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USA/1423: Washington - Demokraten in der Zerreißprobe ... (SB)


Washington - Demokraten in der Zerreißprobe ...


Ende Februar, Anfang März hat das Democratic National Committee (DNC) mit Barack Obama als Drahtzieher im Hintergrund durch den koordinierten Rückzug der meisten anderen Bewerber um die Nominierung zum demokratischen Kandidaten bei der diesjährigen Präsidentenwahl zugunsten Joe Bidens die Kampagne des ehemaligen Vizepräsidenten gerettet und zugleich die des "sozialistischen" Senators Bernie Sanders aus Vermont torpediert, der bis dahin nach Siegen bei den ersten drei Vorwahlen in Iowa, New Hampshire und Nevada in Front lag. Nun steht die demokratische Parteiführung um Obama, Hillary Clinton, Nancy Pelosi und Chuck Schumer vor einem politischen Scherbenhaufen. Der Preis dafür, die Galionsfigur der Parteilinken zum zweiten Mal nach 2016 um die Teilnahme an der Endrunde gegen Donald Trump betrogen zu haben, dürfte eine zweite Amtszeit des rassistischen republikanischen Hetzers im Weißen Haus bedeuten - Corona-Krise hin oder her.

Biden hat im kommenden November gegen den zwar polarisierenden, dafür die eigene Anhängerschaft um so stärker mobilisierenden Trump aus mehreren Gründen keine Chance. Während der Zeit des uncharismatischen Apparatschiks im Senat hat sich Delaware zur Steueroase unter den US-Bundesstaaten für Amerikas Großkonzerne entwickelt. Dafür hat Biden Millionen Dollar Wahlkampfspenden vor allem seitens der US-Finanzindustrie eingestrichen. Er pflegt beste Beziehungen zur Wall Street, was vor wenigen Tagen durch die Ernennung von Larry Summers zum Finanzberater seines Wahlkampfteams unterstrichen wurde. Die Entscheidung hat alle Hoffnungen, Biden könnte einen Linksschwenk vornehmen, um die Sanders-Anhängerschaft zu versöhnen, zunichte gemacht. Schließlich ist Summers, der ehemalige Chefökonom der Weltbank, der unter Bill Clinton Stellvertretender Finanzminister war und in einer Biden-Regierung offenbar die Leitung des Treasury Department übernehmen sollte, als unverfrorener Verfechter der neoliberalen Wirtschaftsideologie bekannt.

Während der Präsidentschaft des Parteikollegen Clinton von 1993 bis 2001 hatte Biden wesentlichen Anteil an einer drastischen, rassistisch motivierten Verschärfung der Bundesstrafgesetzgebung und der sich daraus ergebenden Explosion bei der Zahl der Gefängnisinsassen. Als führender Demokrat im außenpolitischen Ausschuß des Senats sorgte Biden maßgeblich für die Zustimmung beider Häuser des Kongresses zu den illegalen Kriegsinterventionen der US-Streitkräfte 1999 im ehemaligen Jugoslawien und 2003 im Irak - letzteres auf Veranlassung der Administration des Republikaners George W. Bush. Angesichts solcher Karriereleistungen werden sich Millionen progressiver und friedensbewegter Wähler, die Sanders ihre Stimme gegeben hätten, von Biden abwenden und den Urnengang gar nicht erst antreten.

Als Vizepräsident und außenpolitischer Aufpasser Obamas von 2009 bis 2017 war Biden in die Destabilisierung Syriens und Libyens tief verstrickt. In dieser historischen Phase hatte er insbesondere wesentlichen Anteil an dem blutigen, von der CIA inszenierten Putsch 2014 in der Ukraine, mit dessen Leitung ihn Obama beauftragt hatte und den sich die USA nach Angaben der damals zuständigen Staatssekretärin im State Department, Victoria Nuland, insgesamt fünf Milliarden Dollar kosten ließ. Biden geht aktuell mit dem Versprechen hausieren, die "globale Führung" der USA wiederherzustellen, was gefährliche Spannungen mit Rußland und China verspricht und im Grunde nichts anderes als eine politisch korrektere Version von Trumps dumpfbackigem Wahlslogan "Make America Great Again" darstellt.

Zum Anti-Trump taugt Biden, allen hehren Bekundungen zu welchen Werten auch immer zum Trotz, auch nicht, denn genau wie dem Machomann aus Queens haftet dem vermeintlichen Freund der hart arbeitenden amerikanischen Arbeiterklasse der Ruf an, ein verkappter Sexualstraftäter zu sein. Seit Jahren beklagen sich Mitarbeiterinnen und andere Politikerinnen darüber, daß Biden ihnen zu nahe kommt und unsittliche Berührungen als liebevolle Streicheleinheiten tarnt. Wegen seiner wiederholten Überschreitung der herkömmlichen, informellen Abstandsregeln, bei der er sich angeblich niemals etwas gedacht hat und lediglich seine tief empfundene Empathie weitergeben wollte, mußte sich der "nette Onkel Joe" bereits 2019 öffentlich entschuldigen und Besserung geloben.

Seit einem Radiointerview im März für den Podcast von Katie Halper stehen jedoch weit schwerere Vorwürfe im Raum. Tara Reade, die einst im Senatsbüro Bidens im Kongreß gearbeitet hat, behauptet, er habe sie 1993 sexuell angegriffen. Bei einem opportunistischen "Annäherungsversuch" in einem sonst menschenleeren Flur habe er sie gegen die Wand gedrückt, sie geküßt, seine Hand unter ihren Rock geschoben und ihr mit mehreren Fingern in die Scheide gegriffen. Als Reade die Avance nicht wie von Biden erwartet erwiderte, sondern sich aus seiner Umarmung befreien konnte, habe er sie mit dem Spruch "Sie bedeuten mir nichts" abgefertigt. Reade behauptet, sie habe nach der Überwindung des ersten Schocks ihrer Mutter, ihrem Bruder und einer Freundin von dem Vorfall berichtet. Die beiden letzteren haben diese Angabe inzwischen bestätigt, ihre Mutter ist 2016 verstorben. Vor wenigen Tagen ist die Aufnahme einer Episode der CNN-Anrufsendung von Larry King aus dem Jahr 1993 aufgetaucht, auf der Reades Mutter zu hören ist, wie sie sich als anonyme Anruferin über die schlechten Erfahrungen ihrer Tochter am Kapitol beschwert und die offenkundige Straflosigkeit kritisiert, mit der dort die männlichen Politiker gegenüber Frauen agieren.

Die Enthüllung der heute 56jährigen Reades hat nicht nur Biden, sondern vor allem die führenden Demokratinnen schwer in Bedrängnis gebracht. Da der 79jährige Biden bereits versprochen hat, nicht nur eine Frau zur Vizepräsidentskandidatin zu ernennen, sondern im Fall eines Wahlsiegs aus Altersgründen nur eine Amtszeit seinem Land als Präsident zu dienen, machen sich Elizabeth Warren, Kamala Harris, Amy Klobuchar, Gretchen Whitmer und Stacey Abrams große Hoffnungen, erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden. Sie stehen jetzt in der Zwickmühle zwischen der politischen "Freundschaft" zu Biden und ihrem früheren Einsatz in der #MeToo-Debatte, derzufolge der Frau beim Vorwurf eines sexuellen Übergriffs "immer" geglaubt werden soll. Bereits jetzt vergleichen die Republikaner die Zurückhaltung, mit der sich prominente Demokratinnen mit dem Fall Tara Reade befassen, mit der Energie, mit der sie letztes Jahr Trumps Nominierung des erzkonservativen Juristen Brett Kavanaugh zum Mitglied des Obersten Gerichtshofs wegen dessen fragwürdigen Verhaltens der Kommilitonin Christine Blasey Ford gegenüber bei einem Saufgelage in seiner Zeit als Hochschulstudent in den achtziger Jahren vergeblich zu blockieren versuchten, und werfen dem politischen Gegner Heuchelei vor.

Nach wochenlangem Schweigen zu Tara Reade trat Biden am 1. Mai in der MSNBC-Fernsehsendung "Morning Joe" auf und ließ sich rund 20 Minuten lang von Mika Brzezinski zu der Kontroverse ausfragen. Er behauptete, der Vorfall habe "sich gar nicht ereignet". "It never happened", so seine kategorische Aussage. Biden hat Reade nicht direkt eine Lügnerin genannt, sondern lediglich die These vertreten, daß sie sich eventuell falsch erinnere. Reade macht geltend, sie sei damals nicht wie von ihrer Mutter empfohlen zur Polizei gegangen, um Strafanzeige zu erstatten, sondern habe den Vorfall bei der Beschwerdestelle des Senats gemeldet, worauf natürlich nichts außer ihrer Entlassung durch Biden erfolgt sei. Der Möchtegern-Präsident hat sich in der Zuversicht, es gebe nichts zu finden, für die Freigabe der entsprechenden Akten der Senatsverwaltung ausgesprochen. Gleichwohl sperrt sich Biden gegen die Freigabe seiner Akten aus seiner Zeit als Senator, die unter Verschluß bei der Universität von Delaware liegen, mit dem fadenscheinigen Argument, es könnten sich darunter außenpolitische Staatsgeheimnisse befinden.

Angesichts der unappetitlichen Tara-Reade-Affäre wird bei den Demokraten hinter vorgehaltener Hand über den Austausch Bidens als Präsidentschaftskandidat auf ihrem Parteitag in Milwaukee diskutiert, der ursprünglich im Juli stattfinden sollte, aber wegen der Corona-Krise für unbestimmte Zeit verschoben wurde. Weil die Alternative auf gar keinem Fall Bernie Sanders heißen darf, stellen die Parteiführung und ihre Verbündeten bei den liberalen Medien seit Wochen das "präsidiale" Agieren des New Yorker Gouverneurs Andrew Cuomo in der Covid-19-Pandemie heraus und bauen ihn inzwischen halbwegs offen zum eventuellen Trump-Bezwinger auf. Am 4. Mai forderte die Journalistin Elizabeth Bruenig, deren Gatte Matthew Bruenig als Anwalt zum linken Flügel der Demokraten gehört, in der New York Times wegen Bidens kleinen Tara-Reade-Problems einen "Plan B". Man darf gespannt sein, wie die demokratische Partei in den kommenden Wochen ihre jüngsten Schwierigkeiten bei der Kandidatenkür in den Griff bekommt.

5. Mai 2020


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