Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


USA/1385: Medien und Politik zerreden saudische Rolle in 9/11 (SB)


Medien und Politik zerreden saudische Rolle in 9/11

Reaktion auf Veröffentlichung der "28 Seiten" fällt verhalten aus


Am 15. Juli haben die Geheimdienstausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat nach 14jähriger Verspätung die zurückgehaltenen "28 Seiten" ihres gemeinsamen Untersuchungsberichts zu den Hintergründen der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 endlich veröffentlicht. Erstaunlicherweise haben die darin enthaltenden, wahrlich erdrückenden Hinweise auf eine Verwicklung Saudi-Arabiens in den blutigsten und folgenschwersten "Terroranschlag" der Geschichte, der 3000 Todesopfer forderte, keine nennenswerte Resonanz in den westlichen Medien, insbesondere derjenigen der USA, ausgelöst. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: An der Spitze des amerikanischen Staates bestand damals und besteht bis heute nicht das geringste Interesse an einer öffentlichen Identifizierung der tatsächlichen Verantwortlichen für 9/11.

Die berüchtigten "28 Seiten" liefern schwarz auf weiß die Bestätigung für viele brisante Informationen, die über die Jahre häppchenweise bekanntgeworden sind und dadurch leider ihre Wirkung im Sinne einer öffentlichen Empörung verfehlt haben. [1] Im Mittelpunkt der Erörterung stehen zahlreiche Erkenntnisse des FBI und der CIA über eine Zelle saudischer Geheimdienstleute in Kalifornien - dazu gehörten Osama Bassnan und Omar Al Bayoumi -, die 2000 und 2001 zwei der 19 mutmaßlichen Flugzeugattentäter, die schon damals von der CIA als Al-Kaida-"Terroristen" eingestuften Nawaz Al Hasmi und Chalid Al Midhar, während ihres Aufenthalts in den USA unterstützte (unter anderem indem man für sie Wohnungen, Führerscheine und Flugunterricht organisierte). Zu diesem Zweck wurden Gelder, die Bayoumi und Bassman vom damaligen Botschafter Riads in Washington, Prinz Bandar bin Sultan, und seiner Frau Prinzessin Haifa von deren gemeinsamen Konto bei der Riggs Bank in Washington überwiesen bekamen, verwendet.

Prinz Bandar hatte seit 1983 den Posten des saudischen Botschafters in den USA inne. Er stand der Bush-Familie so nah, daß die Familienmatriarchin und einstige First Lady Barbara Bush ihm irgendwann den Spitznamen "Bandar Bush" verlieh. Bandar ist auch derjenige gewesen, der unmittelbar nach dem 11. September 2001, als in den USA der Flugverkehr aus Sicherheitsgründen stark eingeschränkt war, nach persönlicher Absprache mit Präsident George W. Bush den umstrittenen Ausflug von mehr als 100 Untertanen des damaligen saudischen Königs Fahd - darunter sogar eines Bruders von Osama Bin Laden - in die Heimat bewerkstelligte und sie damit allesamt einer eingehenden Befragung durch das FBI entzog. [2] Es war nicht das erste oder letzte Mal, daß von höheren Stellen aus Ermittlungen des FBI gegen verdächtige Saudis in den USA unter Hinweis auf die besonderen Beziehungen zwischen Riad und Washington vereitelt wurden.

Die Entscheidung, die 28 Saudi-Arabien betreffenden Seiten des gemeinsamen 9/11-Untersuchungsberichts von Repräsentantenhaus und Senat bei dessen Veröffentlichung im Dezember 2002 auszuklammern, lag damals auf der Hand, hatte doch die Bush-Regierung zu diesem Zeitpunkt längst entschieden, das "Regime" Saddam Husseins im Irak wegen dessen angeblicher Verbindungen zu Bin Ladens Al-Kaida-Dschihadistentruppe gewaltsam zu stürzen. Wie man aus Bob Woodwards 2004 erschienenem Buch "Plan of Attack" erfährt, luden die beiden Hauptinitiatoren des Irakkrieges, Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Bandar Anfang 2003 extra ins Weiße Haus, um ihn in die damals noch streng geheime Invasionsplanung, die im selbem März in die Tat umgesetzt werden sollte, einzuweihen.

Wie Seymour Hersh im März 2007 in dem aufsehenerregenden Artikel "The Redirection" für die Zeitschrift New Yorker berichtete, waren es Cheney und Bandar - letzterer ab 2005 Geheimdienstchef Saudi-Arabiens -, die gegen Ende 2006 als Reaktion auf die Niederlage Israels gegen die Hisb-Allah-Miliz im Libanonkrieg im Sommer desselben Jahres entschieden, mit Hilfe einer Freiwilligenarmee aus gewaltbereiten, fanatisierten Sunniten das "Regime" Baschar Al Assads in Damaskus zu stürzen. Damit legten sie die Lunte für den Krieg in Syrien, der seit 2011 Hunderttausenden von Menschen das Leben kostete. 2006 hatte Bandar zudem die Regierung Tony Blairs mit der Androhung terroristischer Anschläge dazu veranlaßt, die Ermittlungen des englischen Serious Fraud Office (SFO) wegen Bestechungsgeldern in Milliardenhöhe, die in Verbindung mit dem mit Riad beschlossenen Al-Yamama-Deal durch Margaret Thatcher in den achtziger Jahren geflossen sein sollen - es war das größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte Großbritanniens - aus Gründen der "nationalen Sicherheit" einzustellen.

Im Vorfeld der Veröffentlichung der berühmten "28 Seiten" hatte Riad Washington öffentlich damit gedroht, saudische Gelder, die in den USA investiert sind, von dort wieder abzuziehen, sollten Kongreß und die Administration Barack Obamas die Immunität Saudi-Arabiens aufheben, um Zivilklagen der Opferfamilien in Verbindungen mit 9/11 zu ermöglichen. Die Drohung ist ernst zu nehmen. Schätzungen zufolge beträgt die Menge saudischer Beteiligungen an börsennotierten US-Unternehmen sowie der in saudischer Hand befindlichen Schatzbriefe der US-Bundesbank etwa 750 Milliarden Dollar. Daher verwundert es nicht, wenn anläßlich des Erscheinens der "28 Seiten" der Vorsitzende und die Stellvertretende Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, der Republikaner Richard Burr aus North Carolina und die Demokratin Dianne Feinstein aus Kalifornien, in einer gemeinsamen Erklärung meinten, nun müsse "endlich Schluß mit den Verschwörungstheorien und der nutzlosen Spekulationen sein, die nichts zur Aufklärung der 9/11-Anschläge beitragen".

Entsprechend kursorisch fällt die Medienberichterstattung zum Thema "28 Seiten" aus, was auch der Tatsache geschuldet ist, daß am selben Wochenende die schreckliche Lastwagenattacke im französischen Nizza am 14. Juli mit 84 Toten und der Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan und dessen AKP-Regierung die weltweiten Radio- und Fernsehnachrichten dominierten. Es gab aber auch vereinzelte Artikel, dessen Autoren sich ernsthaft mit der Bedeutung der "28 Seiten" auseinandergesetzt haben. Bei Consortiumnews.com unter der Überschrift "The Long-Hidden Saudi-9/11 Trail" hat am 16. Juli Kirsten Breitweiser, die ihren Mann am 11. September 2001 verlor und die zusammen mit anderen befreundeten Witwen, den sogenannten "Jersey Girls", George W. Bush 2003 zur Einsetzung der "unabhängigen" 9/11-Kommission gedrängt hatten, die Entscheidungsträger in Washington und die mit ihnen kooperierenden Mainstream-Medien offen bezichtigt, die Opferfamilien nach Strich und Faden belogen und seit mehr als 15 Jahren die wahren Hintergründe der Flugzeuganschläge vertuscht zu haben.

Am 18. Juli kam Justin Raimondo, der Kopf von antiwar.com, der sich in den letzten Jahren intensiv mit den Flugzeuganschlägen, speziell der Frage einer möglichen Verwicklung israelischer Stellen - Stichwort "Urban Moving Systems" - befaßt hat, nach Auswertung der "28 Seiten" in einem eigenen Beitrag zu der schlichten Feststellung, die zugleich seine Überschrift lieferte: "The Saudis Did 9/11". In einem am 19. Juli bei ABCNews.com erschienenen Kommentar für die Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders ABC "Behind the 28 Pages: Questions About an Alleged Saudi Spy and the CIA" hat Richard Clarke, seinerseits Antiterrorkoordinator Bill Clintons und George W. Bushs, gegen den damaligen CIA-Chef George Tenet schwere Vorwürfe erhoben. Clarke bezichtigte Tenet, im Vorfeld der Flugzeuganschläge den Nationalen Sicherheitsrat im Weißen Haus über die seltsame Zusammenarbeit zwischen saudischen Geheimdienstagenten und namhaften Al-Kaida-Mitgliedern im Dunkeln gelassen zu haben. Clarke vermutet eine illegale, gemeinsame Operation der CIA und des saudischen Geheimdienstes zur Unterwanderung von Al Kaida, die letztlich fehlgeschlagen ist - was wahrlich die schonenste aller möglichen Interpretationen der Ereignisse ist.

Auf Twitter hat am 20. Juli der NSA-Whistleblower Thomas Drake darauf aufmerksam gemacht, daß nicht nur die CIA und das FBI in Verbindung mit 9/11 "versagt" haben, sondern daß auch die National Security Agency im Vorfeld der Flugzeuganschläge mehrere der mutmaßlichen Attentäter observiert und dabei offenbar nichts gegen das drohende Unheil unternommen hat. [4] Drake hat ebenfalls den am 21. Juli bei antiwar.com erschienenen Bericht "The '28 Pages' Explained" von Larisa Alexandrovna Horton zu Recht als die "mit Abstand bisher detaillierteste Analyse" zu diesem Thema gepriesen. Auch der Schattenblick kann jene Lektüre wärmstens empfehlen.


Fußnote:

[1] Siehe unter SCHATTENBLICK\INFOPOOL\POLITIK\REDAKT:
USA/1375: 9/11 belastet die Beziehungen der USA zu Saudi-Arabien (SB)

[2] Siehe unter SCHATTENBLICK\INFOPOOL\BUCH\SACHBUCH:
REZENSION/218: Craig Unger - Die Bushs und die Sauds

[3] Siehe unter SCHATTENBLICK\INFOPOOL\POLITIK\REDAKT:
NAHOST/855: Drohte Saudi-Arabien Großbritannien mit "Terror"? (SB)

[4] Siehe unter SCHATTENBLICK\INFOPOOL\BUCH\SACHBUCH:
REZENSION/473: James Bamford - The Shadow Factory (NSA-Spionage) (SB)

22. Juli 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang