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USA/1395: Richtet Trump Amerikas ruinöse Nahost-Politik neu aus? (SB)


Richtet Trump Amerikas ruinöse Nahost-Politik neu aus?

Die Namen Flynn, Mattis und Gabbard deuten auf einen Wandel hin


An Donald Trump gibt es zweifelsohne vieles zu kritisieren; seine ständige Prahlerei, sein Machogehabe Frauen gegenüber und seine Demagogie, mittels derer er in den vergangenen Monaten den Eindruck erweckt hat, er halte alle Moslems für potentielle IS-Dschihadisten und alle illegalen lateinamerikanischen Einwanderer tendenziell für Verbrecher und Schmarotzer. Doch eines muß man The Donald lassen: Wie es vielleicht nur ein Politneuling machen konnte, hat er wie vor ihm kein zweiter den außenpolitischen Konsens in Washington, demzufolge es den USA zusteht, überall auf der Welt nach Belieben militärisch einzugreifen, diametral in Frage gestellt. Ähnlich wie Barack Obama 2008 hat der New Yorker Bauunternehmer und Reality-Fernsehmoderator die Kriegsmüdigkeit weiter Teile der US-Bevölkerung erkannt und sie als Treibstoff für seine erfolgreiche Kandidatur um die Präsidentschaft genutzt.

In der neunten Fersehdebatte in Zusammenhang mit den republikanischen Vorwahlen im Februar 2016 hat Trump die Konkurrenz spektakulär vor den Kopf gestoßen, als er freiheraus erklärte, die Kriegseinsätze der USA seit den 9/11-Flugzeuganschlägen hätten im Nahen Osten und Zentralasien nur Leid und Zerstörung in gigantischem Ausmaß verursacht, die dafür aufgewendeten Milliarden hätte man viel sinnvoller in die veraltete Infrastruktur der USA investiert. Als er zudem Ex-Florida-Gouverneur Jeb Bush ins Gesicht erklärte, dessen Bruder George W. hätte am 11. September 2001 mitnichten Amerika geschützt, sondern im Gegenteil als Oberkommandierender der Streitkräfte völlig versagt, meinten die meisten politischen Beobachter, Trump habe gerade politischen Selbstmord begangen, bald würde er aus dem Rennen ausscheiden. Doch das Gegenteil ist eingetreten. Trump hat nicht nur die republikanische Konkurrenz deklassiert, sondern beim eigentlichen Urnengang die haushohe Favoritin, die demokratische Ex-Außenministerin Hillary Clinton, vernichtend geschlagen.

Clinton war explizit mit dem Versprechen zur Wahl angetreten, eine Flugverbotszone über Syrien durchzusetzen, selbst wenn dies einen Krieg mit Rußland auslösen könnte. Die ehemalige First Lady betrieb während des ganzen Wahlkampfs eine offene Russophobie, warf dem Kreml vor, hinter der Enthüllung dubioser Praktiken bei der Clinton-Stiftung zu stecken, und unterstellte Trump, eine Marionette Putins zu sein, weil der republikanische Gegner einer Versöhnung zwischen Moskau und Washington das Wort redete. Für ihre Haltung dem Kreml gegenüber wurde die Kalte Kriegerin von den Medien, allen voran der New York Times, und den in der Außenpolitik tonangebenden Neokonservativen, die, wenn sie nicht gerade Regierungsämter bekleiden, meistens für irgendwelche von der Rüstungsindustrie finanzierten Denkfabriken arbeiten, über den grünen Klee gelobt. Am Potomac bereiteten sich alle auf die Verschärfung der Spannungen mit Moskau ab dem 8. November vor.

In den frühen Morgenstunden des 9. November, als die Ergebnisse der Stimmabgabe aus den einzelnen Bundesstaaten bekannt wurden und sich Trumps Überraschungssieg manifestierte, sind die Träume Clintons von der Präsidentschaft und der Neocons von einer militärischen Konfrontation mit Rußland vom Baltikum im Norden über die Ukraine und das Schwarze Meer hinunter bis Syrien geplatzt. Darum reagierte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, eine Speerträgerin der Militaristen bei der NATO, auf die unerwartete Niederlage ihrer Gesinnungsgenossin Clinton nach eigenen Angaben "geschockt". Darum auch mußte Obama zehn Tage nach der US-Präsidentenwahl nach Berlin reisen, um die westeuropäischen Partner, die sich aus Treue zu den USA einer vielleicht zu aggressiven Haltung gegenüber Rußland befleißigt hatten, zu beruhigen und sie einer außenpolitischen Kontinuität seitens Washingtons zu versichern.

Obama selbst hatte acht Jahre lang eine gewisse Skepsis ob der Wirksamkeit der Anwendung militärischer Gewalt in Krisensituationen - bestes Beispiel Syrien - beibehalten und war dafür immer mehr von den Unterstützern Hillary Clintons als Zauderer und Versager kritisiert worden. Doch genau jene Kreise sind es, die sich nun wider Erwarten als Outsider wiederfinden und mitansehen müssen, wie Trump eine wenn nicht unbedingt weniger martialische, doch vielleicht weniger verschwenderische und zerstörerische Sicherheitspolitik anpeilt.

Erste Indizien in diese Richtung sind Trumps Telefonat mit Putin, in dessen Verlauf sich die beiden Staatsmänner für einen Neuanfang in den gestörten bilateralen Beziehungen, ein gemeinsames Vorgehen in Syrien gegen den "islamistischen Terrorismus" sowie verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit aussprachen, sowie die Ernennung von Ex-Generalleutnant Michael Flynn zum neuen Nationalen Sicherheitsberater. Der mehrfach dekorierte Veteran der Kriege im Irak und in Afghanistan war 2014 frühzeitig von seiner Position als Chef der Defense Intelligence Agency (DIA) in die Rente geschickt worden, weil er intern wiederholt den Kurs der Obama-Regierung in der Syrien-Politik als mißraten kritisiert hatte.

Letztes Jahr bestätigte Flynn, daß die DIA bereits 2012 Barack Obama und Hillary Clinton vor der Entstehung eines "Kalifats" in Syrien und im Irak ausdrücklich gewarnt hatte, sollten die USA, Saudi-Arabien, die Türkei und Katar weiterhin die Dschihadisten in der Region mit großen Mengen Waffen versorgen. Auch wenn Flynn eine etwas undifferenzierte Meinung über den Islam hat, so hat er immerhin die Drohnenangriffe der CIA öffentlich als kontraproduktiv kritisiert, weil sie die Bevölkerung in den betroffenen Ländern in die Arme der Gegner der USA treiben. Flynn hat sich frühzeitig dem Wahlkampfteam Trumps als Militärberater angeschlossen und den Immobilienmilliardär in seinem isolationistischen Standpunkt bestärkt.

Weniger erfreulich ist Trumps Nominierung von Michael Pompeo für den Posten als neuer CIA-Direktor. Der republikanische Kongreßabgeordnete aus Kansas mit Verbindungen zur Raumfahrtindustrie befürwortet die Folter von "Terrorverdächtigen", hat keine Probleme mit der elektronischen Massenüberwachung ganzer Gesellschaften durch die National Security Agency (NSA) und hält den Whistleblower Edward Snowden für einen "Staatsverräter", der es verdient habe, hingerichtet zu werden. Im August 2013 trat Pompeo im Kongreß für US-Luftangriffe gegen die syrischen Streitkräfte wegen deren vermeintlichen Einsatzes von Giftgas bei Damaskus ein. Wegen des hartnäckigen Verdachts, der bis heute anhält, hinter dem Vorfall stecke eine Falsche-Flagge-Aktion der Rebellen und des türkischen Geheimdiensts, um die USA zum aktiven Kriegsteilnehmer in Syrien zu machen, hat sich Obama damals gegen die Ausführung der von ihm angedrohten Raketenangriffe entschieden.

Als aussichtsreichster Kandidat für den Posten des Verteidigungsministers in der Trump-Regierung wird derzeit Marinegeneral a. D. James Mattis gehandelt. Der ehemalige Oberbefehlshaber des für den Nahen Osten und Zentralasien zuständigen US-Zentralkommandos (CENTCOM) gilt als eifriger "Antiterrorkrieger", der den Iran für viele der Probleme der USA in dieser Region verantwortlich macht. In der Vergangenheit ist Mattis aber auch durch israelkritische Äußerungen aufgefallen. 2013 hat er für Schlagzeilen gesorgt, als er sich über den "Preis" beschwerte, welchen die USA wegen ihrer allzu engen Beziehungen zu Israel in der arabischen Welt bezahlen müßten. Mattis tritt für eine gerechte Zweistaatenlösung zwischen Israelis und Palästinensern ein. Die Alternative dazu - ein einheitlicher Staat, in dem die Israelis der Aufrechterhaltung des jüdischen Charakters eines solchen Gebildes wegen den Palästinensern die Gleichberechtigung vorenthielten - ist nach Meinung des Vier-Sterne-Generals zum Scheitern verurteilt.

Nach dem Vorstellungsgespräch mit Mattis am 20. November in Trumps Golfhotel in Bedminster, New Jersey, traf sich der designierte Präsident am darauffolgenden Tag im New Yorker Trump Tower mit Tulsi Gabbard. Die 35jährige Demokratin aus Hawaii, die ursprünglich in American Samoa geboren wurde, ist die erste hinduistische Kongreßabgeordnete in der Geschichte der USA. Sie gehört dem linken Flügel der Demokraten an und hat im Februar 2016 den Parteivorstand verlassen, um Clinton-Gegner Bernie Sanders bei den Vorwahlen zu unterstützen. Als Mitglied der medizinischen Abteilung der Hawaii National Guard hat Gabbard mehrere Jahre im Irak gedient. Aufgrund der eigenen Kriegserfahrungen im Zweistromland gilt sie als ausgesprochene Gegnerin von Militärinterventionen und "Regimewechseln" im Ausland. Aktuell wird Gabbard als mögliche UN-Botschafterin der neuen Trump-Administration gehandelt. Sollte die 35jährige Demokratin anstelle des Kriegstreibers und ehemaligen UN-Botschafters George W. Bushs, John Bolton, dessen Name ebenfalls in den Medien herumgeistert, einen Posten in der Regierung Trump erhalten, wäre das ein Signal, daß Washington seine überambitionierten Hegemonialbestrebungen überdenkt und zumindest partiell zurückfahren will.

22. November 2016


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