dessen Ziele unklar und dessen Folgen unabsehbar sind.

2002 und mit ähnlichen Worten bei seiner Rede zur Annahme des Friedensnobelpreises im November 2009 in Oslo hat Obama erklärt, er sei kein absoluter Kriegsgegner, sondern lediglich gegen unsinnige und zwecklose Militäreinsätze. Als Kandidat für das Amt des Präsidenten der USA in spe bzw. als amtierendes Staatsoberhaupt und Oberkommandierender der amerikanischen Streitkräfte, der Verantwortung für den Schutz und die Sicherheit des Landes trägt, hätte er kaum etwas anders sagen können. Nichtsdestotrotz hat sich Obama stets für den schnellstmöglichen Abzug der US-Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan ausgesprochen. In beiden Fällen hat er jedoch als Präsident sich den Interessen des allmächtigten Militärestablishments fügen müssen, das aus geostrategischen Überlegungen eine langanhaltende Militärpräsenz der USA im Zweistromland und am Hindukusch - und sei es im Rahmen der gemeinsamen "Terrorbekämpfung" an der Seite der Sicherheitskräfte amerikafreundlicher Regierungen in Bagdad und Kabul - für zwingend erforderlich hält.

US-Medienberichten zufolge hatte sich Obama lange gegen eine militärische Einmischung der USA in Libyen gesträubt. Es sollen Außenministerin Clinton, UN-Botschafterin Susan Rice und Samantha Power, das für Menschenrechtsfragen zuständige Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats, gewesen sein, die ihn dazu brachten, sich auf die Seite des britischen Premierministers David Cameron und des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zu schlagen, die in der Libyen-Frage am weitesten vorgesprescht waren und schon über verschiedene Kanäle mit den Anti-Gaddhafi-Kräften in Kontakt standen. Doch die Plötzlichkeit, mit der sich Washington für die Verabschiedung einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Verhängung einer Flugverbotszone über Libyen am 17. März stark machte und zwei Tage später die US-Streitkräfte am Mittelmeer mit Bomben- und Raketenangriffen auf Stellungen der libyschen Armee, Luftwaffe und Marine loslegten, ist nicht allein darauf zurückzuführen, daß das Amazonen-Triumvirat, wie Justin Raimondo von Antiwar.com Clinton, Rice und Power so treffend bezeichnete, den zaudernden Commander-in-Chief auf den humanitären Interventionskurs gebracht hätte.

Entscheidend war, daß Obama noch Anfang März, als die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen aufgeflammt waren, erklärte hatte, daß Gaddhafi seine Legitimität verspielt habe und zurücktreten müsse. Mitte März standen die regulären Streitkräfte Libyens kurz davor, die Rebellenhochburg Benghazi im Osten des Landes, einzunehmen. In den Tagen davor forderten mit immer größerer Hysterie Amerikas Kriegsfalken wie John McCain und Senator Joseph Lieberman Obama dazu auf, endlich seinen Worten Taten folgen zu lassen. Auf die naheliegende Frage von Journalisten, warum die USA in Libyen, aber nicht im Jemen oder in Bahrain, wo es zu ähnlichen Konflikten gekommen waren, gegen die Regierung vorgehen sollten, erklärten Lieberman, weil der Präsident der USA gesagt habe, daß Gaddhafi weg müsse, und wenn dies nicht geschehe, die Glaubwürdigkeit Amerikas beschädigt sei.

Wenn nun Obama für sich reklamiert, wie er es in seiner gestrigen Rede getan hat, durch die Militärintervention ein Massaker ungeahnten Ausmaßes verhindert zu haben, so ist das eine Behauptung, die nicht zwingend stimmen muß. Berichten zufolge gab es bis zuletzt Bemühungen der Türkei um einen Waffenstillstand, der den Fall von Benghazi einschließlich irgendwelcher Racheakte der Gaddhafi-Getreuen gegen die aus ihrer Sicht verräterischen Rebellen verhindert und den Eingriff der Amerikaner, Briten und Franzosen überflüssig gemacht hätte. Was man aber sagen kann, ist, daß sich Obama durch die Intervention den Vorwurf erspart hat, die libyschen Rebellen im Stich gelassen zu haben. Jener Vorwurf, den die Republikaner sicherlich aufgegriffen hätten, hätte Obama eventuell die Wiederwahl kosten können (Schließlich hat es 1963 Präsident John F. Kennedy das Leben gekostet, zwei Jahre zuvor die fehlgeschlagene Schweinebucht-Invasion der CIA 1961 auf Kuba nicht unterstützt zu haben).

Die Einmischung in Libyen, die westliche Geheimdienste eingefädelt zu haben scheinen, ist für Obama ein gefährliches Manöver. Dies läßt sich anhand der Argumentation, die der US-Präsident in seiner gestrigen Rede bemühte, erkennen. Laut Obama mußten die USA in Libyen eingreifen, um ein großes Blutvergießen zu verhindern, um den europäischen Verbündeten beizustehen und dafür zu sorgen, daß die libyschen Verhältnisse nicht auf andere Staaten Nordafrikas und des Nahen Osten übergreifen und die "arabische Revolution" ersticken. Das sei keine Hauruck-Aktion, sondern eine wohlüberlegte und befristete Maßnahme, welche die Supermacht USA in Absprache mit verantwortungsvollen Kräften rund um das Mittelmeer ergriffen habe, so Obama.

Auch wenn die Erläuterungen des ehemaligen Juraprofessors eine leicht abgewandelte Version der klassischen Lehre vom gerechten Krieg darstellten, so hat Obama in seiner Rede zwei Worte ganz klar vermieden. Erstens durfte er die Intervention nicht Krieg nennen und hat deshalb ihr Ausmaß stets heruntergespielt, weil er tatsächlich am Kongreß vorbei eigenmächtig gehandelt und gegen die Verfassung verstoßen hatte. Darin sind sich die meisten Staatsrechtler einig. Zweitens hat er die Auseinandersetzung in Libyen nicht einen Bürgerkrieg genannt, denn eine Einmischung in denselben, wie es die NATO-Streitkräfte seit Tagen mit Bomben- und Raketenangriffen tun, ist streng genommen von der UN-Resolution 1973 nicht gedeckt. Dessen ungeachtet setzt die US-Luftwaffe inzwischen die niedrigfliegenden Flugzeugtypen -130 und A-10, die zur Unterstützung von Bodensstreitkräften konzipiert sind, gegen die libyschen Truppen ein. Das unerklärte Ziel der Militäroperation "Odyssey Dawn" bleibt nach wie vor "Regimewechsel" in Tripolis - der Glaubwürdigkeit der USA und des gedanklich bereits am Kampf um die Wiederwahl orientierten Obama willen, versteht sich.

29. März 2011