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USA/1333: Edward Snowden stellt Barack Obamas Polizeistaat bloß (SB)


Edward Snowden stellt Barack Obamas Polizeistaat bloß

Ein Whistleblower bringt den US-Sicherheitsapparat in Erklärungsnot



Die Ankündigung des ehemaligen Juraprofessors der renommierten Universität Harvard Barack Obama im Wahlkampfjahr 2008, als Präsident der Vereinigten Staaten dafür zu sorgen, daß in Washington wieder die Gesetze eingehalten werden und die Verfassung ihren alten Rang erhält, mutet fünf Jahre später wie eine Fata Morgana an, so eklatant ist der Unterschied zwischen dem damaligen Versprechen und der heutigen Wirklichkeit. Damals ritt der Präsidentschaftskandidat der Demokraten auf der Welle der Ablehnung, die bei der großen Mehrheit der US-Bürger gegenüber Amtsinhaber George W. Bush herrschte. Der reaktionäre Republikaner aus Texas hatte das Land nicht nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ein illegales und kostspieliges Militärabenteuer im Irak gestürzt, sondern unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung auch verdächtige Muslime verschleppen und foltern lassen sowie durch eine ebenfalls illegale, 2001 erlassene, jedoch erst 2005 bekanntgewordene Anordnung an die National Security Agency (NSA) zur Überwachung des kompletten elektronischen Nachrichtenverkehrs in den USA die in der Verfassung verbriefte Schutzgarantie eines jeden amerikanischen Bürgers vor staatlicher Schnüffelei mit Füßen getreten.

Daß Obamas Wahlkampfversprechen hohl waren, wurde für aufmerksame Beobachter noch vor dem Urnengang im November 2008 offenkundig, als der schwarze Senator fünf Monate vorher entgegen früheren Zusicherungen mit seiner Stimme im Kongreß den hochumstrittenen Foreign Intelligence Surveilance Amendment Act zur Mehrheit verhalf. Bush jun. hatte mit seiner Anweisung an die NSA, den großen Lauschangriff loszutreten, gegen das 1978 vor dem Hintergrund des Watergate-Skandals erlassene FISA-Gesetz, das die telefonische Überwachung von Aktivposten ausländischer Regierungen nur mit Genehmigung eines dreiköpfigen Sondergerichts vorsah, eklatant verstoßen. Die FISA-Novellierung rettete ihn vor der Amtsenthebung bzw. Anklage und die am illegalen NSA-Programm beteiligten Telekomunternehmen vor Schadensersatzklagen der aufgebrachten Kundschaft in Milliardenhöhe.

Viereinhalb Jahre nach dem Einzug Obamas ins Weiße Haus ist vom versprochenen "Wandel" oder Aufbruch in eine liberale, progressive oder menschenfreundliche Ära nichts zu spüren. Obamas Ankündigung, das Sonderinternierungslager für mutmaßliche "Terroristen" auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay zu schließen, hat sich als Augenwischerei erwiesen. Statt dessen läßt er Drohnen auf Stammesgebiete im Jemen und in Pakistan herunterregnen und dabei mindestens soviele unschuldige Zivilisten wie mutmaßliche Anhänger der Taliban oder Al Kaida töten. Obama nimmt als Präsident in Anspruch, auch "terrorverdächtige" US-Bürger umbringen zu lassen - statt, wie von der Verfassung vorgesehen, sie festnehmen und die ihnen vorgeworfenen Missetaten von einem öffentlichen Gericht überprüfen zu lassen -, wie er es per Drohne im Fall des islamischen Radikalpredigers Anwar Al Awlaki 2011 im Jemen getan hat. Bis heute hat die Obama-Regierung nicht erklärt, warum das Leben von Al Awlakis 16jährigem Sohn Abdulrahman, der sich ebenfalls im Jemen aufhielt und unter keinem "Terrorverdacht" stand, wenige Wochen nach der extralegalen Hinrichtung seines Vaters von einer Hellfire-Rakete der CIA ausgelöscht werden mußte.

Obama ist auch derjenige, der 2011 eigenmächtig die US-Luftwaffe zur militärischen Unterstützung eines Aufstands gegen den libyschen Machthaber Muammar Gaddhafi einsetzte und meinte, er bräuchte hierfür nicht die Zustimmung des Kongresses, weil es sich um keinen Krieg handelte und für die amerikanischen Piloten keine Gefahr bestand, abgeschossen zu werden. Bürgerrechtler schlagen in den USA Alarm, weil das Justizministerium in Washington unter Obama doppelt soviele Whistleblower - Leute, die Korruption oder Mißstände durch die Preisgabe vertraulicher Informationen anprangern - unter dem Vorwand des Verstoßes gegen das Spionagegesetz aus dem Jahr 1917 angeklagt hat als alle seiner Vorgänger zusammen. Bradley Manning, der seit drei Jahren wegen des Zuspielens von größeren Mengen diplomatischer Depeschen des State Department an Julian Assanges Wikileaks in Isolationshaft sitzt und dem eine lebenslange Freiheitsstrafe droht, ist nur der bekannteste von sechs solchen Fällen.

Doch das liberale Amerika geht nicht kampflos unter. Am 5. Juni hat der US-Verfassungsrechtler Glenn Greenwald aus New York im Londoner Guardian bislang wenig bekannte Details des von Obama übernommenen großen Lauschangriffs der NSA publik gemacht. Im Mittelpunkt der Enthüllung stand eine aktuelle Anordung des FISA-Gerichts an das Telekom-Unternehmen Verizon, über einen Zeitraum von drei Monaten die Verbindungsdaten von Millionen seiner Kunden dem US-Nachrichtendienst zur Verfügung zu stellen. Solche Anordnungen, die regelmäßig erneuert werden, erhalten offenbar alle US-Telefonfirmen seit Jahren. Am 6. Juni hat die Washington Post die Existenz eines NSA-Programms namens PRISM bekannt gemacht, das sämtliche Daten der größten sozialen Netzwerke und Internet-Anbieter der USA - Apple, AOL, Facebook, Google, Microsoft, PalTalk, Skype, Yahoo und YouTube -, die auch Abermillionen Kunden im Ausland haben, abspeichert und mittels komplexer Algorhythmen nach Verdächtigem auswertet.

Die spektakuläre Doppelenthüllung schlug in Washington wie die sprichwörtliche Bombe ein. Die wichtigsten Vertreter des Sicherheitsapparats schalteten sofort auf Schadensbegrenzung. Obama behauptete, es handele sich um eine "bescheidene Beschneidung" des Rechts der US-Bürger auf Privatsphäre. Dianne Feinstein, demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, erklärte, die Legislative sei seit 2006 über die Datensammelaktivitäten der NSA vollkommen im Bilde; sie dienten "dem Schutz Amerikas" vor dem Bösen, so die schwerreiche Senatorin aus Kalifornien mit Verbindungen zur Rüstungsindustrie. Unterstützung erhielt Feinstein mit ihrem Standpunkt von republikanischen Kollegen wie Lindsey Graham aus South Carolina, der wie sie zum eingeweihten Establishment gehört. Ganz anders sahen es Rand Paul, der zu den wenigen Militarismusgegnern unter den Republikanern im Kongreß gehört. Der junge Senator aus Kentucky hat bereits eine Sammelklage gegen den NSA-Lauschangriff angekündigt. Die beiden demokratischen Senatoren Ron Wyden aus Oregon und Mark Udall aus Colorado, die, ohne nähere Angaben machen zu dürfen, seit längerem vor der überbordenden Sammelwut der NSA und vor geheimen Auslegungen des USA-PATRIOT-Act aus dem Jahr 2001 warnten, sahen sich in ihrer Sorge um die Demokratie bestätigt.

Am 9. Juni hat sich die Quelle der NSA-Unterlagen, Edward Snowden, in einem auf der Website des Guardians als Videoeinspielung und Textabschrift veröffentlichten Interview offenbart und die Motive seines Handelns erläutert. Der 29jährige Snowden, der sich derzeit in der chinesischen Sonderzone Hongkong versteckt hält, nahm 2003 als Mitglied der US-Spezialstreitkräfte am Einmarsch in den Irak teil und ist nach eigenen Angaben vom Vorgehen des amerikanischen Militärs dort angeekelt gewesen. 2004 heuerte er als IT-Spezialist bei der NSA an, ging drei Jahre später zur CIA, für die er unter anderem, als Diplomat getarnt, Wirtschaftspionage in der Schweiz betrieb. Zuletzt lebte Snowden mit seiner Freundin auf Hawaii, wo er als Datenanalytiker für Booz Allen Hamilton, eine der größten privaten US-Sicherheitsfirmen, ein sechsstelliges Jahresgehalt bezog. Zur Begründung der Entscheidung, strenggeheime NSA-Dokumente Glenn Greenwald und der Washington Post zur Verfügung zu stellen und somit seine Karriere zu ruinieren sowie sein Leben aufs Spiel zu setzen, erklärte Snowden: "Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich tue oder sage, gespeichert wird. Das ist etwas, daß ich nicht zu unterstützen oder zu akzeptieren bereit bin."

Obamas Geheimdienstchef James Clapper, der wie sein Vorgänger Mike McConnell als Director of National Intelligence (DNI) und wie der frühere CIA-Direktor James Woolsey einst einen Vorstandsposten bei Booz Allen Hamilton innehatte, hat schwere strafrechtliche Konsequenzen für Snowden angekündigt und das FBI bereits um Amtshilfe gebeten. Die von Snowden ausgelöste Debatte um die Nutzung der Telefonverbindungsdaten - "Metadata" - durch die NSA hat Clapper selbst in Mißkredit gebracht. Auf die direkte Frage Senator Wydens bei einer Anhörung am 12. März dieses Jahres im Kongreß, ob die NSA "Datensätze über Millionen oder Hunderte von Millionen Amerikanern" sammelte, hatte Clapper mit einem kategorischen und, wie wir inzwischen wissen, nicht wahrheitsgetreuen "No, sir", geantwortet. Senatorin Feinstein, die ihre Kontrollaufgabe im Durchwinken von allem, was sich die Geheimdienste und die mit ihnen verbandelte Sicherheitsindustrie wünschen, erfüllt sieht, hat Snowden inzwischen öffentlich zum "Verräter" gestempelt.

Glenn Greenwald, der seit Jahren gegen den Abbau bürgerlicher Rechte in den USA publizistisch, zuerst bei Salon, später beim Guardian, zu Felde zieht, hatte für den Vorwurf von Obama, Feinstein, Graham, Clapper und Konsorten, er und Snowden hätten durch die NSA-Enthüllungen die "nationale Sicherheit" der USA aufs Spiel gesetzt, nur Hohn übrig. Bei einem Auftritt am 9. Juni in der ABC-Fernsehsendung This Week warf der streitbare Anwalt seinen Gegnern mit folgenden Worten den Fehdehandschuh vor die Füße:

Das einzige, was wir gefährdet haben, ist der Ruf von Leuten an der Macht, die ohne jede Verantwortlichkeit diesen gigantischen Sicherheitsapparat errichten und die vor dem amerikanischen Volk verheimlichen, was sie da tun. Es besteht keine Gefährdung der nationalen Sicherheit, die Bevölkerung wissen zu lassen, daß sie die Telefonverbindungsdaten sammeln, das Internet belauschen und massive Cyberangriffe gegen ausländische - und eventuell inländische - Ziele planen. Das sind Dinge, die zu erfahren das amerikanische Volk ein Recht hat. Das einzige, was hier beschädigt wird, ist die Glaubwürdigkeit von politischen Vertretern und die Art und Weise, wie sie im Dunkeln Macht ausüben.

Fußnote:

Zum Thema des Ausuferns und der Privatisierung vom US-Geheimdienstapparat seit 9/11 siehe die Schattenblick-Rezensionsen folgender Sachbücher:

1. James Bamford, "The Shadow Factory - The Ultra-Secret NSA from 9/11 to Eavesdropping in America"
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar473.html

2. Tim Shorrock, "Spies for Hire - The Secret World of Intelligence Outsourcing"
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar496.html

11. Juni 2013