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USA/1325: Pentagon stockt Raketenabwehrsystem gegen Nordkorea auf (SB)


Pentagon stockt Raketenabwehrsystem gegen Nordkorea auf

Pjöngjang und Washington wetteifern um ihre Potemkinschen Dörfer



Nicht allzu überraschend hat der neue US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am 15. März eine Aufstockung des ballistischen Raketenabwehrsystems an der amerikanischen Westküste bei gleichzeitigem Verzicht auf geplante Elemente desselben Systems in Europa verkündet. Begründet wurde die nicht unbedeutende Umdisponierung mit der Bedrohung aus Nordkorea. Das bitterarme, von den USA diplomatisch und wirtschaftlich isolierte Land hatte Ende 2012 mit der Aussetzung eines ersten Satelliten im All eine gewisse Potenz in der Raketentechnologie demonstriert und am 12. Februar seinen dritten unterirdischen Atomtest durchgeführt. Als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf Drängen Washingtons daraufhin weitere Sanktionen gegen Pjöngjang verhängte, kündigte Nordkorea den Waffenstillstand von 1953 kurzerhand auf und drohte den USA mit einem präventiven Atomschlag.

Derzeit weiß niemand, wie lange das gegenseitige Säbelrasseln zwischen den USA und Nordkorea andauern wird. Bereits zweimal haben die Amerikaner eine Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel torpediert: das erste Mal, als sie nach der Unterzeichnung des Agrees Framework von 1994 die beiden versprochenen Leichtwasserreaktoren für Nordkorea nicht lieferten in der Hoffnung, daß das "Regime" in Pjöngjang kollabieren würde; das zweite Mal, als unmittelbar nach dem großen Durchbruch bei den Sechsergesprächen 2005 in Peking zwischen Nord- und Südkorea, China, Japan, Rußland und den USA das Finanzministerium in Washington aufgrund haltloser Vorwürfe bezüglich der Geldwäsche und der Fälschung von US-Dollarnoten die Banco Delta Asia im chinesischen Makau, über die Nordkorea den größten Teil seines Außenhandels abwickelte, mit Sanktionen belegte und damit praktisch vom internationalen Geldverkehr ausschloß. Diese Art der Brüskierung, gepaart mit der fortgesetzten Weigerung der USA, ein Friedensabkommen mit Nordkorea zu schließen und so die Beziehungen beider Länder endlich zu normalisieren, haben Pjöngjang keine andere Wahl gelassen, als unter Verweis auf die Erfordernisse der nationalen Sicherheit aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen und sich nuklear zu bewaffnen.

Nach Angaben Hagels wird die Anzahl der Abwehrraketen an der amerikanischen Pazifikküste, von denen 26 in unterirdischen Silos im Fort Greely in Alaska und vier auf dem Luftwaffenstützpunkt Vandenberg in Kalifornien stationiert wurden, bis 2017 um weitere 14 Stück erhöht. Dafür wird auf die vierte Phase des NATO-Raketenabwehrsystems in Europa, die Stationierung von rund einem Dutzend landgestützter Abfangraketen in Polen und Rumänien, verzichtet. In diesem Zusammenhang hat der ehemalige Vietnamkriegsveteran Hagel, der außenpolitisch als pragmatischer Realist gilt, auf die schwierige Haushaltslage der USA, die auch das Pentagon zu schmerzhaften Sparmaßnahmen zwingt, hingewiesen. Darüber hinaus erhofft sich Washington durch die jüngste Entscheidung eine Annäherung an Moskau. Gegen die vierte Phase des NATO-Raketenabwehrsystems lief die Russische Föderation, die darin eine akute Gefährdung der eigenen Zweitschlagskapazität sieht, bis zuletzt Sturm.

Indem Washington nun tatsächlich auf die Stationierung von Abfangraketen im baltischen Raum und in der Schwarzmeer-Region verzichtet, könnte dies zu einem Entgegenkommen des Kremls führen. Auf den neuerlichen Vorstoß der Regierung von US-Präsident Barack Obama, die jeweilige Zahl der einsatzbereiten Nuklearsprengköpfe von derzeit 1500 nach dem letzten strategischen Abkommen namens New START auf 500 zu reduzieren, hatte die russische Führung um Präsident Wladimir Putin bisher kühl reagiert. Wie Yuriy Rubtsov in einem am 18. Februar auf der Website der Strategic Culture Foundation unter der Überschrift "Russia's Strategic Nuclear Forces and Deterrence" erschienenen Beitrag berichtete, hielt die russische Generalität angesichts der bisherigen Raketenabwehrpläne der NATO 1500 Atomsprengköpfe in Europa für die Untergrenze dessen, was erforderlich sei, um die eigene Abschreckungfähigkeit zu gewährleisten. Jedenfalls könnte die Ankündigung des neuen Pentagonchefs in Moskau zu einer Neubewertung der Lage führen.

Die drastische Kriegsrhetorik, die in den letzten Wochen aus Pjöngjang zu vernehmen war, sorgt weltweit für eine gewisse Verwunderung, stecken die tatsächlichen Fähigkeiten der nordkoreanischen Streitkräfte, den Einsatz einer funktionierenden Interkontinentalrakete samt Atomsprengkopf betreffend, doch noch in Kinderschuhen. Nicht anders sieht die Lage bei den Amerikanern und ihrem Raketenabwehrsystem aus. In einer Meldung der Nachrichtenagentur Associated Press vom 16. März erklärte Tom Collina, Research Director bei der Arms Control Association, mit der Verlegungsentscheidung könne Washington für nichts in Moskau Punkte sammeln, da Phase IV des Raketenabwehrsystems in Europa "sowieso ins Stocken geraten" sei. Die Probleme, auf die Collina hier nicht näher eingeht, sind technischer Natur. Lediglich in hübschen Computersimulationen funktioniert die amerikanische Wunderwaffe.

Nicht umsonst hieß es in der Erklärung Hagels, daß mit den freigewordenen Ressourcen, die vom "schwächelnden Programm" in Europa in dasjenige an der Pazifikküste umgeleitet werden, nicht nur die Stationierung der vierzehn zusätzlichen Ground Based Interceptors, sondern auch die Verbesserung von deren "kill vehicle technology" finanziert werden soll. Vom ihrem ursprünglichen Ziel, eine gegnerische Interkontinentalrakete bzw. dessen Sprengkopf mit einem von der Abfangrakete im All ausgesetzten kill vehicle, das unter eigenem Antrieb ins Ziel rast, zu zerstören, sind die Erbauer von Amerikas "Krieg der Sterne"-Programm trotz vierzig Jahren Forschung und Ausgaben in astronomischer Höhe noch sehr weit entfernt.

18. März 2013