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USA/1289: Verfassungsstreit um Obamas Libyenkrieg verschärft sich (SB)


Verfassungsstreit um Obamas Libyenkrieg verschärft sich

Führender Republikaner Boehner wirft Präsident illegales Handeln vor


Mit dem Krieg in Libyen hat sich Präsident Barack Obama in eine selbstgestellte Falle manövriert, was ihm derzeit viel Kritik einbringt und eventuell die Wiederwahl im kommenden Jahr kosten könnte. Der ehemalige Juraprofessor von der Universität Harvard, der sich im Wahlkampf 2008 durch Kritik an George W. Bushs "dummem" Anti-Saddam-Hussein-Feldzug im Irak hervorgetan hatte und nur noch "intelligente" Kriege führen wollte, versucht ohne die formelle Rückendeckung des Kongresses, dafür in Zusammenarbeit mit den ehemaligen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien, seit dem 19. März mit militärischen Mitteln in Libyen einen "Regimewechsel" herbeizuführen. Wäre Muammar Gaddhafi kurz nach Beginn der Luftangriffe der NATO-Verbündeten zurückgetreten, wäre alles für Obama glatt gelaufen. Doch der libysche Revolutionsführer und seine Streitkräfte am Boden zeigen sich von der Waffenschau der westlichen Luftstreitmacht am Himmel bislang unbeeindruckt. Nun droht Obama an der Heimatfront USA Ungemach. Im Kongreß wirft ihm eine Koalition aus den eigenen Demokraten und den oppositionellen Republikanern vor, in Libyen seine Kompetenz als Oberbefehlsfehlshaber der US-Streitkräfte überschritten und damit gegen Gesetz und Verfassung verstoßen zu haben. Der Vorwurf wiegt schwer, weil ein jeder Präsident bei der Amtseinführung einen Eid auf die Verfassung ablegt und sie zu schützen und zu bewahren verspricht.

Obamas vordringlichstes Problem ist das War Powers Act, das der Kongreß 1973 in Reaktion auf Richard Nixons eigenmächtige Ausweitung des Vietnamkrieges auf die Länder Kambodscha und Laos mittels Luftbombardements verabschiedet hatte. Das Gesetzt erlaubt es dem Präsidenten zwar, im Ernstfall die US-Streitkräfte sofort in Marsch zu setzen, verlangt aber gleichzeitig, daß er innerhalb von 48 Stunden den Kongreß über die Gründe informiert und innerhalb von 60 Tagen - sofern die Feindseligkeiten anhalten - von Repräsentantenhaus und Senat die Zustimmung einholt. Schließlich schreibt die US-Verfassung vor, daß nicht die Exekutive, sondern einzig die Legislative in Form der gewählten Volksvertreter einen Krieg erklären kann. Im Notfall sieht das War Powers Act eine Verlängerung der Frist, innerhalb derer der Kongreß den Militäreinsatz gebilligt haben muß, um maximal 30 Tage vor. In einem Brief, den John Boehner am 14. Juni an das Weiße Haus richtete, hat der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses Obama darauf aufmerksam gemacht, daß die genannte Frist am 19. Juni ausläuft und daß der Krieg in Libyen dann gegen das Gesetz verstößt, sofern der Kongreß, was nicht zu erwarten ist, ihm bis dahin nicht zugestimmt hat.

Am 15. Juni haben zehn Kongreßabgeordnete, angeführt von dem Demokraten Dennis Kucinich und dem Republikaner Walter Jones, bei einem Bundesgericht in Washington Anzeige gegen Präsident Obama und Verteidigungsminister Robert Gates wegen der Führung eines illegalen Kriegs eingereicht. Die Aktion hat hauptsächlich symbolische Bedeutung, weil es erstens, bis das Gericht den Fall anhört, noch lange dauern kann und weil zweitens nicht zu erwarten ist, daß in einem Fall der nationalen Sicherheit ein Urteil zu Ungunsten von Weißem Haus und Pentagon gefällt wird. Bereits am 13. Juni hatte das Repräsentantenhaus mit 248 zu 163 Stimmen - was bedeutet, daß nicht nur die republikanische Mehrheit, sondern auch nicht wenige von Obamas demokratischen Parteikollegen dafür votierten - eine Resolution verabschiedet, die eine Streichung der Finanzierung für die US-Beteiligung am Libyenkrieg vorsieht. Am selben Tag hat der Präsidentensprecher Jay Carney die Resolution als "wenig hilfreich" bezeichnet.

In Reaktion auf die Resolution, den Brief Boehners und die Anzeige der Gruppe um Kucinich und Jones hat am Abend des 15. Juni das Weiße Haus ein 38seitiges Dossier dem Kongreß zukommen lassen. Darin hieß es, daß die Kosten des Libyeneinsatzes, die inzwischen bei mehr als 700 Millionen Dollar liegen und bis September die Marke von einer Milliarde überschritten haben dürften, aus dem laufenden Haushalt des Pentagons bestritten werden. Bei der Begründung, warum der Libyeneinsatz ohne ausdrückliche Zustimmung des Kongresses legal sein soll, haben sich Obamas Juristen in Widersprüche verwickelt. Einerseits verwiesen sie auf das Ausmaß, in dem das Weiße Haus die Volksvertreter laufend über die Militäroperation in Nordafrika informiert hat und damit dem War Powers Act gerecht geworden ist, nur um im gleichen Moment zu behaupten, daß der Präsident das gar nicht habe machen müssen, da es sich in Libyen um keinen Krieg im eigentlichen Sinne handele. Nach Ansicht der Obama-Regierung kann der US-Präsident offenbar ein fremdes Land aus der Luft mit bemannten Kampfjets und unbemannten Drohnen angreifen und braucht dafür keine Zustimmung des Kongresses, solange das Leben amerikanischer Militärangehöriger nicht unmittelbar gefährdet ist.

In einem Bericht der New York Times vom 16. Juni wurde Harold Koh, ein Rechtsberater des Außenministeriums Hillary Clintons und einer der Autoren des Dossiers, dahin gehend zitiert, daß der "begrenzte Charakter" der Libyen-Mission, bei der die US-Streitkräfte am Mittelmeer seit April nicht aktiv an Kampfhandlungen teilnehmen und hauptsächlich die anderen NATO-Partner mit Aufklärung, Logistik und Nachschub von Treibstoff und Munition unterstützen, "nicht die Art von 'Feindseligkeiten' darstellt," welche unter dem Eindruck des Vietnamkrieges den Autoren der War Powers Resolution vorschwebte.

Käme Obama mit dieser Auslegung des Gesetzes durch, würde dies einen bedeutenden Präzedenzfall darstellen, was die Macht des Präsidenten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte betrifft. Ob Obama damit durchkommt, ist aber eine ganz andere Frage. Derzeit liegt laut Umfragen die Zustimmung in der Bevölkerung zum Militärabenteuer in Libyen recht niedrig bei nur 26 Prozent. Die Behauptung, die USA und ihre Verbündeten wollten in Libyen nur Zivilisten vor den Schergen Gaddhafis schützen, scheint nicht besonders zu überzeugen.

In Teilen der US-Medien wird Obama unter Verweis auf den Libyenkrieg eine Aussage vorgehalten, die er am 20. Dezember 2008, das heißt nach der gewonnenen Präsidentenwahl im November desselben Jahres, aber vor der Amtseinführung im darauffolgenden Januar, in einem Interview mit dem Boston Globe getroffen hatte: "Nach der Verfassung hat der Präsident nicht die Macht, unilateral einen militärischen Angriff in einer Situation anzuordnen, bei der es sich nicht um die Abwehr einer unmittelbaren oder bevorstehenden Bedrohung der Nation handelt." In dem bereits erwähnten Brief, den Boehner ins Weiße Haus schickte, hatte der Sprecher des Repräsentantenhauses Obama folgendes zu bedenken gegeben: "Sie sind entweder zu dem Schluß gekommen, daß die War Powers Resolution auf die Mission in Libyen nicht zutrifft, oder Sie haben festgestellt, daß die War Powers Resolution im Widerspruch zur Verfassung steht. Die Abgeordneten des Repräsentantenhauses und das amerikanische Volk, das wir vertreten, haben es verdient zu erfahren, zu welchen Schluß Sie gekommen sind." Bisher hat Obama keine Antwort auf den von Boehner aufgezeigten Widerspruch in der Argumentation seiner Regierung in Bezug auf Libyen präsentiert.

17. Juni 2011