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BERICHT/113: Antifaschismus zwischen Staatsräson und sozialem Widerstand (SB)


Aktionen gegen den Naziaufmarsch in Hamburg am 2. Juni 2012

Hamburg bekennt Farbe - Foto: © 2012 by Schattenblick

Hamburger Rathausmarkt - Volksfest mit bunten Winkelementen Foto: © 2012 by Schattenblick

Seit 1990 wurden in Deutschland mindestens 187 Menschen von neonazistischen Tätern umgebracht, wobei die Dunkelziffer angesichts einer notorischen Ausblendung rechtsgerichteter Motive weit höher liegen dürfte. Vielerorts fallen Neonazis über Migrantinnen und Migranten, Behinderte, Obdachlose und Linke her, ohne daß diese physische Verletzung, Bedrohung und Erniedrigung nennenswerten Niederschlag in offiziellen Statistiken fände. Durch beständige Drangsalierung eingeschüchtert leben die Bewohner nicht weniger Orte vor allem in den östlichen Bundesländern in beständiger Furcht vor der aggressiven Präsenz solcher Brutalität. Zehn Jahre lang verübte der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) ungehindert Mordtaten, Bombenanschläge und Banküberfälle, obgleich diese Umtriebe in der vom Verfassungsschutz weithin unterwanderten rechten Szene kein Geheimnis sein konnten. Hat die von bürgerlichen Medien aufgrund einer vermeintlichen "nationalen Schande", die üblicherweise Raum greift, wenn nationalistische Restauration auf eher unschöne Weise in Erscheinung tritt, zum Skandal erhobene Mordserie des NSU das Faß zum Überlaufen gebracht, das gleichgültige Schweigen gebrochen, die Billigung ausländerfeindlicher und sozialrassistischer Untaten desavouiert oder gar die Feindbildprägung der gesellschaftlichen Mitte ausgehebelt, die in ihrer Stoßrichtung zunehmend mit jener der Neonazis korrespondiert?

Block der Hamburger Muslime auf HBgR-Demo - Foto: © 2012 by Schattenblick

Neue Opfergruppe des faschistischen Terrors
Foto: © 2012 by Schattenblick

Fast möchte man meinen, es verhielte sich so, haben doch in Hamburg am 2. Juni Tausende Menschen ein Zeichen des Widerstands gegen den Aufmarsch mehrerer hundert Neonazis gesetzt. Das von mehr als 220 Organisationen unterstützte Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR), die Hamburger Erklärung und die Veranstaltung "Hamburg bekennt Farbe" auf dem Rathausmarkt zeugten von einer jahrzehntelang vermißten weitgefächerten Wahrnehmung rechtsgerichteter Umtriebe und einer in ihrem Umfang bemerkenswerten aktiven Stellungnahme zur Eindämmung faschistischer Gesinnung und Übergriffe. Wie Olaf Harms, Sprecher des HBgR, bilanzieren konnte, haben zwischen 6.000 und 7.000 Menschen an der Demonstration in der Innenstadt teilgenommen. Der Rathausmarkt wurde von rund 10.000 Teilnehmern besucht, worunter sich etwa 2.000 bis 3.000 befanden, die aus der Demonstration heraus dorthin gingen. An den Massenblockaden des durch einen Beschluß des Verwaltungsgerichts im Stadtteil Wandsbek genehmigten rechtsgerichten Aufmarsches haben sich demnach insgesamt mehr als 6.000 Personen beteiligt, denen es gelang, den Vorstoß der Neonazis erheblich zu bremsen. [1]

Traten engagierte Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Vergangenheit zumeist in kleiner Zahl und ohne spürbare Resonanz in einer breiteren Öffentlichkeit in Erscheinung, soweit sie nicht im Visier repressiver Staatsgewalt und Konzernmedienmacht zur eigentlichen Gefahr für Recht und Ordnung hochstilisiert wurden, schien sich diese Ausgrenzung fast über Nacht ins Gegenteil verkehrt zu haben. Stellte das Hamburger Bündnis gegen Rechts schon für sich genommen einen beachtlichen Schulterschluß dar, der sich auf den Aktionskonsens zivilen Ungehorsams in Gestalt von Menschenblockaden in Wandsbek festgelegt hatte, so wurden die Initiatoren dieser Form des Widerstands gewissermaßen von hinten überholt. Angeführt vom Ersten Bürgermeister drängte sich hanseatische Senatspolitik an die Spitze des Geschehens. Es sei gelungen, ein "überparteiliches Bündnis zu schmieden mit Kirchen, Sport, Gewerkschaften", um gegen die Neonazis "Flagge zu zeigen". Innerhalb der Bannmeile und damit direkt vor der eigenen Haustür auf dem Rathausplatz sollte Hamburg "Farbe bekennen" und "ein Zeichen für Toleranz und Vielfalt" setzen.

Tragende Pfeiler der bürgerlichen Gesellschaft - Foto: © 2012 by Schattenblick

Erzbischof Werner Thissen, Bischöfin Kirsten Fehrs, Dieter Graumann, Olaf Scholz Foto: © 2012 by Schattenblick

War das der langersehnte Durchbruch zu einem breiten Bündnis gegen Rechts, einer Öffentlichkeitsarbeit mit den ungleich größeren Ressourcen des politischen Establishments, einer Gleichrangigkeit unterschiedlichster Aktionsformen, die alle einbezog und niemanden ausschloß? Wer wollte in Frage stellen, daß insbesondere Familien mit Kindern, ältere Menschen wie auch Bürgerinnen und Bürger, die erstmals an solchen Kundgebungen teilnahmen, bei einem Volksfest auf dem Rathausmarkt besser aufgehoben waren, ihrem Protest Ausdruck zu verleihen? Die Idee, daß man dort präsent sein konnte, wo man sich das zutraute und es für angemessen hielt, dabei aber nicht gehindert war, zunächst in der Innenstadt zu demonstrieren und anschließend in Wandsbek die Reihen der Blockierer fester zu schließen, mutete zunächst überzeugend an.

Wie Olaf Scholz in seiner Rede hervorhob, habe Hamburg den Wert der Vielfalt schätzen gelernt. Die Metropole sei für viele, die sich entschieden hätten, hier zu leben, "eine Ankunftsstadt voller Hoffnungen und Chancen, voller Optimismus. Eine offene, tolerante und am Neuen interessierte Stadt. Eine Stadt, die gelernt hat: Auf uns allein gestellt, nur im eigenen Saft schmorend, wären wir bald am Ende." Hamburg sei eine Stadt des friedfertigen, solidarischen Zusammenlebens, deren Bürgerinnen und Bürger ebenso wie "unsere Gäste" alle in gleicher Weise das Recht hatten, unbehelligt von Beleidigungen und tätlicher Gewalt zu leben. Die Vielfalt sei "ein Schatz, den man gegen Intoleranz, Ressentiment und Rassismus verteidigen müsse, wie man auch die Demokratie gegen Totalitarismus und Gewalt" verteidige.

Bürgermeister Olaf Scholz bei Rede - Foto: © 2012 by Schattenblick

Wer ist willkommen in der "Ankunftsstadt" und Handelsmetropole Hamburg? Foto: © 2012 by Schattenblick

Das auf dem Rathausmarkt bejubelte Bekenntnis des Ersten Bürgermeisters zu Gastfreundschaft und Solidarität mußte all jenen Migrantinnen und Migranten wie bitterer Hohn in den Ohren klingen, die von Abschiebung bedroht, in Lagern und Sonderkünften interniert oder selbst nach mehrjähriger Duldung in unablässiger Ungewißheit, Unsicherheit und Furcht leben müssen. Olaf Scholz zog mithin jene berüchtigte Grenze zwischen brauchbaren Zuwanderern, von deren "Wert" die Ökonomie und Kulturszene der Hansestadt profitiert, und den sozialrassistisch für wertlos erachteten unerwünschten Flüchtlingen, denen man den so dringend benötigten Schutz versagt.

Daß der Ansatz, unter Ausblendung solcher grundsätzlichen Widersprüche zwischen den dabei zum Tragen kommenden Interessen die größtmögliche Beteiligung an den verschiedenen Aktivitäten gegen den Aufmarsch der Neonazis zu generieren, einen Pferdefuß hatte, mochte vielen Teilnehmern des Demonstrationszuges entgangen sein. Als sich der Schattenblick umhörte, um einige Meinungen und Impressionen einzufangen, faßte eine Teilnehmerin in Worte, was augenscheinlich viele dachten. Es gehe ihr darum, gemeinsam mit vielen anderen Gesicht zu zeigen. Selbst im Rathaus habe man es zur demokratischen Pflicht erklärt, wo auch immer in der Stadt dem Protest Ausdruck zu verleihen. Die Haltung des Bürgermeisters und der Parteien sei glaubhaft und begrüßenswert, da man nur in großer Zahl gewinnen könne. Mochten auch manche auf den fahrenden Zug aufgesprungen sein, so seien doch alle willkommen. Man könne schließlich hier beginnen und anschließend in Wandsbek friedlich blockieren. Jüngere Teilnehmer im Demonstrationszug freuten sich über die "große bunte Masse gegen Neonazis", und etliche Bürgerinnen und Bürgern mit migrantischem Hintergrund verliehen ihrer Hoffnung Ausdruck, daß künftig noch mehr Deutsche gegen die Neonazis auf die Straße gehen.

Demonstration auf dem Gänsemarkt - Foto: © 2012 by Schattenblick Rede des St. Pauli-Pastors - Foto: © 2012 by Schattenblick HBgR-Lautsprecherwagen - Foto: © 2012 by Schattenblick

links: Abschlußkundgebung der HBgR-Demo
mitte: Pastor Sieghard Wilm auf Abschlußkundgebung
rechts: Mit einfachen Mitteln Position beziehen
Foto: © 2012 by Schattenblick

In die Genugtuung angesichts des regen Zuspruchs bei den Aktivitäten in der Innenstadt mischten sich indessen auch skeptische Töne. So erinnerte ein Teilnehmer daran, welche Probleme Hamburger Bürgerschaften mehr als einmal mit der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit an den Tag gelegt haben. Ein anderer Teilnehmer begrüßte das breite Bündnis wie auch die Blockade in Wandsbek, wobei er sich fragte, warum der Bürgermeister und andere prominente Repräsentanten der Stadt nicht auf der Demonstration zugegen waren. Wenngleich seit langen Jahren nicht mehr Menschen in so großer Zahl durch die City gezogen waren, um ihrem Protest gegen Rechts Ausdruck zu verleihen, hätte man doch nach der vollmundigen Ankündigung des "überparteilichen Bündnisses" eine weitaus stärkere Präsenz der dabei genannten Institutionen und Verbände erwartet.

Wohin der Hase lief, konnte unmittelbar erfahren, wer direkt nach der Abschlußkundgebung auf dem Gänsemarkt zum Rathaus eilte und dennoch versäumte, was der Erste Bürgermeister und andere Hauptredner vor den Kameras der versammelten Mainstreammedien zum Besten gegeben hatten. Dort drängten sich Tausende vor der Bühne, die den Demonstrationszug sicher verdoppelt hätten, wären sie denn mitgezogen. Daß das Hamburger Bündnis gegen Rechts sowohl in der Innenstadt als auch bei der Blockade in Wandsbek Flagge zeigte, wobei eines das andere ja nicht ausschloß, war konzeptionell vorgesehen und wurde mit bemerkenswertem Erfolg realisiert. Hingegen mutete höchst befremdlich an, daß der Auftritt Olaf Scholzs, der zwangsläufig das öffentliche Interesse auf sich zog, zu einem Zeitpunkt über die Bühne gebracht wurde, als die Redner der Kundgebung auf dem Gänsemarkt noch resümierten, worum es ihnen an diesem Tag gehe.

Jugendliche mit Werbebanner - Foto: © 2012 by Schattenblick

Mut gegen rechte Gewalt wurde andernorts gezeigt
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wenngleich in beachtlicher Zahl und guten Mutes, so doch dem Fokus überregionaler Medienpräsenz entzogen, bekräftigte man dort noch einmal die Aktionseinheit mit den Straßenblockaden und rief dazu auf, sich nach Wandsbek zu begeben. Auch kamen insbesondere Repräsentanten der muslimischen Gemeinde zu Wort, die das Treiben der Neonazis in einem Zusammenhang mit den Ausfällen eines Thilo Sarrazin und dem in der Gesellschaft um sich greifenden Antiislamismus stellten. Diese und andere dezidiert im Kontext repressiver Staatlichkeit und eskalierender Feindseligkeit gegen migrantische Minderheiten bezogene Positionen blieben mithin auf den Kreis der vor Ort versammelten Demonstranten begrenzt.

Von mangelnder Abstimmung zu sprechen, wäre naiv, war doch der vielbeachtete Vorstoß aus dem Rathaus zweifellos strategisch durchgeplant. Wie ein Magnet zog das Volksfest auf dem Rathausmarkt, das auf der offiziellen Internetpräsenz für die Freie und Hansestadt Hamburg, der Webseite Das Stadtportal hamburg.de, angekündigt und beworben wurde, Tausende von jenem Teil der Protests ab, der mehr zu sagen hatte und kritischere Töne anschlug, als der politischen Führung der Hansestadt genehm war. Auf der Oberfläche nicht konfrontativ, sondern vereinnahmend stellte man dem breiten Bündnis gegen Rechts ein Ventil ausgesteuerten Bürgersinns an die Seite, das in vorgeblichem Schulterschluß gleichsam unterschwellig den Protest in der Innenstadt auseinanderdividierte. Bezeichnenderweise kontrastierte die mediale Verarbeitung später das fröhliche Treiben auf dem Rathausmarkt mit den Auseinandersetzungen in Wandsbek, womit legitimer Bürgerprotest säuberlich von diskreditierter Präsenz auf der Straße getrennt und das angeblich gemeinsame Anliegen in Sprachregelung, Zielsetzung und Medienhoheit klammheimlich okkupiert wurde.

Als sich der Erste Bürgermeister etwas später in kleiner Begleitung unters Volk mischte und inmitten der Budenstadt den Weg des Schattenblicks kreuzte, nahm dieser die unverhoffte Gelegenheit wahr, zwei kurze Fragen an Olaf Scholz zu richten. Ja, es sei ihm ein persönliches Anliegen gewesen, hier heute zu sprechen, wie viele andere Hamburgerinnen und Hamburger auch, die gekommen seien. "Es ist eine gute Demonstration des Bürgerstolzes für Demokratie und Rechtsstaat gewesen", so der Bürgermeister. Auf die Nachfrage, ob man denn auch künftig mit einer solchen Unterstützung des Kampfs gegen Rechts rechnen könne, erwiderte er: "Ich bin ziemlich sicher, daß das heute ein Ausgangspunkt ist, der sicherstellt, daß in Hamburg gemeinsam gegen Rechtsradikale demonstriert wird." Somit war das Terrain für legitim erachteten Bürgerprotests auf der Grundlage anerkannter Staatsdoktrin ebenso abgesteckt wie die Zuversicht bekräftigt, dem Aufbegehren gegen neonazistische Umtriebe die widerständigen Zähne gezogen zu haben.

Verfassungsschutz, Innenbehörde, Polizei an einem Stand - Foto: © 2012 by Schattenblick

Schild und Schwert des Staates mit von der Partie
Foto: © 2012 by Schattenblick

Auf einem interessierten Rundgang durch diverse Zelte und Präsentationen konnte man Erstaunliches beobachten. Zwischen dem Hamburger Sportbund und der Polizei der Hansestadt warb in trauter Eintracht der Verfassungsschutz um die Gunst der Bürger. Ist das offiziöse Bündnis gegen Rechts inzwischen so breit und offenherzig, daß es sogar den Inlandsgeheimdienst einschließt, dessen Wirken das Treiben des NSU und anderer militanter Gruppierungen der Neonazis, von der NPD ganz zu schweigen, mutmaßlich erst möglich gemacht hat? Wie um der Okkupation antifaschistischen Widerstands die Krone der Staatsräson aufzusetzen, verkündete unterdessen eine Rednerin auf dem Podium allen Ernstes, daß die Hamburgerinnen und Hamburger heute auf dem Rathausmarkt zusammengekommen seien, um "gegen linken und rechten Extremismus" ein Zeichen zu setzen. Während man noch glaubte, sich verhört zu haben, und wenigstens mit einem kleinen Pfeifkonzert rechnete, brach tosender Beifall los. Auf die probate Faustformel der Gleichsetzung von Links und Rechts gebracht verortete die bürgerliche Mitte hanseatischen "Bürgerstolzes" in ihrem farbenfrohen Volksfest auf dem Hamburger Rathausmarkt allemal, von wem sie sich keinesfalls die Butter vom Brot nehmen läßt, von anderen Vorzügen gutsituierter Existenz ganz zu schweigen.

Wasserwerfer, Reiterstaffel, Polizeikette - Foto: © 2012 by Schattenblick Wasserwerfer, Reiterstaffel, Polizeikette - Foto: © 2012 by Schattenblick Wasserwerfer, Reiterstaffel, Polizeikette - Foto: © 2012 by Schattenblick

Abschottung des Wandsbeker Markts
Foto: © 2012 by Schattenblick

Antiextremistische Spaltungsstrategie konnte erfolgreiche Blockaden nicht verhindern

Während auf dem Rathausmarkt mit bunten Winkelementen zu kleiner Münze für Toleranz und Vielfalt geworben wurde, hatte die Polizei in Wandsbek bereits bis zu 400 Antifaschistinnen und Antifaschisten eingekesselt. Sie mußten bis zu fünf Stunden ohne Wasser ausharren und ihre Notdurft bis zum Eintreffen von Dixie-Klos in Plastiktüten verrichten. Wer aus der Innenstadt, wo einige Hundert Teilnehmer der Demonstration bereits vor deren Ankunft am Kundgebungsort Gänsemarkt die U-Bahn zu den Blockadeaktionen bestiegen, in das hermetisch von der Polizei abgeriegelte Aufmarschgebiet der Nazis gelangen wollte, konnte zwar zu zwei angemeldeten Kundgebungsorten gelangen, war dort jedoch von jeder Möglichkeit abgeschnitten, Zugang zu der von der Hamburger Innenbehörde festgelegten Route der Nazis zu erhalten. Nicht einmal auf die kostenlose Nutzung der U-Bahn für die Fahrten zu den Kundgebungen wollte sich die Stadt einlassen, so daß sich deren Organisatoren schon darüber erleichtert sein mußten, daß dieser Zugang nicht einfach durch die Einstellung des Fahrbetriebs verschlossen wurde.

Die Verlegung des von rund 500 Mitgliedern rechtsradikaler Parteien und Kameradschaften besuchten Aufmarsches in ein gutbürgerliches Wohngebiet fernab der Stadtteile, in denen Nazigegner besonders dicht gesät sind, und eine Polizeitaktik, die zuerst jede Konfrontation zu verhindern suchte, während sie später den Eindruck erweckte, als wollte man es auf eine Auseinandersetzung zwischen Nazis und Blockierern ankommen lassen, ließen vor allem eins erkennen: Nicht die mit HVV-Bussen zu ihrem Kundgebungsort transportierten und von da an unter Polizeischutz demonstrierenden Nazis wurden als Feind von Ruhe und Ordnung in Szene gesetzt, sondern die Antifaschistinnen und Antifaschisten, die ihren Aufmarsch verhindern wollten, schienen das Ziel behördlicher Abwehrbemühungen zu sein.

Erfolgreich waren die Blockadeaktionen vor allem deshalb, weil sie den Zug der Nazis durch die Stadt stundenlang verzögerten, die Polizei dazu zwangen, deren Marschroute zu verlegen und ihre öffentliche Präsenz auf eine kurze, von vielen Stopps unterbrochene Strecke begrenzten. Damit wurde auf entlarvende Weise deutlich gemacht, daß die Staatsgewalt das Versammlungsrecht in diesem Fall unter Umständen durchsetzen wollte, die eigentlich zur Einstellung des Vorhabens genötigt hätten. Anstelle dessen wehrte die Polizei die Blockierer ab, während deren Anliegen zeitgleich auf dem Rathausmarkt als "Mut gegen rechte Gewalt" zur Tugend bürgerlicher Zivilcourage erhoben wurde.

Straße vor dem Versammlungsplatz der Nazis - Foto: © 2012 by Schattenblick Straße vor dem Versammlungsplatz der Nazis - Foto: © 2012 by Schattenblick

Anfahrt der Nazis in HVV-Bussen unter Polizeischutz
Foto: © 2012 by Schattenblick

Diese Abwehr fiel brutal aus, wurden Blockaden doch mit Pfefferspray, Wasserwerfern, Knüppeleinsatz und Reiterstaffel aufgelöst. Zahlreiche Demonstranten trugen zum Teil schwere Verletzungen davon, während die bürgerlichen Medien vor allem Horrorgeschichten von einem angeblich verwüsteten Wandsbek in "Die Welt" setzten und Polizistinnen und Polizisten als Opfer eines "linksextremistischen" Mobs bemitleideten. Die Maßnahmen der Polizei wiesen Züge von bürgerkriegsartiger Aufstandsbekämpfung auf, und die Forderung der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), man solle angesichts von 38 verletzten Beamten künftig Gummigeschosse einsetzen, weisen den weiteren Weg in diese Richtung.

Kundgebungsort Pappelallee - Foto: © 2012 by Schattenblick

Nazis müssen wegen Blockaden stundenlang warten
Foto: © 2012 by Schattenblick

Damit ist die Strategie der räumlichen Trennung des Versuchs, den Naziaufmarsch zu blockieren, und der symbolpolitischen Veranstaltung auf dem Hamburger Rathausmarkt weitgehend aufgegangen. Indem man den auf direkter Intervention basierenden Protest der Blockierer in einen abgelegenen, paramilitärisch regulierten Stadtteil verlegte, während die offizielle Manifestation der Hansestadt im Kern einer antiextremistischen, das heißt nicht minder gegen die radikale Linke als gegen Nazis gerichteten Indoktrination glich, dividierte man den Widerstand gegen Nazis von Anbeginn an in die Lager eines staatskonformen Bürgertums und einer potentiell staatskritischen Linken auseinander. Auch wenn sich weder auf der einen noch der anderen Seite alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter diese Kategorien subsumieren lassen, läßt das grobe Raster doch eine Ausgrenzungstrategie erkennen, die die Frage aufwirft, was eigentlich mit dem suggerierten Bündnis aller Demokraten gegen Nazis tatsächlich verteidigt wird. Die Demonstrationsverbote der kapitalismuskritischen Blockupy-Aktion in Frankfurt wie der Polizeischutz für Nazis in Hamburg sind zwei Belege von vielen dafür, daß der Hauptfeind immer noch links steht.

Wie nicht zuletzt die Repräsentanz der wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen aus Staat, Wirtschaft und Kirche bei der Veranstaltung der Stadt Hamburg und der damit assoziierten Initiative "Hamburg steht auf" dokumentiert, wirkt der Konsens bunter Vielfalt auf die antikapitalistische und außerparlamentarische Linke entweder vereinnahmend oder ausgrenzend. Vereinnahmung findet statt, wenn sie sich von Aktionsformen wie den erfolgreich durchgeführten Blockaden etwa unter dem Affront einer möglichen Kriminalisierung abhalten läßt, Ausgrenzung findet statt, wenn dieser Erfolg ins Schlaglicht unfriedlicher Protestformen und "extremistischer" Gesinnung gerückt wird. Der Zusammenhang von kapitalistischer Gesellschaftsordnung und faschistischer Entwicklung kann in diesem Zusammenhang nicht thematisiert werden, weil sogleich deutlich würde, daß sich Linke mit jenen solidarisieren, die ihnen im Zweifelsfall mit Verbotsverfügungen, Kollektivstrafrecht und anderen Formen staatlicher Repression das aktivistische Leben schwer machen.

Durchbruchsversuch bleibt erfolglos - Foto: © 2012 by Schattenblick

Antifa auf dem Weg zur Nazikundgebung
Foto: © 2012 by Schattenblick

So waren die Blockadeaktionen auch deshalb erfolgreich, weil sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht von den umfangreichen Maßnahmen zu ihrer Verhinderung einschüchtern ließen. Sie zeigen einmal mehr, daß die Zukunft gesellschaftsverändernder Kraft weniger in den Parlamenten, wo die Partei Die Linke derzeit die hochgradige Immunisierungswirkung des institutionalisierten Politikbetriebs gegen jegliche linke Radikalisierung vorführt, liegt als auf der Straße. Dort haben seit Beginn des letzten Jahres in aller Welt zahlreiche soziale Bewegungen einen Aufbruch von unten vollzogen, der, wie verzerrt und gebrochen seine durch die Agenturen kapitalistischer Vergesellschaftung geprägten Erscheinungsformen auch immer wirken mögen, gezeigt hat, daß sich sprachlos und unsichtbar gemachte Menschen freimachen können von den ihnen vorgeordneten Instanzen staatlicher Verfügungsgewalt wie arbeitsgesellschaftlicher und konsumistischer Zurichtung, um ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.

Daß dies nicht ohne Reaktion der damit in Frage gestellten Autoritäten bleibt, versteht sich von selbst, wie die Ereignisse in Hamburg am 2. Juni gezeigt haben. Die Befreiung von ihrer Angst, das haben ägyptische Aktivistinnen und Aktivisten immer wieder erklärt, war ein Schlüssel für die Wirksamkeit ihres Aufstandes. Diesen in ihrem Sinne zuendezubringen und nicht vom Regen einer paternalistischen Diktatur in die Traufe einer militärisch oder religiös dominierten Gewaltherrschaft zu geraten erfordert die grundlegendere Analyse und Kritik der sozioökonomischen und kulturellen Bedingungen kapitalistischer Herrschaft, das gilt für antifaschistischen und antikapitalischen Widerstand in der Bundesrepublik nicht minder.

Fußnoten:

[1] http://www.keine-stimme-den-nazis.org/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=3&Itemid=34

[2] http://www.lautgegennazis.de/hamburgstehtauf/?page_id=6

Demotransparent Nazis blockieren von Athen bis Berlin - Foto: © 2012 by Schattenblick

Internationale Solidarität auf allen Feldern
Foto: © 2012 by Schattenblick

6. Juni 2012