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USA/1363: Paris kommmt Washington im Atomstreit in die Quere (SB)


Paris kommmt Washington im Atomstreit in die Quere

Frankreich tut sich als Verbündeter Israels hervor


Der rücksichtslose, letztlich erfolgreiche Kampf Benjamin Netanjahus, sich bei den Knesset-Wahlen am 17. März das Mandat für eine vierte Amtszeit als Premierminister zu holen, hat die Beziehungen Israels zu den USA nachhaltig gestört. In den letzten Tagen vor der Abstimmung in den Umfragen zurückgefallen, hat der Likud-Chef durch rassistische Äußerungen, wonach die arabischen Bürger "in Scharen in die Wahllokale" strömten, und durch eine kategorische Absage an die Gründung eines palästinensischen Staates und die Teilung Jerusalems seine konservative Wählerschaft mobilisiert und die linksliberale Opposition von der Zionistischen Union um Itzak Herzog und Tzipi Livni besiegt. In den USA erwägt die Regierung von Präsident Barack Obama nun, einen weniger wohlgesonnenen Umgang mit Tel Aviv zu pflegen. In den US-Medien ist unter anderem davon die Rede, Washington könnte bei den Vereinten Nationen auf sein Veto gegen die Gründung eines palästinensischen Staates verzichten.

Auch im Streit um das iranische Atomprogramm scheint das Washington gegenüber respektlose, undankbare Verhalten Netanjahus im Wahlkampf den Bewegungsraum der Obama-Administration erweitert zu haben. Von reaktionären Republikanerkreisen einmal abgesehen, ist Netanjahus Rede am 3. März vor beiden Häusern des Kongresses, in der er den Kurs von Obama und dessen Außenminister John Kerry in den Verhandlungen der P5+1-Gruppe - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, die USA plus Deutschland - mit dem Iran quasi als kriminell gebrandmarkt hat, in der US-Öffentlichkeit sehr schlecht angekommen. Die meisten Amerikaner, deren Meinung über Israel infolge des letztjährigen Gazakrieges ohnehin erheblich gesunken ist, empfanden den Auftritt des israelischen Premierministers als eine anmaßende Einmischung in die US-Außenpolitik. Die Absage Netanjahus an die Zweistaatenlösung, in die Washington in den letzten Jahren erhebliches politisches Kapital investiert hat, dürfte die amerikanisch-israelischen Beziehungen noch weiter beeinträchtigt haben.

Vor diesem Hintergrund sind die Signale aus der letzten Runde der Verhandlungen zwischen den Vertretern der P5+1-Gruppe und des Irans in den vergangenen Tagen im schweizerischen Lausanne interessant. Die Hauptkontrahenten USA und Iran scheinen sich in ihren Positionen stark genähert zu haben. Die Außenminister beider Staaten, John Kerry und Mohammad Javad Zarif, geben sich vorsichtig optimistisch, daß die Eckdaten eines tragbaren Abkommens wie geplant bis Ende März stehen könnten. Der eigentliche Vertrag sollte dann bis zum 31. Juni unterschriftsreif vorliegen. In den strittigsten Fragen - die Begrenzung der Anzahl der in Betrieb befindlichen iranischen Uranzentrifugen auf rund 6.000 Stück, damit sich Teheran nicht kurzfristig genug Spaltmaterial für eine Atombombe beschaffen kann, und eine Befristung der Gültigkeitsdauer des Abkommens auf zehn Jahre - sollen sich die beiden Verhandlungsdelegationen aus Washington und Teheran weitgehend einig sein.

Kaum hatten Kerry und Zarif am 20. März "Fortschritte" bei den zähen Verhandlungen verkündet, da legte sich Frankreich quer. Am selben Tag warnte per Twittermeldung Gérard Araud, der französische Botschafter in Washington, davor, sich zu sehr auf den 31. März als Zieldatum festzulegen. Dies sei eine "schlechte Taktik", welche die P5+1-Gruppe unnötig unter Druck setze, so Araud. Im Interview mit dem Radiosender Europa 1 verlangte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius am 21. März ein "robustes" Abkommen, um die Welt "vor der Eventualität einer iranischen Atombombe", die ihrerseits eine "extreme gefährliche nukleare Proliferation" im Nahen Osten und darüber hinaus in Gang setzen könnte, zu bewahren. Wegen der versteckten Kritik aus Paris sah sich Obama am selben Tag veranlaßt, den französischen Amtskollegen Francois Hollande anzurufen. Über den genauen Inhalt des Gesprächs ist nichts bekannt.

In der Ausgabe der New York Times vom 22. März hieß es jedenfalls, Paris' Distanzierung gegenüber der Position Washingtons im Atomstreit beinhalte "mehr Schau als Substanz"; demnach gehe es den Franzosen darum, "den Eindruck zu zerstreuen, daß die Vereinigten Staaten der Hauptverhandler mit dem Iran sind, und den sunnitischen arabischen Staaten, allesamt potentielle Rüstungskäufer, zu zeigen, daß sie einen festen Standpunkt vertreten". Mit seiner harten Position bei den Atomverhandlungen - seit längerem sperrt sich Paris gegen die Zusage einer angeblich zu raschen Aufhebung der UN-Wirtschaftssanktionen gegen den Iran - versucht Frankreich, sich auch zum Sachwalter israelischer Interessen bei der P5+1-Gruppe aufzuschwingen.

Da wundert es nicht, daß am 22. März eine ranghohe Regierungsdelegation aus Israel, angeführt von Yuval Steinitz, dem Minister für internationale Beziehungen, und Yossi Cohen, dem Nationalen Sicherheitsberater, in Paris gelandet ist. Laut der israelischen Tageszeitung Ha'aretz ging es den Vertretern Tel Avivs bei den kurzfristig anberaumten bilateralen Beratungen an der Seine, an denen auf französischer Seite Fabius und der Abteilungsleiter für iranische Angelegenheiten im Außenministerium, Nicolas de Riviere, teilnehmen sollten, darum, die Franzosen in ihrer skeptischen Haltung gegenüber den Absichten Teherans zu stärken. Nach Angaben von Ha'aretz handelte es sich beim Besuch von Steinitz, Cohen u.a. in der Quai D'Orsay um den "allerletzten Versuch" der Netanjahu-Regierung, die Atomverhandlungen "zu beeinflussen" - eigentlich müßte es "zu sabotieren" heißen. Die nächsten Tage werden zeigen, ob es Netanjahu doch gelingt, die Annäherung zwischen Washington und Teheran zu torpedieren und Obama erneut zu blamieren.

23. März 2015


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