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USA/1329: USA nach Boston-Anschlag wieder im Anti-Terror-Fieber (SB)


USA nach Boston-Anschlag wieder im Anti-Terror-Fieber

Amerika zwischen Sicherheitswahn und überzogenem Patriotismus



Sechs Tage nach dem Doppelbombenanschlag vom 15. April am Rande des Bostoner Marathons haben die Behörden in den USA mit der Vernehmung des mutmaßlich Beteiligten, Dzhokhar Tsarnaev, begonnen. Dem 19jährigen Amerikaner tschetschenischer Abstammung, der schwerverletzt in einem Bostoner Krankenhaus liegt, wird vorgeworfen, zusammen mit seinem Bruder, dem 26jährigen Tamerlan Tsarnaev, die beiden Rucksackbomben neben der Ziellinie des Marathons in der Bostoner Innenstadt gelegt zu haben, die drei Menschen getötet und mehr als 180 verletzt haben. Nach Angaben des FBI hat Tsarnaev die Tatbeteiligung zugegeben und behauptet, er und sein Bruder hätten allein und aus religiösen Motiven gehandelt; sie stünden mit keiner "Terrororganisation" wie zum Beispiel Al Kaida in Verbindung.

Gegenüber den Angaben der amerikanischen Behörden gibt es im vorliegenden Fall allen Grund zur Skepsis. Als das FBI am 18. April mit großem Tamtam die Bilder der beiden mutmaßlichen Bombenleger erstmals präsentierte und die Öffentlichkeit dringend um Hilfe bei deren Identifizierung bat, tat die Behörden so, als wüßten sie nicht, um wen es sich hierbei handelte. Erst als die Mutter der beiden Tsarnaevs im russischen Fernsehen erklärte, der ältere Sohn Tamerlan stehe mindestens seit drei, wenn nicht sogar fünf Jahren unter der Beobachtung des FBI, sahen sich die Behörden in den USA gezwungen, dies zuzugeben. Eine Erklärung, warum sie sich bei der Bitte um Fahndungshilfe ahnungslos stellten und die Öffentlichkeit belogen, hat es bis heute nicht gegeben.

Auch die Art und Weise, wie Dzhokhar Tsarnaev am 19. April in Watertown, einem westlichen Vorort des Großraums Boston, festgenommen und Tamerlan angeblich getötet wurde, gibt Rätsel auf. Bis heute ist vollkommen unklar, ob die Tsarnaevs überhaupt den 26jährigen Polizisten Sean Collier in der Nähe des Massachusetts Institute of Technology (MIT) erschossen, eine Filiale der Einzelhandelskette der Firma 7-11 überfallen, einen schwarzen Geländewagen Marke Mercedes entführt und den Fahrer nach einer halben Stunde laufengelassen haben - nicht ohne ihm zuvor die Täterschaft am Marathon-Anschlag zu offenbaren. Tamerlan Tsarnaev besaß selbst einen schwarzen Mercedes-Allradwagen, den er in eine Werkstatt in Cambridge, Massachusetts, zur Reparatur gegeben und am Tag nach dem Anschlag wieder abgeholt haben soll. Laut Pepe Escobar, der viele dieser Widersprüche in einem Artikel verarbeitete, der am 23. April bei der Asia Times Online unter der Überschrift "Orwell does America" erschienen ist, behauptet die Polizei von Watertown, die Gebrüder Tsarnaev seien dort in der Nacht vom 18. auf den 19. April in "zwei unterschiedlichen Wagen" gesehen worden, während FBI und die Staatsanwaltschaft von Boston weiterhin die These von der Ankunft der beiden in dem "gekaperten" Mercedes vertreten.

Offiziell heißt es, Tamerlan Tsarnaev sei bei einer Schießerei mit der Polizei in Watertown schwer verletzt worden und kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus bzw. auf dem Weg dahin gestorben. Er soll mehrere Schüsse abbekommen haben, sei von einer Bombe, die frühzeitig hochging, mitgerissen und zu guter Letzt vom eigenen Bruder überfahren worden, als diesem mit dem Wagen der Ausbruch aus der Falle gelang. Demgegenüber sind im Internet Bilder zu sehen, die der Nachrichtensender CNN in den frühen Morgenstunden (Ortszeit) des 19. April aus Watertown live ausstrahlte und in denen ein nackter, schwarzhaariger junger Mann in Handschellen zu einem Polizeiauto geführt wird und dort einsteigt. Im Telefoninterview mit Dan Dicks vom kanadischen Internetportal Press for Truth hat am 22. April Maret Tsarnaeva, die in Toronto lebende Tante der beiden Verdächtigen, den in den CNN-Aufnahmen zu sehenden, scheinbar unverletzten Festgenommenen eindeutig als ihren Neffen Tamerlan identifiziert.

In einem Beitrag, der am 21. April in den Abendnachrichten des britischen Senders Channel 4 ausgestrahlt wurde, hat Reporter Nick Sturdee aus Dagestan von einem interessanten Gespräch berichtet, das er kurz zuvor mit Anzor Tsarnaev, dem Vater der beiden mutmaßlichen Bombenleger von Boston, geführt hat. Nach Angaben des Familienpatriarchs hat Tamerlan zwei oder drei Tage nach dem Anschlag mit seiner Mutter, die sich ebenfalls in Dagestan aufhält, telefoniert und ihr berichtet, das FBI hätte ihn angerufen und bezichtigt, in die gräßliche Tat verwickelt zu sein. Nach Angaben des Vaters hat Tamerlan auf den Vorwurf seiner FBI-Kontaktperson mit dem lapidaren, vieldeutigen Spruch "Das ist euer Problem" geantwortet.

Aus alledem wird man nicht so richtig schlau. Es besteht jedenfalls nach wie vor Grund zur Annahme, daß beim Bostoner Marathon eine Anti-Terror-Übung des FBI und/oder irgendwelcher anderer Bundesbehörden unter eventueller Beteiligung der Tsarnaev-Brüder aus dem Ruder gelaufen ist. Fest steht, daß verursacht durch die jüngsten Ereignisse von Boston zusammen mit der Bekanntgabe des Eingangs eines rizinhaltigen Briefes an Präsident Barack Obama und der Festnahme mehrerer Männer in Kanada, die angeblich planten, den Zug, der zwischen Toronto und New York verkehrt, zum Entgleisen zu bringen, in den USA eine Anti-Terror-Hysterie vorherrscht, die an die dunkelsten Tage nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 erinnert.

Damals hat die Regierung George W. Bush "den Tag, der die Welt veränderte", als Vorwand für eine von ihr längst avisierte Invasion des Iraks genutzt. Derzeit steht die Administration von Barack Obama an der Schwelle einer militärischen Intervention in den Bürgerkrieg in Syrien, wo sie zusammen mit der Türkei, Katar und Saudi-Arabien sunnitisch-salafistische Dschihadisten im Kampf gegen die regulären Streitkräfte Bashar Al Assads unterstützt (Für diese Eventualität hat das Pentagon bereits vor wenigen Tagen eine erste Vorhut von 200 Soldaten nach Jordanien geschickt.). In diesem Sommer droht zudem eine kriegerische Auseinandersetzung im "Atomstreit" der USA und Israels mit dem Iran. Folglich kommt die jüngste Erweckung des amerikanischen Hurrah-Patriotismus, wie man ihn auf den Straßen Bostons unmittelbar nach Bekanntwerden der Festnahme Dzhokhar Tsarnaevs und der gleichzeitigen Aufhebung des Notstands in der Ostküstenmetropole erleben konnte, als fahnenschwenkende Bürger die Angehörigen von Polizei und Armee umjubelten, Washington mehr als gelegen.

23. April 2013